Meine fleißige und fürsorgliche Mutter hatte in einem anderen Kellerraum einen nicht zu übersehenden Vorrat an verschiedenem Gemüse und vor allem auch Obstsorten, die sie im eigenen großen Garten selber geerntet hatte. Die zahlreichen Weckgläser, die die reiche Ernte beherbergten, standen fein säuberlich aufgereiht in den Holzregalen, die der Vater eigens dafür gebaut hatte. In einer großen Kiste lagerten etliche Zentner Kartoffeln. Diese wertvolle Nahrung musste mengenmäßig bis zur Ernte der Frühkartoffeln im eigenen Garten reichen. In den Gemüseläden und Lebensmittelgeschäften wurden damals im Winter keine Kartoffeln in kleinen Mengen angeboten.
In Hinterpommern waren damals vor über siebzig Jahren die Winter sehr beständig. Der Schnee lag öfter wochenlang, und es war bitterkalt. Man brauchte im Winter die Doppelfenster. Der Vater hatte sie rechtzeitig im Herbst aus der Dachkammer, in der sie den Sommer über stationiert waren, herunter getragen und in die Rahmen eingesetzt. Von der Mutter waren die Glasscheiben blitzblank geputzt worden. Es war alles für den Einzug des Winters vorbereitet. Auch das Brennholz und die Briketts zum Beheizen der Kachelöfen waren im Keller aufgestapelt.
Eines Nachmittags, der Himmel war schon den ganzen Tag über so grau, schneevolle Wolken hingen tief und schwer, fing es ganz langsam an zu schneien. Weiße Flocken tanzten lustig auf die Erde hernieder. Das kleine Mädchen hatte aus Steinbauklötzen Häuser gebaut, in denen die „Mensch-ärgere-Dich-nicht“-Puppen zu lebendigen Menschen wurden. Es war ganz in dieses Spiel versunken, da rief einer der beiden älteren Brüder: „Es schneit, guck mal, es schneit!“ Schnell lief das Mädchen ans Fenster und drückte das Näschen neugierig an die Scheibe, und das Herz hüpfte vor Freude, machte Luftsprünge beim Anblick des fallenden Schnees. Verzaubert sahen Bäume, Zäune, die ganze Erde aus. Temperamentvoll bat es gleich den Vater, ihr doch den Rodelschlitten vom Boden zu holen. Aber der machte ihm verständlich, dass erst noch viel mehr Schnee fallen müsse, damit der Schlitten auch gleiten könne.
Aufgeregt, erwartungsvoll und ungeduldig blieb das Kind dann auch eine ganze Zeit am Fenster stehen, bis der Vater die Schneedecke für hoch genug zum Rodeln befand. Es ließ ihm auch nicht eher Ruhe, bis er den Schlitten die Treppen herunter getragen hatte. Inzwischen hatte es sich Trainingshosen, Mantel, Mütze und Handschuhe angezogen. Die älteren Brüder wollten natürlich auch im ersten Schnee dieses Winters rodeln. Zum Lenken brauchte sie ohnehin noch einen verlässlichen Steuermann. Sie stapften gemeinsam durch den pulvrigen Schnee und zogen vereint den Schlitten hinter sich her. Am größten Berg angekommen, fuhren sie die steilsten Abhänge, glattesten Bahnen herunter.
Kalter Wind sauste um ihre Köpfe. Mit geröteten Wangen zogen sie den Schlitten nach jeder Abwärtsfahrt wieder den Berg hinauf. Die Herzen jubelten, die Kinder lachten, der Schnee wurde aufgewirbelt. Ehe sie es bemerkten, legte die Dunkelheit ihren schwarzen Mantel sanft über die weiße Pracht.
Nasse Wollhandschuhe, kalte Füße, leere Mägen, so zogen sie etwas müde, aber herrlich ausgetobt, zufrieden ihren Schlitten an vereister Schnur nach Hause. Bei Muttern war es wohlig warm, und sie hängten die nassen Kleidungsstücke neben den großen Kachelofen zum Trocknen auf. Aus der Ofenröhre kamen Düfte zischen der Bratäpfel. Sie labten sich an dieser heißen süßen Köstlichkeit und gingen dann selig trunken in ihre Betten. Nachts träumte das kleine Mädchen, dass der Schnee noch lange liegen bleiben möge.
Das kleine Mädchen wartet auf das schönste Erlebnis, an das es sich erinnern kann. Und so fragt es voller Ungeduld immer wieder: „Mama, wie lange dauert es noch bis Weihnachten ist?“ – „Jetzt musst du nur noch dreimal schlafen, dann ist Weihnachten“, sagt die verständnisvolle Mutter. Die freudige Spannung wächst von Tag zu Tag in dem fröhlichen Kind. Es spielt hingebungsvoll mit seinen Puppen. In dieses Spiel versunken spricht die Puppenmutter mit ihren Kindern: „Dreimal müsst ihr noch schlafen, dann ist endlich Weihnachten“, sagt sie und legt das Julchen und den Peter ins Puppenbettchen und deckt sie beide fürsorglich zu. Die große Vorfreude steigert sich in dem Kind in einen spannungsvollen Zustand. Es weiß aus der Erinnerung, dass das Weihnachtsfest etwas Wunderbares ist.
Am Heiligenabend steht der duftende grüne Nadelbaum im Wohnzimmer auf einem Tisch. Geschmückt mit gelben Lichtern, blauen und roten Kugeln, silbernen Glöckchen und einem niedlichen Schneemann bestaunt das Kind andächtig den Baum, als käme er aus einem verzauberten Märchenwald. Immer wieder entlockt die Erwartungsvolle dem silbernen Glöckchen einen hellen lieblichen Klang. Auf dem Tisch liegt eine Decke, die die Mutter nur zu Weihnachten auflegt. Sie hat auf den weißen Stoff grüne Tannenzweiglein und gelbe Lichter gestickt. Die Eltern, die Brüder und auch das Nesthäkchen sind festlich gekleidet. Zuerst singt die Familie viele frohe Weihnachtslieder. Zwischendurch schweifen die Augen des aufgeregten Mädchens immer wieder zu dem Gabentisch, auf dem einige Schachteln, Kartons und Beutel liegen. Der Vater versteht die Ungeduld der Kinder besonders gut. Auf allen hübsch verpackten Geschenken steht der Name des Empfängers. Weil das kleine Mädchen noch nicht lesen kann, hat die Mutter auf seine Schachteln ein großes rotes Herz gemalt. Rasch entfernt das Kind mit seinen kleinen Händen die Verpackung. Die Augen werden sehr groß und das Herz vor Freude weit. Ein blechernes Puppen – Kaffeeservice das mit Märchenbildern aus „Schneewittchen und den sieben Zwergen“ bunt bemalt ist, lässt das Herz des Kindes vor Freude glückselig hüpfen. Dann spielt es ganz versunken und deckt den Tisch für seine Puppenkinder mit einer nicht zu übersehenden Hingabe. Einen runden braunen Pfefferkuchen bricht die Puppenmutter in kleine Stöckchen, verteilt sie auf die ‚Märchenteller’ und füttert ihr Julchen und ihren Peter mit dem köstlichen Backwerk und den Worten: „So, jetzt sind wir ganz reich und haben selber Teller, Tassen und eine Kaffeekanne.“ – So einfach ist es, ein kleines Mädchen glücklich zu machen!
Dann kommt das Mädchen in ein Alter, in dem es selber für Mutter und Vater eigene kleine Geschenke bastelt. Die Mutter bekommt ein selbst genähtes Nadelkissen. Und Vater freut sich über ein bunt gestaltetes Lesezeichen. Dies geschieht alles aus einem inneren Bedürfnis heraus. Jahre gehen ins Land. Als Auszubildende bekommt die junge Frau am Heiligenabend von ihrem Chef, dem Zahnarzt, dem sie das ganze Jahr über fleißig assistiert und unzählige Überstunden leistet, einen nicht sehr großen Geldschein geschenkt. Zusammen schlendert sie mit ihrer gleichaltrigen Kollegin nach Praxisschluss in froher Stimmung durch die Einkaufsstraße. Einen dringend benötigten Regenschirm ersteht sie für ihre weiten Fußmärsche zur Arbeitsstelle bei Wind und Regen. Für die Mutter kauft sie ein Paar dünne Damenstrümpfe, die immer gebraucht werden. Die Krönung ersteht sie im Blumenladen. Einen Mimosenstrauß, so zart und so gelb, wickelt die Floristin in weißes Papier. Mit diesen kleinen leuchtenden Sonnen im kalten Winter erwärmt sie das Herz der fürsorglichen Mutter. „Mama, ich möchte dir mit deinen Lieblingsblumen danke sagen, für das oftmals späte Abendbrot, das du mir so liebevoll zubereitest.“
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