Norbert Johannes Prenner - Wir sind Unikate, Mann
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Erst als er eine der zahllosen Ampeln bei Rot überfuhr, von einem freundlichen Autofahrer darauf aufmerksam gemacht mit den Worten – Du Arschloch! - wurde ihm bewusst, dass er schon längere Zeit nicht bei der Sache war, und ihm war, als würde sein Fahrzeug von einer fremden Macht seinem Ziel entgegen gesteuert. Geistesgegenwärtig riss er das Steuer noch rasch zur Seite, um einen Auffahrunfall zu vermeiden. Verunsichert blickte er in den Rückspiegel. Gott sei Dank, keine Polizei in der Nähe, nur der erhobene Mittelfinger des Lenkers hinter ihm, disziplinierende Instanz quasi. Auch egal, dachte Arno und nahm sich vor, von nun an konzentrierter zu fahren und er begann, gewisse Bedenken gegen sich selbst zu erheben, ob es verantwortbar sei, jemanden wie ihn noch anderen Verkehrsteilnehmern zuzumuten, wie er sich gleichzeitig auch darüber wunderte, dem unfreundlichen Dahinter in seiner überdimensionalen Abgas schleudernden Allradkarre nicht gleich gekontert zu haben, was er ja sonst immer lautstark zu tun pflegte, überhaupt wenn jemand schon so ein teures Modell fuhr und er von einem solchen Fahrer zu allem Übel auch noch gedemütigt wurde.
Gleichzeitig aber zweifelte er an der Angemessenheit seines Benehmens, dachte an bestimmte Situationen der letzten Zeit im Zusammenhang mit jener Gesellschaft, in der er sich, wenn er nicht gerade „eremitierte“, die meiste Zeit befand, immer dann, wenn er mit seinen unpassenden Aussagen provozieren wollte, auch in Briefen etwa, in Gesprächen oder sonst eben. Denn manches, was er in solchen Situationen ohne viel nachzudenken einfach nur so dahin sagte, oder schrieb, war noch dazu oftmals notorisch verwirrend, wie - wie Vorträge eines Einzelgängers, ja, so kam es ihm jetzt vor. Und auf seine Frage, was denn so plötzlich dazwischen gekommen wäre, hatte Constance einfach gesagt, Liebling, mach‘ dir keine Gedanken, es ist nichts, was dich beunruhigen sollte, es hat nichts mit dir zu tun und so weiter. So etwas hatte sie noch nie gesagt.
Weder mit diesem Unterton in der Stimme, der mitschwang, wie, ich sag‘ dir nicht, was los ist, lass mich einfach in Ruhe, noch mit diesen Worten. So kurz angebunden hatte er sie noch nie erlebt. Beinah fremd war sie ihm vorgekommen. Irgendetwas musste da passiert sein, das schien ihm völlig klar. Aber was bloß? Der einzige, der ihm jetzt helfen konnte, schien Caro zu sein. Warum, verdammt noch einmal, konnte er ihn nicht erreichen? Wozu hatte man denn Freunde, wenn sie nicht ans Telefon gingen? Dem machte es nichts aus, wenn er, Arno, manches Mal wirres Zeug daher redete, auch nicht, wenn er hin und wieder gar nichts sagte. Dafür plauderte Caro umso mehr. Notfalls auch mit sich selbst. Das war Ok so. Arno verband eine gewisse Sicherheit damit. Mit Constance war das etwas anderes. Sie kannte seine Launen, seine exzentrischen Eskapaden, wenn er etwa in einem Restaurant einen zähen Lammbraten oder ein Steak, das nicht durch war, mit den Worten – take this old cow away - zurückschickte oder so. Dann ging sie zwar nicht sofort darauf ein, was auch immer das Beste gewesen war, sowohl für sie beide als auch für das anwesende Publikum.
Doch kaum zu Hause angekommen brach sie darüber einen oft heftigen Streit vom Zaun und schleuderte ihm Vorwürfe an den Kopf, derer er sich kaum erwehren konnte. Was er sich einbilde, und wer er zu sein glaubte? Schließlich konnte Arno ja manchmal liebenswert und charmant sein, auch wenn er es nicht immer gleich zeigte, und wenn Constance sich seiner Eigenschaften bewusst wurde, selten zwar, doch immerhin, dann schnurrte sie friedlich wie ein Kätzchen, strich auffallend milde gestimmt um ihn herum und versuchte ihn in dieser Stimmung, meist erfolgreich, zu verführen. Immerhin versprach sein Dazutun in dieser Angelegenheit wiederum Frieden für einige Tage, wobei Arno dieses Wort in seiner etymologischen Bedeutung von Befriedigung herleitete, war ihm dieser Friede doch einiges wert, denn er bürgte schließlich dafür, ihm zwei drei Abende in seinem Lieblingsbräu zu gestatten, ohne daheim sonderlich abzugehen. Wäre Constance nicht stets so beschäftigt gewesen, so konnte sie ihn in dieser Zeit ohnehin nicht gebrauchen, um nicht zu sagen, er galt für diese Zeit als absolut entbehrlich, um nach Verstreichen einer gewissen Frist für dasselbe Spiel wieder zur Verfügung stehen zu müssen.
Das ging schon seit Jahren so und gehörte zum unverrückbaren Zeremoniell dieser Ehe. Obwohl er, Arno selbst, fand, dass er es mit sich ganz und gar nicht leicht hätte, andere auch nicht mit ihm, wäre vor allem nicht da sein ständiger Drang zur Perfektion gewesen, etwas also, was ihn ganz besonders kompliziert machte im Umgang mit anderen Menschen, besonders wenn es darum ging, im Team zu arbeiten, oder gar gemeinsame Ziele erreichen zu müssen, wobei ihn ganz besonders sein Unvermögen peinigte, Hierarchien anzuerkennen oder gar Vorgaben zu akzeptieren. Also darin war er ganz schlecht, denn immer schon hatte er mit dem Gefühl gelebt, für seinen unsteten und vor Ideen sprühenden Geist nie den nötigen Freiraum gefunden zu haben.
Kapitel 7
Die Aussprache
Arno brauchte nicht lange zu suchen. Als hätte er einen siebten Sinn, oder war es bloß ein Erfahrungswert, da stöberte er Caro in seinem Lieblingsheurigen auf, einem altehrwürdigen Weingut, an dessen Innenhofmauern Messingschilder mit zahlreichen Namen prominenter Gäste angebracht waren, damit diesen zu keiner Zeit irgendein gewöhnlicher Sterblicher den Platz streitig machen konnte und Arno fühlte sich an die kleine Dorfkirche erinnert, wo er als Kind zur Sonntagsmesse gegangen war, wo die vordersten Bankreihen gleichfalls mit solchen Beschilderungen versehen waren, um von dort aus sozusagen fußfrei in den Himmel gelangen zu können. Der Platz schien auf diese Weise für Privilegierte bereits gesichert, für die Oberlehrer und Oberlehrersgattinnen und all´ die honorigen Geschäftsleute im Dorf, von dort aus, Aug‘ in Aug‘ mit dem Zeremonienmeister, der ewigen Seligkeit direkt in die Arme laufen zu können.
Ja, er bemerkte Parallelen zu dem Szenario hier. Und Caro Ass saß einfach so da, alleine, und schien seine Sorgen bereits in mehreren Vierteln Nussberger ertränkt zu haben. - Na, da bin ich ja …. freute sich dieser, als er Arno durch das Efeu bewachsene Tor kommen sah. - Servus, sagte Arno, glücklich, seinen lieben Freund so rasch aufgestöbert zu haben. - Wie hast du mich gefunden, wenn erlaubt ist zu fragen?, wunderte sich Caro. - Intuition, würd‘ ich mal sagen. Ich habe einfach deine Spur aufgenommen. War gar nicht so schwer. Arno sah sich im Innenhof um. Lange war er nicht hier gewesen. Mit Caro schon gar nicht. Heute sollte es eben sein, dachte er. - Mir kannst du nichts vormachen. Da stimmt doch was nicht? Normalerweise fährst du mir nicht hinterher. Wo ist denn sie, die Frau Gemahlin? - Hat keine Lust. Aber… vielleicht in Paris? - Ich dachte, sie käme heute?- Das dachte ich auch, sagte Arno leise.- Is‘ was im Busch bei euch? War ja sonst immer alles in Ordnung. Ihr seid ja schließlich so ein Herzeige-Ehepaar, was?, lachte er. Das Musterbeispiel einer primitiven Zweierbeziehung, sehe ich das richtig?, setzte er hinzu. Prost!
Er beobachtete Arno sehr aufmerksam, wie ein Psychiater seinen Patienten, wog dessen Reaktionen ab, analysierte seine unruhigen Blicke, die überall umherschweiften und alles vermieden, ihm in die Augen zu schauen, als hätte er etwas zu verbergen. Wenn er ihn nicht so gut kannte, dachte Caro. Und das Ergebnis seiner Analyse teilte er ihm auch prompt mit, indem er sagte: - Übrigens. Die Frau Maria wird sofort antanzen. Was trinkst du? – Spritzer. Schorle, lachte Caro. Arno grinste. Wir sind in Wien, vergiss das nicht! – Also, nehmen wir besser gleich einen halben Liter und Wasser extra? - Warum nicht? Caro winkte nach der Kellnerin. Es folgten einige jener Minuten, in denen nichts gesprochen wurde. Nur dumm Löcher in die Luft starren war angesagt. Jeder knabberte an seiner Geschichte, und, ein eingeschworenes Team wie sie nun einmal waren, offerierten sie sich diese gegenseitig auch nicht sofort, widerspräche dies doch der jahrelang erprobten Etikette.
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