Gerhard Gemke
Narrseval in Bresel
Bresel-Krimi 5
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Inhaltsverzeichnis
Titel Gerhard Gemke Narrseval in Bresel Bresel-Krimi 5 Dieses ebook wurde erstellt bei
Narrseval 1
Erbarme dich unser
Miserere nobis
Nasendienstag
Aschermittwoch
Kinderheim
Achter Oktober
Turm zu Turm
Lederband
Villa Sorgenfrey
Fotos
Hirntumor
Höret mein Lied
Die hinkende Frida
Rinderhirn
Formaldehyd
Paula
Neptun
Doppelkopf
Kunibalds Revenge
Das Lied von der Glocke
Pistazien
Turmführung
Weiberfastnacht
Glunz
Gefangen
Flucht
Narrseval 2
Fridun borge dir
Kegeln
Die Elster
Das Spiel
Anhang
Zugabe
Impressum neobooks
Schön war was anderes.
Nicht die wimmernden und knarzenden Geräusche, die dieser braune Tontopf von sich gab, und nicht der Rest, den man vielleicht im weitesten Sinne Gesang nennen konnte (im allerweitesten Sinne), und der das Gekreische der feiernden Breselner zu übertönen versuchte. Doch Freddie ließ sich weder durch die bösen Blicke der Buckelsäcke, noch durch Elfriedes knochige Zeigefinger beirren, die die tüdelige Oma mit abgewinkelten Ellenbogen in ihre Ohren bohrte.
Tief Luft geholt und los:
Höret mein Lied, hört die Klage des Glöckners.
Einst lebte ich droben in Knittelsteins Mauern.
Meister war ich in der Schrift, doch ich schrieb
– zu Herrn Adalberts großem Bedauern –
die Wahrheit über Kunibald,
durch dessen giftig Schlangenring
Aurelio der Goldschmied starb,
und zwar im Jahre Tausend,
weil er gewann beim Spiel im Turm,
hoch überm Markt von Bresel! –
„Du lügst!“, schrie Adalbert
und jagt' mich fort wie einen Esel.
Die letzten Worte gingen bereits unter im keifenden Streit zweier Buckelsäcke und Elfriedes schrillem Organ.
„Wer dem Himmel näher als die Hinkende Frida“, meckerte die Oma und wackelte dabei so heftig mit dem Kopf, dass ihr Dutt sich aufzulösen begann, „liegt bald eine Turmlänge tiefer!“
„Eine bodenlose Frechheit!“, fauchte einer der Buckelsäcke, der Elfriedes Sprichwort aus unerfindlichen Gründen auf sich bezog.
Wie auch immer. Es kam eh nicht mehr drauf an. Nicht hier auf dem Breselner Marktplatz und nicht heute, denn in Bresel boxte der Bär. Es war Narrseval! Nur der Heilige Urban wusste (vielleicht), warum der Narrseval überall sonst auf der Welt Karneval hieß. Oder Fasching, Fasnacht, Fastelovent. Nur nicht in Bresel. Und warum nur Breselner auf die Idee kamen, sich gräuliche Wunden an die Stirn zu schminken und stinkende Leinensäcke mit merkwürdigem Inhalt über die Schultern zu werfen. Wer dann erriet, was sich in so einem Buckelsack befand, dem winkte Glück im folgenden Jahr. Oder im darauf folgenden. Oder im … ach, weiß der Urban, wie gesagt.
„Verschwinde mit deiner toten Katze im Sack, du!“, kreischte Oma Sievers zurück.
Der Buckelsack wurde blass und verschwand hastig hinter dem Kunibald-Brunnen, von dem ihn der eiserne Ritter Kunibald streng musterte. Und Elfriede überlegte, in welchem Jahr ihr jetzt wohl das Glück winken würde. So viele Jahre standen ja nicht mehr zur Auswahl.
Die plötzliche Kreischpause nutzte Freddie, rubbelte an seinem Rummelpott, und krähte:
So sitze ich heute und sing meine Lieder
im Chor mit der schreienden Elster
zum Rummelpott, hoch in Sankt Urbans Turm,
ach, seht meine zitternden Glieder –
über mir schlägt die Hinkende Frida.
RAWOMMM! Hoch oben vom Urbanturm.
Ein Aufschrei über dem Markt. Dann, als hätte jemand (Sankt Urban selbst?) bei einem durchgedrehten Kinderkarussell den Stecker gezogen, herrschte schlagartig Stille auf dem Platz. Wie von einem gemeinsamen Faden gezogen klappten sämtliche Köpfe in die Nacken und ein paar hundert Hälse reckten sich in die Höhe.
Einige meinten, die Kirchturmspitze würde noch zittern. In Zeitlupe wie ein böses Omen sackte der Wetterhahn zur Seite. Ein angstvoller Seufzer kroch über den Markt. Dann ertönte ein gellender Schrei und eine zerzauste Elster schoss pfeilgerade aus dem runden Dachfenster, überschlug sich im Flug, stürzte herab, direkt auf Elfriede Sievers zu, fing sich wie von Elfriedes starrem Blick gebannt kurz vor dem erwarteten Zusammenprall, und flatterte davon.
Und krächzte. Hässlich und laut.
Als ob der Vogelschrei die Breselner ins Leben zurück gerufen hätte, begann sich das Narren-Karussell wieder zu drehen. Ein Buckelsack schimpfte „Nein, ich habe keinen Stuhl im Sack!“, Kinder weinten, die halbe Blaskapelle schaffte einen Einsatz, und Bäcker Blume krakeelte „Kauft Lebkuchen-Nasen!“
Nur Freddie starrte mit offenem Mund zum Eingang des Sankt-Urban-Turms und sah Kommissar van der Velde in der Tür verschwinden, dicht gefolgt von Kriminalassistent Hinrich und Pastor Himmelmeyer.
Und war es wirklich nur Freddie, der wenige Augenblicke darauf zwei Buckelsäcke aus eben dieser Tür herauskommen sah? Einen langen Dürren, der mit schnellen Schritten den Marktplatz überquerte, gefolgt von einem Kugelförmigen, der mit doppelter Beinarbeit das Tempo des Langen zu halten versuchte. Dann hatte sie das Gewühl der Lachweiber und Hobelitze, Brandkasper, Schabracken, Hohnepipel, Karusos und Forzheimer, der Käsebohrer und Schwarzmaler und was der Breselner Narrseval noch zu bieten hatte, verschluckt.
Freddie rieb sich die Augen. Er blickte an Sankt Urban hinauf. Sah den Kommissar auf dem Balkon, der den Turm auf halber Höhe umkreiste, nach Luft schnappen und wieder im Inneren verschwinden. Und den Wetterhahn, der kopfunter am Turmkreuz hing, als wollte er einen Blick in das Fensterloch werfen, aus dem die Elster katapultiert worden war. Und hinter diesem Fensterloch …
Jan klammerte sich verzweifelt an die armdicke schmiedeeiserne Stange, den Klöppel der riesigen Glocke, die ihn umhüllte wie ein schützender Mantel. Oder ein tödliches Gefängnis. Ein beinahe tödliches. Eben noch hatte sie dort oben gehangen, in der Mitte der Turmspitze. Jan war in seiner Not auf den niedrigen Tisch, der darunter stand, gesprungen, hatte den Klöppel gepackt, sich in Windeseile nach oben gehangelt, und die Füße auf die kugelförmige Verdickung am unteren Ende des Klöppels gestützt. Und hatte mit angehaltenem Atem den Dicken beobachtet, der unter ihm schwitzend und keuchend diesen Stein in das Mauerwerk drückte. Stein Nummer 5C! Und dann … RAWOMMM!
Der Dicke hatte verdammt Glück gehabt, dass die Glocke ihn nicht erschlagen hatte. In letzter Zehntelsekunde war er zur Seite gerollt. Die Kugel, auf der Jan gestanden hatte, war beim Aufprall abgesprungen und wie von einer Kanone gefeuert davon geschossen, nur einen Wimpernschlag bevor der Rest der Glocke ringsum auf die Bodendielen krachte – ein Wunder, dass die hielten. Und der Klöppel hatte die hölzerne Tischplatte wie Pappe durchbohrt.
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