«Hier – armer Teufel, das wir ein böses Erwachen werden.»
«Wie man sich bettet, so schläft man», sagte der zweite Polizeidiener, und den Betrunkenen in die Höhe richtend, der dabei unverständliche Sachen stammelte und sogar einen total mißglückten Versuch machte, wieder zu singen, führten sie ihn hinaus und seiner Wohnung zu, indes die Gäste noch das ,Für und Wider’ der Schuld des Mannes, von dem sie nie etwas Übles gehört, bei einer anderen Flasche besprachen.
Und es w a r ein böses Erwachen für den Mann. Von dem Weindunst betäubt, schlief er wie ein Toter bis zum lichten Tag, und als er die Augen aufschlug und ihn der Kopf zum Zerspringen schmerzte, fiel sein erster Blick auf den ungeduldig in seinem Zimmer auf und ab gehenden Polizeidiener, den er einen Moment bestürzt anstarrte und dann die Augen, wie vor einem unangenehmen Traumbild, wieder schloß.
«Nun, Loßenwerder, ausgeschlafen?» sagte der Mann aber, froh, endlich einmal zu einem Resultat zu kommen. «Das hat lange gedauert. Kommen Sie, stehen Sie auf und ziehen Sie sich an.»
Die Stimme war k e i n Traum, und der kleine Mann richtete sich erschreckt von seinem Bett, auf dem er noch mit den Kleidern vom vorigen Abend lag, empor. Wo war er? – Wie war er hierher gekommen? Er drückte sich mit beiden Händen die Stirn und der klare Angstschweiß brach ihm über den ganzen Körper aus. Er w u ß t e nicht mehr, was gestern alles geschehen, und die unheimliche, finstere Gestalt vor ihm füllte sein Herz mit einer wilden Ahnung von Unheil, die alles Blut dorthin in jähem Strom zurücktrieb.
Wie ein schlag da hinein traf ihn die Nachricht von dem entdeckten Diebstahl, das Gefühl, daß der Verdacht auf ihm laste. Die nächste Stunde lag dazu wie ein Alp auf seiner Seele. Ein anderer Polizeibeamter visierte bei ihm und fand nichts weiter, als in einem Winkel seines kleinen Schreibtisches unter dreifachem Schloß ein Päckchen mit zweihundert Talern in Fünfundzwanzig-Taler-Kassenanweisungen, wie noch einige Goldstücke. Dann kam seine Abführung nach dem Dollinger’schen Hause, da Herr Dollinger gebeten hatte, den Mann, an dessen Schuld er nicht glauben wollte, erst einmal an Ort und Stelle selber zu befragen, und so betäubt war er von dem allen, daß er kein Wort zu seiner Verteidigung sagen, ja nicht einmal eine an ihn gerichtete Frage beantworten konnte.
In dem Dollinger’schen Hause angekommen, wurde er gleich in Herrn Dollingers Zimmer hinaufgeführt, und der alte Herr ging, als Loßenwerder die Stube betrat, mit auf dem Rücken gekreuzten Händen in seinem Zimmer auf und ab. Der junge Henkel saß in der einen Ecke des Sofas, das rechte Knie über das linke geschlagen, mit einem Buch in der Hand, über das hin er den Gefangenen aufmerksam betrachtete.
Loßenwerder war bleich wie ein Toter – jeder Blutstropfen hatte sein Antlitz verlassen, und bei dem Versuch, den er zum Reden machte, kam kein Laut über seine Lippen.
«Loßenwerder», sagte Herr Dollinger endlich, nach einer kleinen Weile vor ihm stehen bleibend und ihn ernst, ja traurig betrachtend, «ein böser Mensch ist gestern während unserer Abwesenheit in unser Haus geschlichen und hat, außer einigen Juwelen, auch noch das Geld entwendet, das Du mir gestern Mittag gebracht und das ich, wie Du weißt, in den Sekretär schloß. Warst Du während unserer Abwesenheit wieder im Haus und in dem Zimmer meiner Töchter?»
«He – he – he – he – he – he – rr Do – Do – Do …. »
«Schon gut, Loßenwerder, Du bist jetzt aufgeregt und das Sprechen wird Dir schwer; beschränke Dich auf ein einfaches Ja und Nein.»
«Ja – a !»
«In dem Z i m m e r meiner Töchter?»
«J – a – a, aber i – i – i – ich wo – wo – wollte…. »
«Sie haben einen Blumentopf dort hineingesetzt?» sagte Herr Henkel jetzt ruhig.
Das Blut stieg dem kleinen Mann rasch bis in die Schläfe hinauf, aber der nächste Moment ließ sein Antlitz wieder so weiß als vorher; er nickte nur, zur Bestätigung des eben Gesagten mit dem Kopfe.
«Loßenwerder», sagte Herr Dollinger mit leiser, bewegter Stimme und dicht zu dem kleinen Mann herantretend, wobei er die Hand auf dessen Schulter legte. «Loßenwerder, noch gestern würde ich ebenso leicht geglaubt haben, daß eins von meinen eigenen Kindern eines schlechten, unrechtlichen Streiches fähig wäre, bis mich leider die immer deutlicher sprechenden Tatsachen in meinem Glauben an Dich w a n k e n d gemacht haben.»
«He – he – he – he – herr Do – Do – Do – Dollinger…. »
«Ich will Dir klar und einfach unsern ganzen Verdacht vorlegen», sagte der alte Herr, um dem Angeklagten jedes unnütze Wort zu ersparen. «Gestern, während unserer Abwesenheit, ist der Sekretär meiner Töchter erbrochen und das Dir bekannte Geld entwendet worden – drüben über der Straße hat Dich ein Mädchen gesehen, wie Du heimlich aus dem Hause geschlichen bist. Ebenso bestätigt Wilhelm, der Stalljunge, Dich gesehen zu haben, wie Du hättest das Haus durch die nach dem Hofe zu führende Tür verlassen wollen, bei seinem Anblick aber, was selbst dem Jungen aufgefallen ist, zurückgefahren und dann auch nicht über den Hof gekommen wärst. Das Stubenmädchen, das keine Ahnung davon haben konnte, daß Geld in dem Sekretär lag, ist bereit, den schwersten Eid abzulegen, daß sie wenige Minuten später, nachdem man Dich hatte aus dem Hause schleichen sehen, die Vorsaaltür nicht mehr aus den Augen gelassen und gewiß wäre, daß niemand die Schwelle mehr überschritten habe, bis sie den zurückkehrenden Wagen in den Hof einfahren gehört. Heimlich bist Du im Haus gerade in der Zeit, in welcher das Geld entwendet wurde, gewesen, und die gestrige Ausschweifung, die man an Dir nicht gewöhnt ist, wie die bei Dir gefundene Summe lassen allerdings das Schlimmste fürchten. Loßenwerder – ich brauche Dir nicht zu sagen, wie weh – wie weh mir das gerade von D i r tut, und ich wollte die doppelte Summe, so bedeutend sie ist, gern verschmerzen, wenn es n i c h t geschehen wäre. Mache aber jetzt Deinen Fehler, wenigstens so weit das noch in Deinen Kräften steht, wieder gut; gestehe, was Du mit dem übrigen Gelde gemacht, wo Du es verborgen hast, und ich selber will dann auch alles tun, was in meinen Kräften steht, Deine Strafe zu erleichtern. Ein anderer Erdteil mag Dir nachher in späterer Zeit Gelegenheit geben, Deinen Fehltritt zu bereuen und das wieder zu werden, für was ich Dich, selbst bis diesen Morgen noch, gehalten habe.»
Loßenwerder hatte während dieser Auseinandersetzung wie aus Stein gehauen vor seinem Prinzipal gestanden, nur das Zittern seiner Glieder verriet, daß er lebe, jetzt aber brach er in die Knie, und zum erstenmal vielleicht mit dem vollen Bewußtsein der gegen ihn erhobenen Anklage, oder auch von Schuld und Angst zu Boden gedrückt – denn wer konnte in den stieren, überdies nicht geraden Augen und in den totenbleichen, mit großen Schweißperlen bedeckten Zügen das Richtige lesen ? – Umfaßte er die Knie des alten Herrn und bat mit wild stotternder Stimme, aus der dieser nur mit äußerster Anstrengung einen Sinn herausfinden mußte, ihn nicht unglücklich zu machen, nicht so Schreckliches von ihm zu denken.
«Ein aufrichtiges Geständnis, Loßenwerder», entgegnete darauf Herr Dollinger, «ist das einzige, was Deine Schuld jetzt noch in etwas erleichtern kann. Das Gericht wird einen unbewachten Augenblick, dem die Reue auf dem Fuße folgt, nicht so schwer strafen, wie den hartnäckigen Übeltäter.»
«A – a – a – a – aber ich bi – bi – bin ni – ni – ni – nicht schu – schu – schuldig », stotterte der Unglückliche. «Ich we – we – we – weiß vo – vo – von ni – ni – nichts!»
«Du weißt von n i c h t s, Loßenwerder?» sagte Herr Dollinger leise mit dem Kopf schüttelnd. «Und woher ist das Geld, das man bei Dir gefunden, woher die Fünfundzwanzig-Taler-Note, die Du locker in der Tasche getragen, und die Dir der Polizeidiener gestern Abend noch herausgenommen hat?»
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