«Ge – spa – pa – pa – partes Geld, e – e – e – e – ehrlich ge – ge – gespartes G – g – g – Geld!» stammelte der arme Teufel.
Herr Henkel stand jetzt auf und ging langsam auf Herrn Dollinger zu, dem er ein paar Worte ins Ohr flüsterte und dann, während dieser leise und traurig mit dem Kopf nickte, das Zimmer verließ. Loßenwerder aber, der ihm ängstlich mit den Augen folgte und vielleicht in einer unbestimmten Ahnung fühlte, daß man ihn fortführen, in ein Gefängnis bringen werde, ergriff wieder und jetzt aber wie in Todesangst des alten Mannes Hand und bat ihn um Gottes, um seiner Seligkeit willen – so weit es ihm die jetzt in der Aufregung nur noch mehr fehlende Sprache immer gestattete – daß er ihm nur das nicht antun, daß er ihn in kein Gefängnis möge führen lassen. Herr Dollinger erklärte aber natürlich, darin nichts tun zu können, denn wenn er nichts gestehen wolle oder zu gestehen habe, so müsse allerdings das Gericht, bei so stark vorliegendem Verdacht, die Untersuchung aufnehmen, wonach sich bald seine Schuld oder Unschuld herausstellen würde.
«Hab’ ich aber einmal erst auf solchen Verdacht gesessen», stotterte der Unglückliche, «so bin ich gebrandmarkt mein Leben lang.»
Herr Dollinger zuckte die Achseln, und die Tür öffnete sich in diesem Augenblick, den einen Polizeidiener zeigend, der Loßenwerder leise auf die Achsel klopfte und freundlich sagte:
«Wenn’s gefällig wäre.»
Loßenwerder zuckte zusammen, als ob er einen Schlag bekommen, und wandte sich noch einmal, wie Hilfesuchend, an Herrn Dollinger; aber ein Blick auf diesen überzeugte ihn, daß er schon nicht mehr helfen könne, wo das Gericht die Sache in die Hand genommen, und sein Gesicht in den Händen bergend, folgte er dem Gerichtsdiener fast willenlos hinaus.
Gerade als er durch die Tür schritt, begegnete ihm, noch auf der Schwelle, Frau Dollinger, und rasch beiseite tretend, als ob sie selbst durch seine Berührung angesteckt zu werden fürchte, warf sie ihm einen zornigen, verächtlichen Blick zu und ging an ihm vorüber.
Loßenwerder seufzte tief auf, sagte aber kein Wort, denn wie er den Kopf hob, sah er am anderen Ende des Vorsaals Clara mit dem jungen Henkel in eifrigem Gespräch, und auch dort mußte er vorbei. Das war zu viel, und wie unschlüssig blieb er stehen und sah sich um, als ob er einen Weg zur Flucht suche.
«Na kommen Sie, Loßenwerder, machen Sie keine Dummheiten», sagte aber, ihm ermunternd die Schulter klopfend, der Polizeidiener. «Es ist alles ein Übergang, wie der Fuchs sagte, als sie ihm das Fell über die Ohren zogen.»
Loßenwerder nahm sich zusammen und schritt festen Trittes an dem jungen Mädchen vorüber, das ihn mitleidig betrachtete.
«Etwas über zweihundert Taler hat man schon bei ihm gefunden», flüsterte der junge Henkel ihr leise zu. «Ich hoffe, daß Vater Dollinger das andere auch noch wiederbekommen soll.»
«Ach Loßenwerder, warum habt Ihr das getan?» sagte Clara leise und mitleidig den Gefangenen ansehend, als er an ihr vorüberging.
«U – u –u – und Si – si – si – sie g – g – g – glauben d – d – das a – a – a – auch?» rief Loßenwerder, und die großen, hellen Tränen standen ihm dabei in den Augen. Aber der Polizeidiener hatte sich schon länger mit ihm aufgehalten, als er meinte verantworten zu dürfen, nahm ihn leise an der Hand und führte ihn die Treppe hinunter. Loßenwerder folgte ihm wie in einem Traum.
Das Polizeigebäude war nur höchstens fünfhundert Schritt von dort entfernt, und stand an der anderen Seite einer kleinen steinernen Brücke, die über den mitten durch die Stadt und häufig überbrückten kleinen Fluß führte. Als sie hinunter auf die Straße kamen, ließ der Polizeidiener seinen Gefangenen los, um kein Aufsehen zu erregen, und flüsterte ihm zu, nur ruhig neben ihm herzugehen. Loßenwerder verstand ihn wohl gar nicht, denn er sah verstört zu ihm auf und dann um sich her, und fand die Augen der Vorübergehenden alle neugierig auf sich geheftet. Sich aber doch, wenn auch nur dunkel, des Zwanges bewußt, der auf ihm lag, nahm er sein Taschentuch heraus, trocknete sich die feuchte Stirn damit ab und ging mit krampfhaft zusammengebissenen Zähnen neben seinem Wächter her. So erreichten sie die Brücke, wo vier oder fünf Jungen standen, die neugierig die Ankommenden betrachteten. Loßenwerders Blick schweifte über sie hin, aber er sah sie nicht, bis er dicht bei ihnen war und einer derselben spottend rief :
«Hoho, hoho – Stotterberg hat gestohlen, Stotterberg hat gestohlen!»
Die anderen stimmten lachend mit in den Ruf ein, und der Polizeidiener drehte sich ärgerlich und drohend gegen die scheu auseinander stiebenden Buben um; Loßenwerder aber fuhr sich mit beiden Händen krampfhaft gegen Stirn – «hat gestohlen!» schrie er dabei, ohne zu stottern, mit gellendem, wilden Schrei, und ehe sein Wächter es verhindern konnte, ja nur eine Ahnung davon hatte, warf er sich mit einem verzweifelten Sprung über die niedere Balustrade hin in den unten vorbeirauschenden Strom. Noch über dem Geländer erfaßte ihn der Polizeidiener an einem Rockzipfel, das Gewicht des niederfallenden Körpers war aber zu groß, als daß er es mit einer Hand hätte aufhalten können, ja er mußte sogar loslassen, um nicht selber das Gleichgewicht zu verlieren, und der Unglückliche schlug gleich darauf auf das Wasser, unter dessen Oberfläche er im nächsten Augenblick verschwand.
Der Fluß war indes hier weder breit noch tief, und auf der ziemlich belebten Straße fanden sich gleich mehrere Leute, die unterhalb der Brücke ins Wasser sprangen, das ihnen etwa bis unter die Arme reichte, um den niedertreibenden Körper aufzufangen. Sie hatten ihn auch bald erreicht und gefaßt, und von kräftigen Armen wurde derselbe an die Oberfläche gehoben und zum Ufer gezogen. Wenn ihm jedoch auch das Wasser selber noch nichts geschadet hatte, war der Unglückliche doch durch den Sturz, in dem er wahrscheinlich durch das Zurückhalten seines Rockes gegen einen der Brückenpfeiler geworfen worden, schwer am Kopfe verletzt – die Wunde blutete stark, und die Männer trugen den Bewußtlosen zuerst auf die Polizei und von dort, auf den Ausspruch eines rasch herbeigerufenen Arztes, in die Charitè.
Fünftes Kapitel
Die Auswanderungs-Agentur.
Am Marktplatz zu Heilingen, und an der Ecke eines kleinen, auf diesen auslaufenden Gäßchens, stand ein ziemlich großes, grün gemaltes und gewiß sehr altes Erkerhaus, dessen Giebel und Stützbalken geschnitzt, und mit wunderlichen Köpfen und Gesichtern verziert und braun angestrichen waren. So weit neigten sie sich dabei nach vorn über, daß es ordentlich aussah, als ob der ganze Bau mit dem spitzen, wettergrauen Dach nächstens einmal gerade mitten zwischen die Töpfer und Fleischer hineinspringen würde, die an Markttagen dort unten ihre Ware feilhielten.
Nichtsdestoweniger wurde es noch immer, bis fast unter das Dach hinauf, bewohnt und der untere Teil desselben ganz besonders zu kleinen Warenständen und Läden benutzt. Die Ecke derselben nun hatte seit langen Jahren ein Kaufmann oder Krämer in Besitz, der sich zu seinen Materialwaren, Kaffee, Zucker, Tabak, Lichten, Grütze usw. Auch noch in der letzten Zeit die Agentur mehrerer Bremer und Hamburger Schiffsmakler zu verschaffen gewußt, und damit bald in einer Zeit, wo die Auswanderungslust so überhand nahm, solch’ brillante Geschäfte machte, daß er die Materialwarenhandlung seiner Frau wie seinem ältesten Sohn übertrug, und für sich selber nur ein kleines Stübchen, ebenfalls nach dem Markt hinaus, behielt, über dessen Tür jetzt ein riesiges, sehr buntgemaltes Schild prangte. Das Schild verdient übrigens mit einigen Worten beschrieben zu werden, da die Heilinger in den ersten Tagen – als es eben erst aufgehangen worden – in wirklichen Scharen davor stehenblieben und es anstaunten.
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