Damit schmierte er jetzt natürlich sehr viel Honig um meinen Mund, denn hier im Krav Maga Studio war einfach kein Platz mehr für uns gewesen. Doch ich schwieg und nickte lediglich. Es stimmte ja, dass Christine und ich - und meinetwegen auch Birgit - sehr gut miteinander arbeiteten und schon so manches Abenteuer dank der Rückendeckung der Partner lebend überstanden hatten.
„Außerdem“, Bernd legte eine kurze Pause ein und fuhr dann fort, „wünsche ich keinerlei Diskussion um das Thema. Du wirst diesen Kurs jetzt absolvieren und ich erwarte, dass dies mit besten Noten geschieht. Sofern dort überhaupt Noten vergeben werden. Danach wirst du nach und nach Christine und Birgit in die Geheimnisse dieses Mantrackings einweihen. Je nach späterem Einsatz dann, werdet ihr in wechselnder Zusammenstellung arbeiten. Du mit Christine und Bingo, mit Birgit und Bingo oder mit beiden zusammen und dem Hund.“
Ich war einigermaßen beruhigt und nickte zufrieden. Immerhin wäre ich der Chef unserer Task Force und der Einsatzleiter. Ein gutes Gefühl und eigentlich ja auch eine Beförderung. Oder nicht?
„Wann beginnt eigentlich dein Kurs?“, fragte Bernd in die entstandene Stille hinein.
„Heute.“
Mein Freund stöhnte leise. „Ja, das weiß ich, Jonathan. Um wieviel Uhr?“
„Punkt vierzehn Uhr“, erklärte ich. „Ich muss allerdings noch bis Rheindahlen fahren, also muss ich etwas früher los. Der Lehrgang findet auf irgendeinem Bauernhof statt.“
Bernd nickte. „Gut, dann hast du ja noch etwas Zeit, dich vorzubereiten. Mach dich mit den Grundlagen dieses Mantrackings vertraut, damit du nicht ganz so unbedarft in dem Kurs erscheinst. Du findest in unserer Bibliothek sogar entsprechende Literatur.“
Bei der ‚Bibliothek‘ handelte es sich eigentlich um einen großen Gemeinschaftsraum, in dem mehrere Tische und Stühle standen und in dem die Schüler der Kampfsportkurse ihr theoretisches Wissen auffrischen konnten. In den Bücherregalen an den Wänden fand sich zahlreiche Literatur zu den unterschiedlichsten Themen. Natürlich stand es uns, Bernds Mitarbeitern, ebenfalls offen, den Raum jederzeit zu nutzen. Das gleiche galt für die im Untergeschoss befindlichen Einrichtungen, wie dem Schießstand mit der kleinen Waffenkammer oder dem Schwimmbecken, in dem sich hervorragend trainieren ließ. Außerdem hatte Bernd dort unten ein kleines Labor und ein ‚Gästezimmer‘ einrichten lassen, in dem wir unliebsame Personen ‚unterbringen‘ konnten, ohne dass sie eine Möglichkeit zur Flucht fanden.
Und noch weiter, im zweiten Untergeschoss quasi, befindet sich eine riesige Tiefgarage, die durch eine geheime Zufahrt befahren werden kann. Dort lagern Bernds Firmenfahrzeuge, die aus den unterschiedlichsten Gebrauchs- und Luxusfahrzeugen bestehen. Mein Freund beschäftigt dort sogar einen eigenen Mechaniker, der die Wagen wartet und repariert, doch merkwürdigerweise habe ich den Mann bis heute noch nie zu Gesicht bekommen.
„Gut, das werde ich machen“, stimmte ich meinem Chef zu und bemühte mich zu prahlen, ohne es nach Angabe aussehen zu lassen: „Einige Grundkenntnisse konnte ich mir auch schon aneignen. Zum Beispiel ...“, erklärte ich, lächelte freundlich und überlegte, was Birgit mir erzählt hatte.
Nach einer Weile des Schweigens sah mich Bernd fragend an: „Ja, Jonathan? Wolltest du noch etwas sagen?“
„Ja, zum Beispiel die Pheremone. Die wirbeln so durch die Lu...“
Bernd hob verzweifelt die Hände und unterbrach mich: „Jonathan! Erstens heißt es Pheromone, nicht Pheremone. Das sind Botenstoffe, mittels der Tiere zum Beispiel untereinander kommunizieren. Auch der Mensch kann darauf ansprechen. Ich denke aber, dass du vermutlich die Duftmoleküle meinst, die beim Mantracking eine nicht unerhebliche Rolle spielen.“ Er seufzte vernehmlich. „Schnapp dir ein paar Bücher und lies etwas darüber. Ich wünsch dir viel Spaß.“
Ich nickte Bernd zu und machte mich auf den Weg in die Bibliothek. Pheremone, Pheromone, Hormone oder Duftmoleküle - was spielte das schon für eine Rolle. Schließlich war Bingo die Spürnase und der würde schon wissen, was er zu tun hatte.
Trotzdem suchte ich mir ein passendes Buch heraus und setzte mich an einen der Tische. Ich blätterte das Inhaltsverzeichnis durch und blieb bei den Pheromonen hängen.
Bis zur Mittagszeit hatte ich mir ein geballtes Wissen über Sexuallockstoffe angelesen. Den Gedanken an irgendwelche Moleküle schob ich zur Seite. Darüber würde ich in dem Lehrgang schon noch genug erfahren.
Beinahe hätte ich den Beginn der Mittagspause verpasst, doch zum Glück richtete ich ständig ein Auge auf die Wanduhr und klappte so frühzeitig das Buch zusammen. Da der Hundekurs ja schon um zwei Uhr begann und ich Bingo zuvor noch bei Chrissi abholen musste, beendete ich meine Studien ausnahmsweise um halb Zwölf. Es wurde Zeit, sich vor dem anstrengenden Lernen noch ein stärkendes Mahl zu gönnen.
Und wo ging das besser, als bei meinem Freund Curry-Erwin in seinem kleinen kulinarischen Tempel in der Nähe des Rheydter Bahnhofs. Erwin galt unter den Imbissbetreibern so etwas wie Einstein unter den Forschern. Immerhin hatte mein Freund den ‚Jonathan Lärpers Teller Spezial‘ und das Schaschlik ‚Eiffelturm‘ erfunden. Und einige andere Leckereien mehr. Gut, das Schaschlik schwächelte noch etwas, da der Fleischspieß ein Loch in den Boden der Pappschale stanzte, durch den regelmäßig die Soße abfloss, doch der Lärpers Spezialteller mit seinem Übermaß an Mayonnaise und Senf war wirklich ein Gedicht.
Curry-Erwin verstand es, mich zu verwöhnen.
„Jonathan“, rief er freudestrahlend aus, als ich den Imbiss betrat, wischte sich die fettigen Hände an seiner Schürze ab und trat um den Tresen herum auf mich zu. Es war dieses Ritual, das mich jedes Mal zu Tränen rührte und mir zeigte, dass ich hier wirklich willkommen war. Erwin legte die Arme um mich und drückte mich an sich, was einige Fettflecken auf meiner Jacke hinterließ. „Ich freue mich so, dass du endlich einmal wieder in meine kleine Casa gefunden hast! Wo ist dein haariger Freund?“
„Bingo?“, fragte ich, war mir aber sicher, dass er nur den Hund meinen konnte.
„Bingo, Bongo, egal wie. Der Köter, du weißt wen ich meine.“
„Bingo. Den habe ich bei Christine im Büro gelassen, er darf ja ohnehin nicht hier hinein.“ Die letzten Male, als ich mit dem Malinois zum Mittagessen zu Curry-Erwin kam, mussten wir draußen auf dem Gehweg bleiben. Erwin, der uns das Essen hinausbrachte, sprach von ‚Außengastronomie‘ und berechnete entsprechend hohe Preise.
„Eine weise Entscheidung, mein Freund. Ein Hund hat in einer hygienisch einwandfreien Gaststätte nichts verloren.“ Er fuhr mit beiden Händen über seine fleckige Schürze und betrachtete anschließend die Mayonnaise- und Senfrückstände an seinen Fingern. „Komm, ich muss dir etwas zeigen!“
Erwin wuselte zurück hinter die Theke, stellte sich in Positur und gab ein lautstarkes ‚Tata‘ von sich. Ein paar Jugendliche, die hier ihre verfrühte Mittagspause verbrachten und vermutlich vergessen hatten, in die Schule zurückzukehren, sahen sich erschrocken um. Vor jedem der vermutlich vierzehn- bis fünfzehnjährigen stand eine fast leere Flasche Bier, die sie jetzt anhoben. Mit einem dreistimmigen ‚Tatatatata‘ beantworteten sie Erwins Ausruf und tranken auf einen Zug ihre Flaschen leer.
Mein Freund zeigte sich für einen Moment irritiert, doch die Schrecksekunde verging. „Schau her, Jonathan, was siehst du?“
Ich versuchte durch die schmierige Glasscheibe der Theke zu schauen, als das allerdings erfolglos blieb, blickte ich darüber hinweg. Erwin wies auf vier Soßenspender aus Kunststoff, die nebeneinander auf der Anrichte vor ihm standen. Ich zuckte mit den Schultern. „Mayonnaise, Senf und Ketchup“, riet ich und blickte fragend auf den vierten Spender. „Und wofür ist der? Salatsoße?“
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