Warum, fragte er sich. Er hatte seit Jahren seinen Dienst hier draußen erfüllt, ohne Probleme oder Beschwerden. Er besuchte regelmäßig alle Planeten, die seinem Schutz unterstanden, sah nach dem rechten, nahm, wenn auch widerwillig, an den Bällen des Gouverneurs teil. Es war ein angenehmes Leben. Statt, wie er es in seiner Kadettenzeit erlebt hatte, die ganze Zeit eingesperrt zu sein in einem Monstrum aus Metall, höchstens unterbrochen von ein paar Manövern hin und wieder, bekamen sie hier etwas von der Galaxie zu sehen. Oder von ihrem kleinen Teil der Galaxie. Und sie kamen an die frische Luft. Sei es auf den Landwirtschaftsplaneten, sei es an den herrlichen Stränden der Erholungswelt, hin und wieder sogar auf dem Naturplaneten, wenn sie jemanden dort absetzten – oder wenn sie eine der Welten besuchten, um medizinische Hilfe zu leisten. Sie waren mehr als ein Kriegsschiff, sie waren auch Polizei und Krankenhaus für die Region. Wenn ein Konflikt zu schlichten, ein Verbrechen zu lösen oder ein Verletzter zu heilen war – sie flogen dorthin. Es war eine vielseitige Aufgabe, weswegen ihm ein wenig vor ihrer Reise in die Zentralregion graute. Was, wenn er seine Arbeit zu gut gemacht hatte? Was, wenn man ihn befördern, ihm ein größeres Kommando geben wollte? Einen der großen Zerstörer? Oder einen der Jägerträger? Dann wäre er wieder eingeschlossen in einer Blechdose und all dieses herrliche, fast schon freie Leben wäre vorbei. In ein paar Wochen würde er es wissen, denn so lange dauerte es, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Das mochte langsam erscheinen, aber mit Lichtgeschwindigkeit hätten sie für diese Strecke ein paar Jahrtausende gebraucht – da hätte er sich um eine Beförderung keine Sorgen machen müssen!
Als sie den Äußeren Ring erreichten, die erste Verteidigungslinie, die die zentralen Planeten umschloss und natürlich mit „Äußere Kugel“ treffender umschrieben gewesen wäre, rief Cortez seinen jungen Offizier Jordan auf die Brücke.
„Ja, Sir“, meldete sich dieser.
„Sie sind in der Provinz aufgewachsen, oder?“ fragte der Captain.
Jordan nickte.
„Und Sie sind nie ins Zentrum des Imperiums gereist?“
„Nein, Sir. Ich habe meine komplette Ausbildung in den Randgebieten gemacht.“
„Aha.“ Cortez lächelte. „Dann haben Sie so was wahrscheinlich noch nie gesehen.“ Er schaltete den Bildschirm ein und vor ihnen erschien einer der gigantischen Jägerträger. Er war mehrere Kilometer lang und beherbergte tausende von Jägern und Zehntausende von Soldaten. Jordan blieb der Mund offen stehen. „Gehen Sie auf das Aussichtsdeck, von da ist es noch beeindruckender.“
„Ja, Sir, danke Sir.“ Jordan lief hinaus.
„Er wollte schon immer mal einen sehen“, grinste Hasford, der erste Offizier.
„Ich weiß“, meinte Cortez. „Wenn doch nur alle Wünsche so einfach zu erfüllen wären.“
„Ja.“ Der erste Offizier sah auf seinen Bildschirm. „Wir haben eine Nachricht von Admiral Verhoeven.“
„Der war früher mal mein Kapitän.“ Bevor er ihm geraten hatte, sich in die Provinz versetzen zu lassen – eine Entscheidung, die Cortez nie bereut hatte.
„Er schickt Ihnen ein Shuttle“, meldete Hasford. „Sie sollen an Bord gehen und werden dann zu Ihrem Bestimmungsort gebracht.“
„Und die Nova ?“
„Die bleibt hier in Warteposition.“
Er hatte davon gehört, aber er hatte es nie selbst erlebt: Anderen Schiffen, selbst Schiffen des Imperiums, wurde nicht erlaubt, in den Bereich der Zentralplaneten einzufliegen. Es war eine alte Regelung, aus einer Zeit vor etwa 900 Jahren, als Imperiale Offiziere einen Umsturz planten. Der Staatsstreich wurde brutal niedergeschlagen und Imperialen Soldaten war das Betreten der Zentralplaneten verboten – eine ähnliche Regelung, wie im alten Rom. Aber dass sie schon hier abgefangen wurden, weit vor den Inneren Ringen, überraschte ihn ein wenig. Aber vielleicht hatte er seinen Zielort auch einfach schon erreicht und musste nicht weiterfliegen?
„Shuttle dockt in 10 Minuten.“
„Ich mach mich auf den Weg. Sie haben das Kommando.“
Langsam wurde er ein wenig nervös. Man hatte ihn von seinem Kommando abberufen, hatte ihn hierher bestellt, ohne ihm zu sagen, was der Grund dafür war. Jetzt hatte man ihn auf einen der riesigen Jägerträger gebracht, aber noch immer hatte man ihm keinen Grund für seine Reise genannt. Als er durch ein Schott trat, kam er in einen großen Konferenzraum. Admiral Verhoeven bemerkte ihn und kam freudestrahlend auf ihn zu.
„Cortez“, rief er, „Sie sehen gut aus.“
„Danke, Sir.“ Cortez schüttelte dem Admiral die Hand. „Sie auch. Die Admiralsstreifen stehen Ihnen.“
„Aber sie sind sehr schwer zu waschen.“ Verhoeven lachte. „Nun, Sie wundern sich sicher, warum Sie hier sind.“
„Ja“, nickte Cortez, der nun Gelegenheit hatte, seinen Blick durch den Raum schweifen zu lassen. Da waren eine Menge Admirale und ein paar Kapitäne. Die Admirale waren die Creme de la Creme, die Kapitäne waren alle in seinem Alter. „Was…“
„Eine Art Sicherheitskonferenz.“
„Eine was?“
„Hin und wieder treffen sich alle Admirale, um über Dinge zu sprechen, wichtige Dinge für das Imperium, das können Sie sich ja denken. Und hin und wieder ist es mal ganz gut, wenn man neues Blut in diese Runde bringt. Um ein paar neue Ideen zu bekommen. Jedenfalls war das der Grundgedanke. Wir versuchen das heute zum ersten Mal. Also haben wir dafür ein paar Kapitäne eingeladen. Natürlich konnten wir Ihnen nicht mitteilen, warum Sie hierher kommen sollten…“
„…weil eine Versammlung der höchsten Admiräle des Imperiums ein hervorragendes Angriffziel wäre.“
Verhoeven lächelte. „Ich sehe, Sie verstehen.“
„Dann können Sie nur eins hoffen.“
„Und das wäre?“
„Dass keiner der anderen Admiräle ein Verräter ist!“
Streng genommen hatte es in den letzten Jahrhunderten genauso wenig Verräter gegeben, wie es Krieg geben hatte. Dieses eine Ereignis, dieser eine riesige Krieg, der die Galaxis offenbar vereint hatte, schien dafür gesorgt zu haben, dass es danach nahezu keine anderen größeren Konflikte mehr gegeben hatte. Und doch sprach niemand über dieses Ereignis. Es hatte die Völker auch nicht zusammengebracht. Die Menschen blieben unter sich und die anderen Völker blieben ebenfalls unter sich. Eine Verbrüderung war ausgeblieben, fast so, als gäbe es da eine Schande, eine gemeinsam geteilte Schande, über die niemand sprechen wollte.
„Über was sprechen wir?“ fragte Cortez, als sie sich alle an dem großen Tisch niederließen.
„Über dies und das“, meinte der Admiral vage.
„Aha.“ Er war also wochenlang hierher gereist für dies und das. Nun, er musste sich nur blöd genug anstellen, dann würde man ihn vielleicht nie wieder einladen. Oder zum Admiral befördern. Er wusste es nicht.
„Dies ist ein außergewöhnliches Treffen“, eröffnete Großadmiral Berlitz die Versammlung. Er war ein alter Mann mit scharfem Blick. „Unser Freund Admiral Verhoeven hielt es für hilfreich, ein paar junge Offiziere in diese heilige Runde einzuladen und da Sie jung und erfolgreich sind, möchte ich Sie nicht mit langem Vorgeplänkel langweilen.“ Cortez war sich nicht sicher, ob der Großadmiral nicht gerade dabei war, genau dieses Ziel zu verfehlen. „Wir beschäftigen uns hier mit Sicherheitsfragen. Und wir erörtern heute eine Frage, bei der wir interessiert sind, wie Ihre Antwort dazu ausfallen wird.“ Er sah in die Runde. „Die Frage mag Ihnen seltsam erscheinen, aber wir fragen uns: Wie viele Schiffe würde man brauchen, um das Imperium in Chaos zu stürzen?“
„Das ist völlig unmöglich“, rief ein junger, schneidiger Kapitän. „Ich befehlige einen Jägerträger an den Inneren Ringen und ich kann Ihnen versichern: Sie brauchen eine riesige Flotte, um einen der Ringe zu durchbrechen. Und ich habe, als wir hier ankamen, den Äußeren Ring gesehen, und ich glaube, wenn es eine Armada versucht, diesen Ring zu durchbrechen, dann wird nicht mehr viel übrig sein, mit dem wir uns an den Inneren Ringen noch auseinandersetzen müssen.“
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