Ein Geräusch! Kratzen, Schlurfen, Atmen? Mein Kopf schmerzt und ich fürchte, dass mir meine Sinne einen Streich spielen. Ich kneife die Augen zusammen, schaue zurück zum Schreibtisch und langsam, wie durch dichten Nebel, erreichen mich wieder Elvis’ Worte.
„… Trupp hat euch gefunden, gerade noch rechtzeitig.“
Er sieht mich an und bemerkt, dass ich ihm nicht zugehört habe. Nervös stehe ich auf, denn ich werde das Gefühl nicht los, dass etwas geschehen ist. Eine dunkle Vorahnung.
„Alles in Ordnung?“, fragt Elvis und lugt über seine Brille hinweg. Ich achte nicht auf ihn, gehe zum Fenster und blicke auf den Vorhof hinunter.
Es sind keine Zombies in Sicht, dafür Stühle und Tische, Sträucher und ein Weg, der zu einem Wald führt. Von hier aus blicke ich direkt auf den anderen Flügel des Krankenhauses. Hinter den Fenstern gibt es kein Leben, zumindest keins, das ich von Elvis’ Büro aus erkennen kann. Es ist eine nette Anlage.
„Wie viele Menschen leben hier?“, frage ich und hoffe, dass es nicht allzu viele Überlebende gibt. Menschen bedeuten Risiko. Wäre es unhöflich, nach der Sterberate zu fragen?
„Wir behandeln rund vierzig Patienten, überwiegend ältere Leute, die nicht in der Lage waren, das Bett zu verlassen. Es gibt nicht viele, die neu zu uns gestoßen sind.“
„Wie lange lag ich im Koma?“, frage ich weiter, denn bei der Zahl Vierzig wird mir schwindelig.
Die Umgebung ist mir seltsam vertraut. Mich überkommt dasselbe Gefühl wie zuvor im Flur. Ich war schon einmal hier. Und das würde bedeuten …? Verdammt, die Erinnerung rutscht mir immer wieder durch die Finger.
„Sechs Wochen“, antwortet Elvis knapp und aus seiner Stimme höre ich Unmut, denn er will die Fragen stellen und sie nicht beantworten.
„Wow“, ist alles, was ich darauf antworte.
Sechs Wochen außer Gefecht und in den Händen von Fremden. Sechs Wochen hilflos ausgeliefert. Sechs Wochen ohne meinen Bruder. Kein Wunder, dass Jules eine spezielle Überwachung benötigt. Er macht sich sicher wahnsinnige Sorgen.
„Ich brauche eine Karte“, sage ich. „Ich will wissen, wo genau ich bin.“
Lächelnd erhebt sich Elvis von seinem Stuhl und tritt zu mir ans Fenster. Die Sonne ist hinter ein paar Wolken verschwunden.
„Gern, aber nach meinen Informationen bist du hier aufgewachsen. Wozu also eine Karte?“
Er legt eine Hand auf meine Schulter. Der Boden bebt unter meinen Füßen und ich stütze mich am Fensterbrett ab, um nicht zum zweiten Mal ins Koma zu fallen.
„Cherryhill“, flüstere ich und unterdrücke ein irres Kichern. Warum habe ich es nicht gleich begriffen?
Ich fühle mich wie ein Hamster in einem durchsichtigen Laufball. Egal wie schnell ich mich bewege, egal welche Richtung ich einschlage, ich renne immer gegen eine Wand. Und als wäre das nicht genug, bin ich immer von meiner eigenen Scheiße umgeben.
„Cherryhill“, bestätigt Elvis mit einem kurzen Nicken. „Cherryhill Medical Center. So heißt das Krankenhaus.“
Ich bin starr und selbst als er sanft an meinem Arm zieht und „Komm, setz dich“ sagt, rühre ich mich nicht von der Stelle.
Dann höre ich es wieder und alle Nackenhaare richten sich auf. Ein Schlurfen, Keuchen, Kratzen. Ganz deutlich und nah. Diese Geräusche bilde ich mir definitiv nicht ein, dafür habe ich sie zu oft gehört.
„Julie …“, sagt Elvis und bevor ich etwas erwidern kann, klopft es an der Tür.
Nein, das ist kein Klopfen. Kein Geräusch, das ein Mensch mit seiner Hand verursacht. Es ist ein Pochen, als würde jemand oder etwas gegen die Tür rennen.
Ich erkenne den Unterschied.
Elvis nicht.
„Das ist sicher mein Kollege“, sagt er und geht mit großen Schritten durch das Zimmer. „Warte einen Moment.“
„Nein“, antworte ich und endlich finden Kopf und Körper wieder zusammen. Ich drehe mich um, um ihn aufzuhalten.
Doch es ist zu spät. Elvis öffnet die Tür und obwohl er mit dem Rücken zu mir steht, sehe ich sein Stirnrunzeln.
Es ist nicht sein Kollege, der ihn erwartet.
Elvis öffnet die Tür. Doch bevor der Besuch ihm in die Schulter beißt, stürme ich zu dem Arzt und ramme ihn mit Anlauf von der Tür weg. Sein Mund steht offen und ein erschrockenes „Oh“ liegt auf seinem Gesicht, aber ich habe keine Zeit, mich um meinen behandelnden Arzt zu kümmern. Mit der anderen Hand ziehe ich den Stinker ins Zimmer und trete mit dem Fuß die Tür zu.
„O Gott!“, schreit Elvis und seine tiefe Stimme klingt schrill – geradezu komisch. „Julie … O Gott! Was machst du da?!“
„Aus dem Weg“, brülle ich, stelle mich hinter den Zombie und versetze ihm einen festen Tritt in den Rücken. Es ist einer von der alten toten Sorte, die sich nicht mehr so flink bewegen, aber trotzdem noch gefährlich sind. Was Elvis nicht weiß: Auf dem Flur warten weitere. Auf die Schnelle konnte ich drei oder vier zählen, aber das heißt nicht viel.
Der Zombie gerät durch meinen Tritt ins Straucheln und seine Arme schlackern unkontrolliert von einer Seite zur anderen. Ich hole aus und versetze ihm einen weiteren Stoß, der ihn gegen die Wand taumeln lässt. Wie eine Puppe fällt er zur Seite. Elvis hat sich in der Zwischenzeit hinter seinen Schreibtisch gestellt und beobachtet die Szene.
„Oh, Scheiße … Nein … Nein …“, stammelt er, bis ich ihn unterbreche.
„Such eine Waffe“, blaffe ich, „und hör mit dem Quatschen auf!“
Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich darauf zu verlassen, dass Elvis etwas Vernünftiges findet, während ich auf den Zombie steige und mit den Knien seine Arme fixiere.
Bäh, denke ich. Sie sind genauso widerwärtig, wie ich sie in Erinnerung habe.
Sein Kiefer klappt auf und zu und die wenigen Haare, die ihm geblieben sind, kleben an seinem fleckigen Schädel. Seine Augen – ich gehe davon aus, dass es ein Mann ist – sind bleich und tot. Er ist schon lange fort, denn ich sehe nicht einmal mehr Hunger in ihnen. Allein der Virus – oder was diese Scheiße verursacht – treibt den untoten Körper voran. Der Stinker tut mir beinahe leid, aber nur solange, bis er sich aufbäumt und ungeahnte Kräfte zeigt.
Mit der Faust schlage ich ihm gegen die Schläfe. Wenn Elvis nicht bald eine brauchbare Waffe findet, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen. Das ist zum Glück mein Spezialgebiet.
Ich saß noch nie auf einem Rodeo-Bullen, aber genauso stelle ich mir einen Ritt darauf vor. Der Zombie bäumt sich mit enormer Kraft auf, während ich alles gebe, im Sattel zu bleiben – oder in meinem Fall: auf dem Bauch des Untoten. Es dauert nicht lange und ich verliere die Geduld.
„Hör auf!“, brülle ich dem toten Mann ins Gesicht, obwohl ich erkenne, dass es nichts bringt. Allein der Versuch, mit ihm zu sprechen, ist dumm. Ich habe zwar bereits herausgefunden, dass es Unterschiede zwischen den Zombies gibt, aber in diesem Exemplar stecken nur Maden, Fäulnis und Dreck.
Und auf einmal, als verstünde er mich doch, beruhigt er sich und liegt starr und zähneklappernd unter mir. Zufall oder nicht? Keine Ahnung, mir bleibt keine Gelegenheit, es herauszufinden, denn Elvis springt mit etwas Glänzendem auf uns zu. Wie ein Irrer rammt er dem Zombie eine Schere ins Auge und endlich herrscht Ruhe. Aber nicht lange, hinter der Tür warten schließlich die Nächsten.
„Danke“, sage ich und betrachte den Untoten ein letztes Mal. „Für eine Zimperliese warst du gar nicht so schlecht.“
Keuchend sitzt Elvis neben mir auf dem Boden und starrt abwechselnd zum Zombie und dann wieder zu mir. Ich bezweifle, dass er von dem Vorfall etwas mitbekommen hat. Er war mit sich selbst und seinen Ängsten beschäftigt.
„Draußen sind noch mehr“, sage ich und es klingt unbeabsichtigt wie eine Drohung.
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