In Bezug auf die westliche säkulare Entwicklung, würde ich es allerdings vorziehen, hier bei Taylor zu bleiben: Säkularismus war etwa 7 Jahrhunderte lang ein langsam wachsendes Element innerhalb der westlichen religiösen Kultur, aber richtig zur Blüte kam er eigentlich erst ab den 1960er Jahren. Es war kein Zufall, dass dies das Jahrzehnt war, in dem das säkulare Christentum zum ersten Mal auftauchte, und in dem Ñāṇavīra den wohl ersten säkularen buddhistischen Text verfasste: Notizen zu Dhamma und andere Schriften [Clearing the path (erstmals 1987 veröffentlicht)].
Skeptizismus und Pragmatismus
Gehen wir zurück zum Anfang des Kapitels: Stephen zitiert den Buddha, als er sich zu den heftigen Kontroversen zwischen den gegensätzlichen metaphysischen Glaubensvorstellungen da draußen, auf dem spirituellen Marktplatz seiner Zeit und Umgebung äußert. Menschen, die sich auf diese Art von Auseinandersetzungen einlassen, sind blind, sagt der Buddha: „Sie wissen nicht, was heilsam und was schädlich ist. Sie verstehen nicht, was der Dharma ist und was er nicht ist.“
Spult man 2.300 Jahre weiter, finden wir pragmatische Philosophen, die ihre Kollegen schockieren, indem sie sich diesen Maßstab zu eigen machen. Eine gute Idee ist eine, die nützlich und vorteilhaft ist, nicht eine, die für sich beansprucht, mit der ein oder anderen Darstellung letztendlicher Wahrheit übereinzustimmen. Der Buddha macht unmittelbar darauf aufmerksam, dass sein Dharma auf genau diesem Anspruch, nützlich zu sein, beruht, nicht darauf, letztendlich wahr zu sein.
Das ist „Probieren geht über Studieren“ (ehipassiko)-Dharma, nicht etwas, das „richtig“ oder „falsch“ ist. Als er gefragt wurde, „Was sind die Lehren eines gesamten Lebens?“, antwortete der Zen-Meister Yunmen (10. Jahrhundert n. Chr.): „Eine angemessene Aussage“. Diese Antwort mag zunächst nur wie eine weitere kryptische Zen-Skurrilität klingen. Aber denken Sie darüber nach. Wenn jemand, der Ihnen nahesteht, sich in einer Krise befindet – von der Spülmaschine, die Mitten im Programm kaputt geht, bis hin zu einer plötzlichen persönlichen Tragödie – auf welche Weise sollte sich Ihre jahrelange Dharma-Praxis in diesem Moment manifestieren? Yunmen trifft den Nagel auf den Kopf, nicht wahr? Das letzte, was Ihre Freundin braucht, ist eine neunmalkluge Analyse ihrer misslichen Lage, für wie ungemein zutreffend sie diese auch halten mögen.
Der traditionelle Buddhismus besteht darauf, und definiert sich teilweise darüber, metaphysische Ansprüche auf die Wahrheit zu besitzen – solche wie die Glaubenslehre der Wiedergeburt – ungeachtet ihrer Nützlichkeit und Plausibilität im Kontext neuzeitlicher Kultur. Beispielsweise hat Ajahn Brahmavamso – ein bekannter, im Westen geborener Mönch, der sich weit aus dem Fenster gelehnt hat, um sich für die Frauenordination einzusetzen, - allen Dharmalehrern verboten, in der Buddhist Society of Victoria zu lehren, wenn sie es unterlassen, Wiedergeburt schriftlich zu bejahen. Angefangen bei Stephen Batchelor! Offensichtlich bedeutet der Dharma für diese beiden altgedienten buddhistischen Praktizierenden etwas vollkommen Unterschiedliches.
Der Buddha hat seinerzeit vielerlei derartige Dinge erlebt. Einmal verglich er den Dharma mit einer Giftschlange. Man muss auf geeignete Art und Weise mit ihr umzugehen wissen, legt er dar, andernfalls kann sie einem beträchtlichen Schaden zufügen. Welchen Umgang schlägt uns Stephen vor?
Den Dharma verorten
Wir müssen den Dharma auf einer gemeinsamen Basis verorten, die alle Menschen teilen, schreibt er. Natürlich beginnt das damit, dass wir bedingte, sterbliche, verletzliche Wesen sind, die mit einem Bewusstsein ausgestattet sind, das uns zu unserer gemeinsamen Erfahrung von „Nicht-Wissen, Staunen und Verblüfftheit“ führt (S. 14). Beim Dharma geht es darum, diese gemeinsame Basis zu leben und diese gemeinsame Erfahrung auf möglichst geschickte und sinnvolle Weise zu machen – auf eine Weise, die uns zu einer anderen Erfahrung führt, die für uns erreichbar ist: Erwachen.
Stephen erzählt von seinen ersten sieben Jahren als Dharma-Praktizierender in der Gelug-Schule des Tibetischen Buddhismus. Es war „ein intaktes, mittelalterliches, buddhistisches Weltbild“, inklusive der Glaubensinhalte, die die meisten von uns heute merkwürdig finden würden. Aber es ließ ihn auch eintauchen „in eine ausgeklügelte Kultur des Erwachens“ (S. 15). Aus diesem Grund bot es ihm eine Dharma-Grundlage von unschätzbarem Wert. Wenn der Dharma eines ist, dann eine Kultur des Erwachens, mit allem, was er (manchmal für uns hyper-individualistische Westler unbequem) für die Gemeinschaft und die Zuflucht des Sangha-Lebens bedeutet.
Das Leitmotiv dieser Kultur, wie Stephen es von seinen ersten Mentoren aufnahm und seither daran festgehalten hat, betrifft die Leerheit. Also, die Erfahrung einer direkten Einsicht in die Abwesenheit von „etwas, das von vorneherein nie da war“, nämlich, eine von sich verändernden Bedingungen unabhängige Existenz.
Die verschiedenen Arten, wie die Leerheit gelehrt worden ist, erzählen eine Geschichte darüber, wie doktrinäre Herangehensweisen dazu neigten, die ursprüngliche Bedeutung der Leerheit zu verzerren. In den Mahāyana-Schulen ist Leerheit (Shunyata in Sanskrit) ein großes metaphysisches Konzept, das sein Dasein in der Buddha-Lehre bescheidener als „Nicht-Selbst“ (Anattā in Pali) begann. Allerdings sprach der Buddha selbst einmal von Sunya („Leerheit“ in Pali) in einem Ausschnitt aus einem Dialog mit Ananda, der ihn fragte, ob es wahr sei, dass er „meist in Leerheit weilend“ lebe. Der Buddha antwortete: Ganz recht.
Somit ist Leerheit hier ein metaphorischer Aufenthaltsort, eine Wohnstätte, in der man leben kann. Sie ist, schreibt Stephen, „ein Blickwinkel (…), eine Sensibilität, eine Art und Weise, in dieser überwältigenden, ungewissen Welt… Leerheit (…) offenbart die Würde einer Person, die erkannt hat, was es wirklich bedeutet, ein Mensch zu sein“ (S. 20). Sie hat nichts damit zu tun, irgendeine esoterische Wahrheit aufzuknacken, und auf diese Weise über das Leiden oder das Menschsein im Allgemeinen hinauszugehen. Vielmehr ist es ein Weg, sich ins Menschsein zu vertiefen, indem man die Reaktivität hinter sich lässt.
„Es kommt nicht darauf an, Leerheit zu verstehen, sondern in ihr zu weilen. In Leerheit zu weilen bringt uns auf den Boden der Tatsachen zurück und zurück zu unserer Körperlichkeit“. Und auf diese Weise kommt Stephen zu „einer der zentralen Fragen“, denen er in diesem Buch nachgehen wird: „Wie hat sich die Idee der Leerheit von einer Möglichkeit, nicht von Reaktivität bedingt auf der Erde zu weilen, zu einer höchsten Wahrheit entwickelt…?“
(S. 23).
Im Gegensatz zu jener Entwicklung führt der Pfad der Praxis nicht zu Gewissheit, sondern zum Gegenteil: zu einer Begegnung mit Ungewissheit, Zweifel, existentialistischem Hinterfragen und dem „alltäglich Erhabenen“ (ein Begriff, den ich in Unterrichtseinheit 11 genauer betrachten werde). Eine gute Anleitung bietet hierbei die koreanische Sŏn-Praxis der Meditation über die Frage: Was ist das? Man stellt diese Frage mit dem ganzen Körper, „seinen 360 Knochen und Gelenken und aus den 84.000 Poren der eigenen Haut“ (S. 24).
Gemeinschaft, Sangha
Für den Buddha war das Vehikel dieser Kultur des Erwachens eine auf Gleichheit beruhende, alle Geschlechter einschließende Gemeinschaft (Sangha), die sowohl Mendikanten (Almosenempfänger, Entsagende) als auch Anhänger (Laien, die Nicht-Profis) umfasste. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass traditioneller Buddhismus eine Organisationskultur unterstützt, die im Widerspruch zu diesem Modell steht – eine, die Ordensmitglieder über Laien stellt, und in der Frauen untergeordnet und marginalisiert werden.
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