Und auf diese Weise lernen wir Mahānāma kennen (den Cousin des Buddha, der unter schwierigen Begleitumständen zum Oberhaupt der kleinen Republik Sakiya wurde – zuvor hatte Buddhas Vater Suddhodana diese Position inne), Pasenadi (den König von Kosala) und Jīvaka (den Arzt am Hofe von Magadha). Solche Menschen übten grundlegende Funktionen in der Gesellschaft aus und die Art und Weise, wie der Buddha sie beriet, spiegelt seine eigene Vorstellung einer intakten Gemeinschaft und einer vorbildlichen Gesellschaft wider.
An dieser Stelle können wir ein Gefühl für die bürgerliche Rolle eines Dharma-Praktizierenden bekommen. All dies bildet einen Kontrast zur herkömmlichen Beschäftigung des Buddhismus mit dem gleichmütigen Ordensmitglied, das politische oder andere weltliche Verpflichtungen beim Streben nach persönlicher Befreiung scheut. In ähnlicher Manier greift Stephen die Erfahrung, den Dharma zu praktizieren, heraus und die niemals endende Herausforderung, eine Lebensweise zu kultivieren, die dessen Werte verwirklicht. Im Fall eines Mönchs, dem wir hier begegnen, Sunakkhatta, erweist sich die Veränderung als zu tiefgreifend und er wirft resigniert hin.
Er stellt die Frage: Spricht eine säkulare Herangehensweise an die Dharma-Praxis gegen Religion? Nicht, wenn man Paul Tillichs Vorstellung akzeptiert, worum es grundlegend in der Religion geht – ein „unbedingtes Anliegen“ zu verfolgen, wie die oben genannten existentialistischen Fragen.
Wie oben erwähnt, umfasst Stephens unbedingtes Anliegen die existentialistischen Fragen, die auftauchen, wenn er sich mit seiner eigenen Geburt und seinem eigenen Tod auseinandersetzt. Gemäß seiner Interpretation bietet der Buddha vier zentrale einzigartige Leitgedanken für dieses Vorhaben an: seine „vier Ps“:
das Prinzip der Bedingtheit
die Praxis der vierfachen Aufgabe
die Perspektive des achtsamen Gewahrseins
der Primat (Kraft, power im Original) der Eigenständigkeit (S. 48)
Gut, fangen wir an.
Fragen zur Vertiefung
1 Was würden Sie jemandem antworten, der mit aufrichtigem Interesse fragt: „Sind Sie Buddhist?“
2 Was halten Sie von Stephens Herangehensweise an den Pali-Kanon: jene Äußerungen des Buddha zusammenzutragen, die in einzigartiger Weise von ihm stammen, im Gegensatz zu denen, die jeder beliebige Lehrer seiner Zeit hätte äußern können?
3 Wo haben sie gesucht, um mit Ihrer Geburt und Ihrem Tod zurechtzukommen?
4 Mussten Sie jemals etwas von Grund auf neu überdenken? Wie ist es verlaufen?
5 Wie hilfreich (oder überhaupt möglich) ist es, zu versuchen, zu den Anfängen von etwas zurückzugehen, das eine so lange Geschichte hat, wie der Buddhismus?
6 Haben die einleitenden Bemerkungen über eine säkulare Herangehensweise an Religion bei Ihnen Anklang gefunden? Falls ja, warum? Und falls nein, warum nicht?
Jenseits des Buddhismus?
In dieser Unterrichtseinheit sehen wir uns das erste Kapitel von Stephens Buch an, das ebenfalls „Jenseits des Buddhismus“ heißt. Hier entfaltet er die Zielrichtung in Zusammenhang mit diesem Buch und den Gegenstand seiner Untersuchung. In der einführenden Unterrichtseinheit haben wir Stephens Buchtitel in eine Reihe mit anderen Büchern eingeordnet, deren Titel mit „Jenseits [„After“]“ beginnen: Gianni Vattimos Jenseits des Christentums, Don Cupitts Nach Gott (beides Texte von christlichen gedanklichen „Verwandten“ von Stephen) und die Essay-Sammlung After mindfulness, die 2014 von seinem Zen-Freund, dem existenzialistischen Psychotherapeuten Manu Bazzano herausgegeben wurde. In allen vier Fällen impliziert „jenseits“, dass wir über die traditionellen, gewohnheitsmäßigen, institutionalisierten und nicht hinterfragten Darstellungen des betreffenden Themas hinausgehen.
In den letzten Abschnitten des Kapitels bezeichnet Stephen sein Projekt als eine Erforschung eines säkularen Buddhismus, welcher, wie er schreibt, „eine Rückkehr zu den Wurzeln der Tradition anstreben und den Dharma neu denken und neu ausdrücken“ werde (S. 37). Teil des „Rückkehr“-Aspekts ist es, aus den frühen Lehren so zu schürfen, wie diese waren, bevor „die ersten Geistlichen“ begannen, an ihnen herumzubasteln und sie mit institutionell linientreuen Überarbeitungen, Ergänzungen und Kommentaren zu überlagern.
Der Teil „neu denken und neu ausdrücken“ bezieht sich darauf, die Nützlichkeit und Anwendbarkeit dieser Lehren zu erschließen für die Menschen des „säkularen Zeitalters“ mit unserer diesseitigen Ausrichtung, unserer diesseitigen Skepsis, unserem auf Evolutionsbiologie, Urknalltheorie, Neurowissenschaft, usw. basierenden Realitätskonstrukt. Für diejenigen unter uns, die sich die Zeit nehmen können, und die an philosophischen Fragen interessiert sind, wäre Charles Taylors‘ 1297 Seiten umfassendes Buch „Ein säkulares Zeitalter“ eine hervorragende Begleitliteratur. Die zwei Hauptaspekte, die Taylor anführt sind:
Säkularität und Religion schließen sich nicht gegenseitig aus, zumal Säkularität ein Produkt der langfristigen religiös-kulturellen Entwicklung im Westen ist und
In religiöser Hinsicht entsteht unser säkulares Zeitalter aus „veränderten Glaubensbedingungen“: Wir glauben nicht mehr an überlieferte Mythen und übernatürliche und metaphysische Behauptungen – und können nicht einmal mehr deren Sinn verstehen. Daher muss jeder von uns die Verantwortung dafür übernehmen, was er glaubt, wissend, dass es reichlich alternative Sichtweisen gibt – wissend, dass keiner von uns für sich beanspruchen kann, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein.
Stephens Interpretation eines säkularen Buddhismus
Stephens säkularer Buddhismus versucht den Dharma als lebendige Überlieferung wiederzubeleben und distanziert sich energisch von zwei verwandten quasi-säkularen Unterwanderungen der Überlieferung in der Gegenwart:
Der Bewegung, die „alle Spuren von Religiosität ablegen will. Ich strebe keinen Dharma an, der wenig mehr als eine Anzahl von Selbsthilfetechniken ist, die uns helfen, in einer kapitalistischen Konsumgesellschaft gelassener und effektiver zu funktionieren.“ Dies schließt eine Achtsamkeits-Industrie ein, die „eine solipsistische Isolation des Selbst verstärkt, indem sie Praktizierende gegen beunruhigende Emotionen, Impulse, Ängste und Zweifel, die unsere fragilen Egos überfallen, immunisiert“ (S. 34). Unter anderem „entzaubert“ diese Säkularisierungstendenz die Welt, während Stephen versucht, sie „wieder zu verzaubern“, indem er ein Gefühl des Staunens, der Verblüffung und des Erhabenen im alltäglichen Leben stärkt und
Dem Angebot (und der Vermarktung) buddhistischer Praktiken und Vorstellungen auf eine Art und Weise, die sie für diejenigen „schmackhaft machen möchte, die kein Interesse daran zeigen, sich auf die zentralen Werte des Dharma einzulassen“ (S. 34).
Stephens säkularer Buddhismus ist weitaus radikaler als solche Erscheinungsformen, weil er, als ein ethisches Unterfangen, alle Aspekte unseres Lebens durchdringt und einer Abschottung widersteht.
Ein Thema, das wir aufgreifen sollten, betrifft seine Darstellung der früheren Laienbewegung und Modernisierung des Buddhismus, die ebenfalls für eine säkulare Tendenz steht. Das einschlägigste Beispiel, das er nennt, sind die Vipassanā-Schulen, die im späten 19. Jahrhundert in Burma, Sri Lanka und Thailand als eine Form des Widerstands gegen das Eindringen protestantischer christlicher Missionare entstanden sind.
Die Gründer der Schulen gingen in zweifacher Hinsicht vor wie die Protestanten: Sie machten den Laien die Texte zugänglich (auch in Umgangssprachen), werteten die Laienpraxis auf und würdigten sie. Der Protestantismus war selbst ein Vorbote der Moderne und der „protestantische Buddhismus“ der Vipassanā-Schulen repräsentierte sicherlich Modernisierung und eine gewisse Laisierung. Aber andererseits bewahrten diese Bewegungen die althergebrachten Lehren, Hierarchien und Institutionen des bereits bestehenden Buddhismus.
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