Theodor Fontane - Jenseits des Tweed

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Jenseits des Tweed handelt von einer Reise nach Schottland, die Fontane mit seinem Freund, dem Schriftsteller Bernhard von Lepel, im Sommer 1858 unternahm. Dabei schildert Fontane den Verlauf der Reise chronologisch. Von London reisen sie in die schottische Hauptstadt Edinburgh. Die ersten 13 Kapitel spielen dort. Von dort führt der Reiseweg in Richtung Norden und annähernd gegen den Uhrzeigersinn in die Stadt Stirling, zum See Loch Katrine, in die Städte Perth und Inverness, zum Culloden-Moor, dem Kaledonischen Kanal, nach Oban an der schottischen Westküste, zu den Inneren-Hebriden-Inseln Staffa und Iona und dem See Loch Lomond. Schließlich wird Edinburgh wieder erreicht.

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Jenseits des Tweed

Theodor Fontane

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Von London bis Edinburg

Johnstons Hotel. Erster Gang in die Stadt

Holyrood-Palace

Von Holyrood bis Edinburg-Castle

Edinburg-Castle

High-Street und Canongate

1. Moray-House

2. City-Cross und Old-Tolbooth

3. »Straßenfegen« oder hie Douglas, hie Hamilton

4. Archibald Bell-the-Cat

Westbow, Grassmarket, ein paar Kapitel aus der Lynchjustiz

Spukhäuser

Ein Abend in High-Street

Ein Gang nach St. Anthony's Chapel

Linlithgow

Floddenfield

Von Edinburg bis Stirling

StirlingCastle

Loch Katrine oder das Land der »Lady of the Lake«

Die Jungfrau vom See

Ein Sonntag in Perth

Von Perth bis Inveness

Inverness

Cullodon Moor

Der Letzte Hochlandshäuptling

(Unserem Culloden-Führer nacherzählt)

Der Kaledonische Kanal

Oban

Staffa

Iona oder Icomkill

Von Oban bis zum Loch Lomond – Rückkehr nach Edinburg

Lochleven-Castle

Melrose-Abbey

Abbotsford

Impressum

Vorbemerkung

Eine Reise an der Seite eines Freundes ist eine Freundschaftsprobe, wie die Ehe eine Liebesprobe ist. Wir haben sie bestanden. Wem anders könnt' ich dieses Buch zueignen, als Dir, dem besten, dem nachsichtigsten aller Reisegefährten. Freilich, je mehr ich empfunden habe, wie gut sich's mit Dir wandert, desto lebhafter ist auch die Rückerinnerung an einen alten Pakt in mir geworden, an ein gegenseitiges, halb verjährtes Versprechen, an das diese Zeilen Dich leise mahnen mögen.

Entsinnst Du Dich des Silvestertages 1846? Wie gestern stehen die Stunden vor meiner Seele, wo wir durch die winterstille, märkische Heide fuhren und endlich vor dem Gutshaus Deines Vaters hielten. Den alten Herrn fesselte damals schwere Krankheit auf dem fernen Rügen, Todesahnung hatte sein Herz beschlichen, und die Weisung war an Dich gekommen, in alten Schränken nach alten Familienpapieren zu suchen. Es galt ein Testament, die Bestellung seines Hauses; das führte uns hinaus. Wie ein verzaubertes Schloß im Märchen lag das alte, graue Steinhaus da, eine hohe Schneemauer um sich her und überragt von den halb dunklen, halb glitzernden Edeltannen des Gartens. Stille draußen und drinnen. Auf unser wiederholtes Klopfen und Klingeln erschien ein alter Diener, verwöhnt und mürrisch, wie alle alten Diener sind. Zögernd, mit sauersüßem Gesicht, fand er sich endlich in Deine Autorität. Wir öffneten die Fensterläden, schafften Luft und Licht in den halb spukhaft gewordenen Räumen und fanden endlich, was wir suchten – die Papiere. Inzwischen war es wohnlicher geworden in dem großen Gartensaal, ein Feuer prasselte im Kamin, statt des Staubes breitete sich ein Tischtuch über die Tafel, und das frugale Mahl, das angerichtet war, adelte sich selbst durch die Flasche alten Rheinweins, die auf dem Tische stand. Wir setzten uns, und plaudernd von diesem und jenem, lief mein Auge an den roten Samttapeten hin und musterte die Bilderschätze, die in langer Reihe daran hingen. Ich sah zum ersten Male den schönen Kopf von Beatrice Cenci und vor allem den Stolz Eures Hauses, das Wert- und Prachtstück der Sammlung – das Modell des Moses von Buonarottis eigener Hand. Meine Fragen drängten sich, und Deine Lippen – nicht Freunde sonst von vielem Reden – flossen über bei der Erinnerung an schöne, italienische Tage. Wir füllten die Gläser bis zum Rand und stießen an auf ein Reisebündnis und ein gemeinschaftliches »jenseits der Alpen«.

Der Wunsch jener Stunde ist uns bis heute versagt geblieben. Nicht Deine Hand hat mich den kapitolinischen Hügel hinauf- oder in die Campagna hinausgeführt, sondern umgekehrt, die meinige übernahm Führerdienste, wenn wir in alten Douglas-Schlössern umherforschten oder die Stelle suchten, wo Fitzjames und Roderick Dhu miteinander gekämpft. Aber die alten Zusagen bleiben in Kraft, und während ich Dir dies Buch überreiche, das die Bilder zwischen dem Tweed und dem Moray-Busen noch einmal vor Dir entrollen soll, sprech' ich zugleich die Hoffnung aus, daß auch der Tag kommen möge, wo wir, wie auf Edinburg-Castle, so auf Castell St. Elmo gemeinschaftlich stehen. Welche Wege aber auch die heiteren Reisegötter in Zukunft uns führen mögen, vor allem mög' uns gute Kameradschaft auf dem Lebenswege beschieden sein, den wir, seit zwanzig Jahren nun, in Leid und Freude zusammengehn.

Th. F.

Von London bis Edinburg

Geschlagen, gestoßen, gepreßt, gepufft,

Zehn Meilen die Stunde ging's durch die Luft.

Altes Lied (Die Hexen von Inverneß).

»Nach Schottland also!« Die Koffer waren gepackt, die Billetts gelöst, und als der Spätzug sich endlich in Bewegung setzte und majestätisch aus der Halle des Kings-Cross-Bahnhofs hinausglitt, überlief es mich ähnlich wie vierzehn Jahre früher, wo es zum ersten Male für mich hieß: »Nach England!«

Ähnlich sag' ich, denn vierzehn Jahre sind eine lange Zeit und nehmen uns viel von Begeisterung und Fähigkeit zur Freude. Wie steht jener Tag noch klar vor meiner Seele, der damals über meine Reise entschied. Ich war Soldat und auf Königswache. Der Offizier hatte seine liebe Not mit uns, denn wir waren zwanzig Freiwillige oder mehr, und jeder, der Soldat gewesen ist, weiß, was es mit solchen Volontärwachen auf sich hat. An Disziplin war Mangel, aber Überfluß an guter Laune, und während die einen über Tisch und Bänke sprangen, spielten die anderen Dreikart oder gaben sich durch Vortrag von Hauptmanns- und Kompagnieanekdoten ein möglichst martialisches Ansehen. Es war ein kostbarer Maitag; begierig nach frischer Luft, hatte ich eben draußen in der Säulenhalle Platz genommen und blickte, den ungewohnten Helm hin und her schiebend, auf den schönen, breiten Opernplatz, der sonnenbeschienen vor mir lag. Da weckte mich ein leiser Schlag auf die Schulter. Als ich aufblickte, stand ein Freund vor mir, sonnenverbrannt, in Reisekleidern, jener Glücklichen einer, an die sich das beatus ille des Dichters richtet. Er lachte über den »Grenadier«, der ihm noch neu an mir war, und fragte dann kurz: »Willst du mit nach England? Ich reise morgen abend.« »Aber Urlaub!« – »Das ist deine Sache.« Das Gespräch gedieh nicht weiter; der Posten draußen rief uns mit lauter Stimme an die Gewehre. Wir traten an. Ablösung vor. Fünf Minuten später schilderte ich schon vor dem Gouvernementsgebäude in der Wallstraße. Niemals wohl hat der alte Müffling eine Schildwacht vor seiner Tür gehabt, der das Herz so hoch geschlagen hätte wie mir an jenem Nachmittage.

Voll so hoch schlug mir das Herz jetzt nicht, aber es schlug doch freudig und dankbar zugleich, als mein diesmaliger Reisegefährte dem hinter uns verschwindenden London ein Lebewohl zuwinkte und mit Genugtuung die Worte wiederholte: »Nach Schottland also!«

Wir fuhren dritter Klasse, halb ersparungs-, halb beobachtungshalber, und hatten trotz einiger Unbequemlichkeiten nicht Ursach, unsere Wahl zu bereuen. Der bis auf den letzten Platz besetzte, durch keine Zwischenwände geschiedene Wagen glich einem Auswandrerschiff. Die Mittelbank, auf der wir saßen, zog genau die Grenzlinie zwischen zwei verschiedenen Elementen, aus denen unsere Reisegesellschaft bestand, zwischen armen Engländern und sparsamen Schotten. Denn der Engländer fährt nur dritter Klasse, wenn er muß , der Schotte, wenn er kann . Nachdem die ersten Tunnel und Überbrückungen passiert waren, schwand die gegenseitige Zurückhaltung rasch, und der Austausch jener kleinen Dienste und Bequemlichkeiten begann, wie er nicht auszubleiben pflegt, wo sich 40 oder 50 Menschen, wenn nicht zu gemeinsamer Gefahr, so doch zu gemeinsamer Strapaze zusammengepfercht finden.

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