Auch die Baustelle in Rheinhausen wurde einmal fertig. Sechs Monate war es eine schöne Zeit mitten in der Stadt gewesen. Jetzt ging es mit der ganzen Belegschaft nach Krefeld-Linn, wo das Maizena-Werk aufwendig vergrößert werden sollte, eine langfristige Angelegenheit.
Zu diesem Zweck wurde auch hier ein großes Wohnlager errichtet. Wieder zog ich hier ein und war so jedenfalls dicht am Arbeitsplatz.
Es war mittlerweile Februar 1960 vorbei, und ich war schon seit zwei Jahren nicht zu Hause gewesen. Manchmal hatte ich einfach keine Lust mehr und fluchte auf den gesamten Kommunismus, der uns dieses Dilemma mit der Grenze aufgehalst hatte.
Immer musste ich mit ansehen, wie mein Kumpel aus Leer alle paar Wochen nach Hause fuhr und dann, wenn er wiederkam, tolle Storys erzählte. Er bot mir des Öfteren an, doch mal über ein paar Feiertage mit ihm nach Leer zu kommen, bisher hatte ich aber nicht den Mut dazu gehabt. Irgendwann ist immer das erste Mal, dachte ich, als ich endlich zustimmte, ihn nach Leer zu begleiten.
Abstecher nach Hamburg
Vorher wollte ich mir aber einen Traum erfüllen. Immer hatte ich mir gewünscht, einmal nach Hamburg zu fahren, ich hatte schon so viel von dieser großen Stadt gelesen und gehört. Im Mai 1960 war es dann soweit. Ich hatte mir 14 Tage Urlaub genommen und bin eine Woche vor der Reise nach Leer mit dem Zug nach Hamburg gefahren. Ich hatte mich mit meinem Freund in Bezug auf Datum und Zeit abgesprochen, wann ich in Leer eintreffen würde, aber erst kam einmal Hamburg dran.
In der Nähe des Hauptbahnhofs habe ich mir ein kleines Zimmer genommen und bin die nächsten Tage auf Entdeckungsreise durch Hamburg gegangen. Sehr vorsichtig habe ich mich durch diese große Stadt bewegt. Ich hatte ja so viel über Hamburg gehört, und es war schon eine Herausforderung, sich diese imposante Weltstadt anzusehen.
Ziele waren natürlich auch die Reeperbahn auf St. Pauli sowie der Hamburger Hafen. Ich habe mich zum Hafen durchgefragt und die Landungsbrücken per Straßenbahn erreicht, die damals noch fuhr.
Ein Herzenswunsch ging für mich in Erfüllung, zu damaliger Zeit war es für mich das Allerschönste, einmal im Hamburger Hafen gewesen zu sein.
Ich hatte an diesen schönen Frühlingstagen sehr viel Zeit und habe mir alles gründlich angesehen, unbeschreiblich die Eindrücke im Vergleich zum Erzgebirge, meiner Heimat, na ja, dort gab es ja auch kein Wasser und somit auch keine Schiffe.
Mir gingen beim Anblick dieser großen Pötte, die hier vorbeifuhren, viele Gedanken durch den Kopf, wo würden diese Schiffe wohl hinfahren, was würde die Mannschaft alles zu sehen bekommen.
Ich sah weinende Frauen, die ihren Männern oder anderen Angehörigen mit Tüchern nachwinkten, wenn diese an den Landungsbrücken vorbeifuhren, ich hatte mehr als ein flaues Gefühl im Magen, wenn ich daran dachte, auch mit so einem Schiff in die weite Welt hinausfahren zu dürfen, aber wie sollte ich so etwas in die Tat umsetzen und wer könnte mir helfen?
Im Moment war jedenfalls richtiges Sightseeing angesagt. Eine Hafenrundfahrt durfte natürlich bei so einem Hamburg-Besuch nicht fehlen, es ging durch alle Hafenbecken mit ihren an den Kais liegenden Schiffen und wieder zurück zu den Landungsbrücken. Abends ging ich dann schon immer sehr früh in mein Quartier dicht beim Hauptbahnhof, denn nachts wollte ich nicht in einer so großen Stadt herumlaufen. Morgens wurde ich immer mit einem guten Frühstück versorgt, danach bin ich sofort auf Entdeckungsreise gegangen, meist zog es mich zum Hafen.
Die Zeit in Hamburg war dennoch eines Tages vorbei, und ich begab mich mit dem Zug über Bremen und Oldenburg nach Leer in Ostfriesland, worauf ich sehr gespannt war. Mein Freund, Karl Schaber, holte mich damals vom Bahnhof in Leer ab, es war eine große Freude, wieder einen bekannten Menschen zu sehen und sich gut unterhalten zu können. In seinem Zuhause wurde ich gut aufgenommen, und wir saßen abends lange beisammen, wobei ich alles Erlebte der Bahnfahrt sowie meinem Aufenthalt in Hamburg erzählen musste. Auch lobte ich damals schon die Gegend, die mir bei der Zugfahrt aufgefallen war, viele Weideflächen mit Rindern, große Bauernhöfe und viel flaches Land.
Die nächsten Tage waren ausgefüllt mit einigen Erkundigungen in und um Leer, wobei wir auch den Leeraner Hafen in Augenschein nahmen. Es war ein großer Vorteil, dass mein Freund Karl hier so gut Bescheid wusste, dies verkürzte so manchen Weg, um Sehenswertes zu begutachten.
Karl war früher auch mal auf einem Schiff gefahren, wenn auch bei der Fischerei, von deren Flotte einige Schiffe im Hafen lagen.
Und gerade das war es, was mich wieder magisch anzuziehen schien. In den folgenden Tagen löcherte ich den Karl nur so, und er musste mir fast nur etwas von der Fischerei erzählen. Natürlich kam auch die Frage von mir, ob ich denn auch wohl auf so einem Logger, wie sie im Hafen lagen, fahren könne. Karl erklärte mir, da müsse ich erst mal ein Gesundheitszeugnis haben und dann ein Seefahrtbuch und so weiter, und, dass es eine ganze Zeit dauern würde, bis man so etwas alles erledigt hätte, außerdem bräuchte ich auch eine Erlaubnis meiner Eltern, da ich ja noch keine 21 sei.
Komischerweise fand ich diese Schwierigkeiten alle als überwindbar. Kollegen des Freundes erzählten mir, bei der Heringsfischerei wäre die Arbeit ein elender Knochenjob. Im Hinterkopf waren dann immer die Gedanken, wenn ich die Papiere hätte, würde ja auch ein Schiff der Handelsflotte in Frage kommen können. Gedanklich gab es für mich bereits kein Zurück mehr ins Ruhrgebiet, Ostfriesland war mir sympathisch, und ich empfand es damals als Sprungbrett für eine Arbeit auf einem Schiff.
Nach einer Woche in Leer fuhren mein Freund Karl und ich zurück nach Krefeld-Linn, und ich hatte ein Gespräch mit meinem Bauleiter, dem ich meinen Herzenswunsch erklärte. Er lachte zwar ein wenig, aber gab zu meinen Wünschen keinen Kommentar ab. Nach kurzer Zeit und ohne Streit wurden mir meine Arbeitspapiere und meine Endabrechnung ausgehändigt. Nach dem Abschied von allen mir lieb gewordenen Kollegen auf der Baustelle war für mich alles in bester Ordnung.
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