Oft genug träumte ich davon, dass es sicher eines Tages in meiner Heimat auch zufriedenstellendere Verhältnisse geben würde, aber, wie wir alle wissen, diese Träume erfüllten sich jahrzehntelang nicht, und das Schlimmste war, obwohl es mir hier im Westen immer besser ging, bestand für meine Lieben in der Heimat keine Hoffnung.
Mein anfängliches Heimweh trat ein wenig in den Hintergrund, als ich eines Tages von einem Gesellen zum Oktoberfest eingeladen wurde. Das ganze Drum und Dran mit der Fahrt dorthin und dem bunten Lichterglanz ließen mich die Welt doch eigentlich in Ordnung erscheinen; wer aus Hammerunterwiesenthal war schon mal auf dem Oktoberfest in München gewesen? Sicherlich keiner!
Ansichtskarten, Briefe und auch kleine Päckchen konnte ich jetzt regelmäßig nach Hause ins Erzgebirge schicken, dank meiner Arbeit hier in Puchheim, die mir nie zu viel wurde. Wenn einmal harte Tage anstanden, dachte ich nur an meine Eltern und Geschwister zu Hause, sie mussten fast alles, was geerntet wurde, an den Staat DDR abliefern.
Heimweh
Die Wochen und Monate verflogen, und plötzlich kam Weihnachten in Sicht. Meine Gedanken gingen immer öfter in Richtung Erzgebirge, wie würde es wohl sein, wenn ich dieses Weihnachtsfest nicht mit meinen Eltern und Geschwistern verbringen könnte. Vorstellen konnte ich es mir nicht, und das Heimweh wurde schlimmer und schlimmer, obwohl wir in der Metzgerei viel mehr Arbeit als sonst hatten und diese mich auch oft genug ablenkte, kreisten meine Gedanken immer öfter in jeder freien Minute nur um mein zu Hause. Mitte Dezember hatte ich dann den Mut, meinen Chef zu fragen, ob ich wohl zu Weihnachten nach Hause ins Erzgebirge fahren könne. Welch ein Segen, auch er war der Meinung, dass ich dieses Weihnachtsfest zu Hause verbringen sollte. Alleine schon diese Zusage vermittelte mir ein unsagbares Gefühl: Ich würde also Weihnachten meine Eltern und Geschwister wieder sehen können! Am 24.12.1956 wurde ich dann von meinem Arbeitgeber mit viel Gepäck auf dem Bahnhof in Puchheim nach München und weiter in Richtung Heimat verabschiedet. Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl, zurückzufahren in die angestammte Heimat, zurück zu den Eltern und Geschwistern.
Am 1. Weihnachtstag 1956 kehrte ich also zurück in meine Heimat. Die Freude war groß, als ich wieder zu Hause war. Mit meinen gerade 17 Jahren musste ich nun alles erzählen, was ich erlebt hatte, jeder wollte es ganz genau wissen.
Meine „Erfahrungen“ im Westen gab ich nur zu gerne zum Besten, der große Unterschied zwischen Ost und West brachte zwangsläufig meine Zuhörer immer wieder zum Staunen.
– Mein Elternhaus in Hammerunterwiesenthal im Erzgebirge –
In den nächsten Tagen wurde mir immer öfter bewusst, wie groß doch der Unterschied zwischen Ost und West war, ich verfluchte diese nun schon elf Jahre bestehende Grenze. Inzwischen hatte man sogar noch einen sechsfach gesicherten Stacheldraht zwischen der Tschechischen Republik (früher Böhmen) und der DDR gezogen und diesen Teil auch noch vermint. Jetzt war alles abgeriegelt, um die Bürger der DDR im Land zu halten, es gab zwar noch die grüne Grenze, aber auch dieser Fluchtweg wurde immer undurchlässiger. Trotzdem gab es immer wieder Menschen, die viel auf sich nahmen, um der DDR zu entkommen, ein Land, in dem sie nicht mehr leben wollten und von dem sie glaubten, es würde alles auf sowjetische Art ausgerichtet. Jetzt zur Weihnachtszeit beschäftigten mich diese politischen Probleme nur am Rande, ich war ja zu Hause, und was gab es Schöneres, als ein Weihnachtsfest im Erzgebirge.
Zeit der Entscheidung
Die Zeit um Weihnachten und Neujahr verging wie im Fluge. Ich war wieder in der gewohnten Umgebung in der DDR, die ich doch verlassen hatte, erstens wegen der Verhältnisse hier und zweitens, um in der Fremde viele berufliche Erfahrungen zu sammeln.
Ich hatte noch einige Zeit, es mir zu überlegen, was ich denn nun wollte, eine im Westen ausgestellte Aufenthaltsgenehmigung für den Osten war zwei Monate gültig, danach müsste ich wieder in den Westen oder aber meinen Personalausweis West wieder in einen östlichen einlösen. Da mein Bruder Erich zu dieser Zeit auch schon im Westen, nämlich in Duisburg, arbeitete, kam mir immer wieder der Gedanke, wenn erneut nach Westdeutschland, dann zu ihm ins Ruhrgebiet zu gehen, um dort zu arbeiten, denn das hatte ich inzwischen begriffen, Arbeit gab es im Westen in diesen Jahren genug.
Mir wurde auch immer bewusster, dass es in der DDR wohl immer schlechter als im Westen sein würde. Wohl oder übel musste ich meinen Eltern eröffnen, dass ich wieder in den Westen gehen würde, diesmal aber ins Ruhrgebiet zu meinem Bruder.
Mein Herz schlug zwar immer noch stark für die Heimat, aber die Aussichtslosigkeit der hiesigen Lage, verbunden mit ein wenig Fernweh, ließen mich den Entschluss fassen, mich erneut in den Westen zu begeben, um mehr vom Leben zu haben.
Ich musste es nun meinen Eltern beibringen, dies war nicht ganz leicht. Meine Mutter hatte mich immer liebevoll umsorgt, meinem Vater war es von Anfang an nicht recht gewesen, dass ich in den Westen gegangen war, Arbeit als Fleischer hätte ich auch hier gefunden.
Mit der Begründung, dass ja mein Opa, Vater und Mutter, meine Schwester Lenchen, meine Brüder Hans und Siegfried und meine jüngere Schwester Marianne zu Hause das Familienleben fortsetzten, gab es für mich nur den Weg, mit einem Arbeitsverhältnis in der BRD und durch die Zusendung von Päckchen mit Kakao, Kaffee, Schokolade, Öl und Fett in kleinen Mengen den Familienzusammenhalt zu fördern und das Leben in der DDR für die Daheimgebliebenen etwas erträglicher zu gestalten. Vorbild dafür war mein Bruder Erich, der des Öfteren Päckchen aus dem Westen schickte, sie beinhalteten meist Sachen zum Waschen, Rauchen, Backen, Kochen sowie Kleidung. Ich jedenfalls wollte auch dazu beitragen, das Leben der Familie etwas zu verbessern, immer vor Augen, dass alle Mitglieder der Familie schwere Arbeit auf unserem kleinen Bauernhof verrichten mussten und der Ertrag wegen der Abgaben nach DDR-Gesetz kärglich war.
Mittlerweile war es Mitte Januar 1957, und ich hatte inzwischen Kontakt zu meinem Bruder in Duisburg aufgenommen. Eines Tages war es dann soweit, ich nahm wieder Abschied von meiner Familie. Es war eine tränenreiche feuchte Verabschiedung, morgens um 5:00 Uhr.
Von Hammerunterwiesenthal ging es über Leipzig, Magdeburg und Hannover nach Duisburg. Die Zeiten der Grenzkontrollen mitgerechnet, war es eine Zugfahrt von ca. 30 Stunden. Schuld daran waren die miserablen Schienenverhältnisse im Osten, wo die Züge nur langsam fahren konnten.
Aufgrund der deutsch-deutschen Grenzkontrollen im Osten sowie im Westen gab es auf dieser Fahrt viel zu beobachten. Ich war wegen der gefährlich aussehenden Kontrollen sehr still, hoffte nur, heil in Duisburg anzukommen und freute mich auf das, was auf mich zukommen würde.
Wohlbehalten kam ich in Duisburg an, wo mich mein Bruder Erich am Bahnhof mit seinem Motorrad abholte. Ich war ihm sehr dankbar, dass er mir hier das erste Geleit gab und mir auch helfen wollte, hier Arbeit zu finden. Er bewohnte damals in Duisburg-Hamborn in der Wiesenstrasse 58 ein kleines Zimmer. Beruflich hatte er sich das Fernfahrerleben ausgesucht. Mit ihm teilte auch noch ein anderer Fernfahrerkollege das Zimmer. Es war also eng, aber ich wollte ja auch nicht lange bleiben, mir schwebte eine Fleischerstelle mit Unterkunft vor, so, wie ich sie auch in Puchheim gehabt hatte.
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