Ihre Reittiere waren für die Schlacht gezüchtet. Sie erreichten nicht die Größe eines Pferdes, aber sie waren schneller. Ein Kriegswolf konnte hundertfünfzig Meilen in einer Nacht laufen. Während sein Reiter schlief, fand er das Ziel, solange es nur blutete oder nach Angst stank. Und das taten alle, hinter denen Wolfsreiter her waren. Die Wölfe hatten struppiges graues Fell, blutgierig funkelnde gelbe Augen und bazillenreichen Geifer an den Fängen.
»Vielleicht ist es nur ein Spähtrupp«, sagte Quinal, aber er glaubte nicht daran. Die Drakonier mussten Halgonia und die sieben Grafschaften durchqueren, um nach Akera zu gelangen. Dabei hatten sie reichlich Gelegenheit, Beute zu machen und danach betrunken in die Steppe heimzutorkeln. Aber sie waren hier, nüchtern, mit leichtem Gepäck und bewaffnet bis an die Zähne. Das konnte kaum Zufall sein.
»Wir müssen uns beeilen, Meister.«
Clopper war es recht. In seinen Därmen rumorte es, sein Blättervorrat ging zur Neige. Er war darauf angewiesen, möglichst bald das Moor zu erreichen und das Gegenmittel zu finden. Die Wolfsreiter waren einen Tagesritt hinter ihnen. Vielleicht würden sie von den Hajabusabeeren essen oder an einem Feenstein Halt machen und totgequatscht werden.
Als Clopper in ein Schlammloch trat, wusste er, dass sie da waren. Der Übergang zum Moor erfolgte unmerklich. Trockener Waldboden wechselte mit morastigen Flächen. Gesunde Bäume wuchsen neben sterbenden, die von innen heraus verfaulten. Es gab Tümpel mit Schilf, Moosinseln und Farne. Clopper sah einen Karren, der im Dreck steckte, einen rostenden Panzerstiefel und eine skelettierte Hand, die aus dem Moor ragte. Er überlegte, wieso der Kaufmann verrottet war, statt zum Todeswürger zu werden, wie es die Legende vorsah.
»Das muss ein Leibwächter gewesen sein«, flüsterte Quinal. Er erklärte, dies sei Teil des Fluches: Kaufleute wurden zu Würgern, ihr Begleitpersonal zu Skelettkriegern. Clopper sah den Frogo schief an, sagte aber nichts.
Die Mücken im Gelfmoor waren eine Plage. Kaum hatte Clopper seinen Stiefel aus dem Schlammloch befreit, wurde er zum ersten Mal gestochen. Die Insekten waren so groß wie irdische Libellen, schillerten wie Klofliegen und hatten gelernt, erst dann zu summen, wenn sie schon zugestochen hatten. Ihre Saugrüssel rotierten um die eigene Achse, um schneller Löcher in die Haut zu bohren. Durch die A®mor-Unterwäsche kamen sie nicht, aber Cloppers Gesicht, Nacken und Handrücken entwickelten sich zu bevorzugten Landeplätzen. Er erschlug ein paar Mücken und besprühte sich großzügig mit Insektenspray aus seinem Rucksack, aber es half nicht viel. Die Mücken zögerten kaum.
Ein besonders dickes Exemplar näherte sich im Tiefflug. Clopper duckte sich hinter einen Baum, ließ die Mücke vorbei und pumpte ihr eine Ladung Schädlingsvertilgungsmittel hinterher. Eine andere erwischte er frontal, die nächste nebelte er ein, als sie sich von oben auf ihn stürzte. Dann war das Spray leer. Clopper warf die Dose nach der fetten Mücke, die sich wieder erholt hatte. Sie brach sich den Stachel, aber Mike kämpfte auf verlorenem Posten.
Quinal eilte herbei und rieb Cloppers Haut mit roten Nesseln ein. Es brannte fürchterlich, doch die Mücken zogen sich zurück. Der Frogo war von Stichen weitgehend verschont geblieben; er hatte sogar eine Riesenmücke mit seiner lassoartigen Zunge gefangen und aufgegessen. Quinal wollte etwas sagen, aber Mike kam ihm zuvor.
»Die Natur, ich weiß.«
Quinal hatte auch die Beeren gegen den Durchfall gefunden. Sie waren gelb und schmeckten bitter. Clopper aß eine Handvoll und befahl seinem Begleiter, mehr zu suchen. Dann nahm er die letzten Blätter aus seiner Tasche und hockte sich hinter einen rotbraunen Moorbusch.
Sofort war eine Mücke zur Stelle und stach zu. Clopper tobte. »Deine verdammten Nesseln wirken nicht!«
Zum ersten Mal reagierte der duldsame Frogo gereizt. »Was erwartest du, wo doch sogar die Zauber deiner Welt versagen?« Er wies auf das leere Insektenspray.
»Wer behauptet, dass meine Welt versagt? Warte, bis wir auf deinen vorsintflutlichen Planeten kommen. Wir werden Fabriken bauen und Treibhausgase emittieren. Weißt du, was globale Erwärmung ist? Eure Scheißmoore werden austrocknen, und dann solltest du die Mücken sehen.«
Wütend warf er die benutzten Blätter in ein Morastloch.
Clopper und Quinal starrten einander an.
Sie bemerkten nicht, wie hinter ihnen die Skelettfinger des verwunschenen Leibwächters zu zucken begannen.
Der erste Skelettkrieger stürzte sich lautlos auf Quinal. Er hielt ein schartiges Schlachtermesser mit rotbraunen Flecken, die Blut oder Rost sein konnten. Clopper sollte es nie genau erfahren.
»Runter!«
Er stieß den Frogo zu Boden und schoss dem Skelett zwischen die Augen. Es funktionierte nicht, was möglicherweise daran lag, dass der Totenschädel keine Augen mehr hatte. Der Kopf zerplatzte, aber der Knochenkrieger lief einfach weiter, obwohl er nicht mehr zu wissen schien, wo hinten oder vorn war. Das Skelett prallte gegen einen Baum. Es versuchte trotzdem weiterzulaufen.
Clopper zog sein Samuraischwert. Er hatte sich die Scheide neben den Ausrüstungssack auf den Rücken gebunden. Er trennte einem Knochenmann den Waffenarm vom Torso, aber das Monster hielt nicht inne und versuchte, Mike den Kopf wie eine Abrissbirne in den Magen zu rammen. Clopper schlug auch den Kopf ab. Das Skelett griff immer wieder an, bis nur noch die Beine standen.
Da hatte Clopper eine Idee. Dem nächsten Skelett hackte er gleich die Gliedmaßen unterm Leib weg. Das half. Der Krieger aus dem Moor wurde demobilisiert, wenn auch nicht demoralisiert: Er zog sich mit seinen klauenartigen Händen vorwärts, musste dabei jedoch sein Beil zurücklassen. Seine Schlagkraft tendierte jetzt gegen Null.
»Meister!« Quinals Schrei hallte durchs Moor. Der Frogo wurde von zwei Knochenkriegern bedrängt, die mit den Armen fuchtelten und Geisterbahnkreischen ausstießen. Clopper schoss den Skeletten die Unterkiefer weg. Das Gekreische erstarb. Mit schnellen Schritten überbrückte Mike die Distanz und säbelte dem einen Knochenmonster das rechte Bein ab; das andere wurde links invalidisiert. Beide wollten sich aufrichten, fielen dabei aber um. Falls sie ein Gehirn besessen hatten, musste es vermodert sein, denn sie versuchten immer wieder, auf die Beine zu kommen.
Das hielt sie beschäftigt, der Ansturm erlahmte.
»Was sagst du nun?« Clopper präsentierte grinsend das Samuraischwert. »Weltraumstahl.«
Quinals Glubschaugen wurden groß, aber nicht, weil der Frogo die fortschrittliche Klinge bewunderte. In Cloppers Rücken erhoben sich die Todeswürger aus dem Moor!
Die Skelette waren nur die Vorhut gewesen. Kutscher, Köche, Pferdeknechte und Wagenwächter, die mit ihren Herren in den Tod gefahren waren; Diener für alle Zeiten.
Die Würger bestanden aus Haut und verwesendem Fleisch. Man sah, dass sie fettleibige Pfeffersäcke gewesen waren. Viele hatten sich schmutzige Stoffbinden um den Leib gewickelt, um faulige Körperteile an Ort und Stelle zu halten. Sie erinnerten an schlecht präparierte Mumien. Die Würger hoben ihre Krallenhände und machten sich auf den Weg zu Cloppers Hals.
In der Zwischenzeit hatte sich das kopflose Skelett am Baum hochgezogen. Der dünne Stamm bog sich unter dem Gewicht. Dann stieß das Gerippe mit der Hand gegen einen vorstehenden Ast. Ein Finger brach ab und fiel zu Boden. Das Gewicht des Kletterers reichte plötzlich nicht mehr aus, der Baum schnellte nach vorn und katapultierte den Skelettkrieger zwischen die Todeswürger. Zwei oder drei stürzten im Knäuel ins brackige Wasser. Andere schlossen die Lücke. Die mumifizierten Kaufleute rückten vor.
Clopper zerhackte den ersten und stieß dem zweiten die gespreizten Finger ins Gesicht. Dem dritten fegte er mit einem Scherentritt die Beine weg. Dabei musste er selbst zu Boden gehen und bekleckerte sich den Tarnanzug mit Schlamm. Als Schauspieler hatte er Unterricht in nahezu allen Nahkampfsportarten einschließlich Taekwondo, Shaolin-Kungfu und Kamasutra genommen. Einmal hatte er sich zu einem Feng-Shui-Kurs angemeldet, war aber nicht wieder hingegangen. Nun machte sich das Training bezahlt.
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