Michael Herrmann - Bunte Luft

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Bunte Luft – so nennen die Musiker der Band «Stadtschwein» selbstironisch das, was sie auf der Bühne fabrizieren. In Wirklichkeit ist Musik für sie weit mehr. Sie ist eine geheime Abkürzung zum Glück. Sie ist wie Medizin, einschließlich Suchtpotenzial und Nebenwirkungen. Der Weg zum Erfolg ist jedoch gesäumt von schrecklichen Geräuschen, schweren Lautsprecherboxen, leeren Flaschen, und durchgemachten Nächten. Die vier erleben eine Menge schräger Episoden: Was sucht ein Volkspolizist im Kellerschrank? Wie reanimiert man einen Tontechniker?
Der Rockmusiker Mick erlebt stürmische Liebe und windige Affären. Schließlich weist ihm ein Zufall den Weg durch den Dschungel seiner Gefühle.
Auf unterhaltsame und ironische Weise wird das bizarre Biotop Ostberlin beschrieben.

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Michael Herrmann

Bunte Luft

Als Musiker in Ostberlin

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Inhaltsverzeichnis Titel Michael Herrmann Bunte Luft Als Musiker in Ostberlin - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Michael Herrmann Bunte Luft Als Musiker in Ostberlin Dieses ebook wurde erstellt bei

Besuch

Urste Wurst

Gabi

Stadtschwein

Junkie

Sonnenschirm

Post

Bob Dylan

Erntedankfest

Tute

Musikantenclub

Das rollende R

Singezahn

Hackordnung

Friseuse

Sylvester

Kasseturm

Phallus-Symbol

Gabis Tür

Lebensretter

Rosengarten

Werra Krepp

Platte

Kilometer

Raste

Schrankkontrolle

Gitarrengurt

Sauna

Abgang Hades

Ähnlichkeit mit lebenden Personen

Geburtstag

Profi

Flaschenteufel

Fly Trabi fly

Studio

Eine für alle

Trasse

Tapetenwechsel

Finale

Blumenkohl

Gabis Schlüssel

Impressum neobooks

Besuch

Zu meiner Türklingel hatte ich ein zwiespältiges Verhältnis entwickelt. Sie konnte Verheißung bedeuten oder auch Bedrohung - das war am Geräusch kaum zu unterscheiden. Heute klang sie eindringlich, aber nicht humorlos.

Beim Öffnen der Tür schreckte ich zurück: Was da vor der Tür stand, war eindeutig humanoid, aber dennoch befremdlich. Es war ein Neandertaler oder etwas sehr Ähnliches. Sein Haaransatz verlief kurz über den Augenbrauen. Das Haar war so lang wie die Bartstoppeln: zirka vier Millimeter. Er kannte wohl die Wirkung, die er auf Fremde hatte und grinste mich an:

„Hallo - bist du Mick? Ich bin Hades.“

Eine zweite Gestalt im Dämmerlicht des Treppenhauses hatte ich fast übersehen.

„Das ist Krokant. Er spielt Gitarre. Ich bin Trommler. Du bist Mick?“

Leugnen war sinnlos, mein Name stand an der Tür. Ich nickte.

„Hallo Mick - hast du in den nächsten Jahren schon was vor - wir suchen einen Bassmann.“

Ich brauchte eine Weile, um diese Informationsfülle zu verarbeiten. Es hörte sich mehr nach Verheißung als nach Bedrohung an.

„Wenn du nichts dagegen hast - wir kommen mal rein.“

Meine Bude hatte keinen Flur. Mit dem Schritt über die Schwelle stand man sofort in der Küche. Ohne weitere Formalitäten enterten die beiden auch mein Allerheiligstes, mein Schlaf-, Feier-, Übe-, Grübel-, kurz gesagt: mein Wohnzimmer. Ich deutete ein paar gastgeberische Bewegungen an und räumte mein Bettzeug zusammen, das noch warm war. Die beiden Fremden setzten sich aufs Bett. Der Gitarrist war ein stämmiger Typ mit einem Jungengesicht. Er schien ein besonderes Verhältnis zu seinen Händen zu haben. Die Fingernägel seiner rechten Hand waren sehr lang.

„Also - Krokant spielt eine super geile Gitarre - er hat es drauf! Ich hoffe, du hast es auch drauf?“

Ich hatte bis jetzt noch kein Wort gesagt. Der Monolog des Neandertalers hatte sich erschöpft. Ich hatte das Gefühl, dass ich jetzt dran wäre.

„Ja, was soll ich sagen - irgendwer muss euch ja erzählt haben, dass ich es drauf habe – sonst würdet ihr jetzt nicht auf meinem Bett sitzen, stimmts?“

Er lachte. Sein Lachen ging an wie eine Lampe. Es stand in krassem Gegensatz zu seinem Äußeren. Seine gesamte Gesichtshaut verschob sich dabei nach oben. Die Stirn legte sich in Falten. Seine Augen bekamen einen leicht irren Ausdruck, wie bei einem Steuerprüfer, der zwei fickende Hunde beobachtet. Das Eis war gebrochen. In wenigen Sekunden hatte mich Hades für sich eingenommen.

„Gut. Du hast es also drauf. Das ist gut. Kurzum: Wir haben einen Proberaum bei der Kirche. Wir haben eigene Songs mit eigenen Texten. Mit wirklich guten Texten. Und das sage ich nicht, weil ich sie selbst geschrieben habe, das ist einfach Fakt. Was uns noch fehlt, ist der Bass. Wenn du mitmachst, sind wir eine komplette Band.

Stell dir vor: Ruhm und Ehre, Kohle ohne Ende. Und Mädels, die dich sonst nicht mal mit dem Arsch ansehen würden. Alles klar?“

Fragend schaute er mich an. Der Gitarrist sortierte seine Finger.

Ich tat so, als würde ich das Für und Wider abwägen, als gäbe es Alternativen. Dabei wäre ich vor Freude am liebsten an die Decke gesprungen. Mein Part bestand einfach darin, dass ich nicht nein sagte. Hades hätte mich nicht mit Geld und Frauen ködern müssen. Ich wollte Musik machen, das war alles.

Wir verabredeten uns zu einer Probe. Dann schüttelten wir uns die Hände, und die beiden waren wieder weg. Ihr Besuch hatte nicht länger als zehn Minuten gedauert. Etwas benommen stand ich in meiner Küche. Mir fiel ein, dass ich gerade erst aufgestanden war. Ein Kaffe wäre jetzt das Richtige. Während das Wasser kochte, führte ich ein kleines Freudentänzchen auf.

Urste Wurst

Mit einem geborgten E-Bass der Marke NoName stieg ich in die Straßenbahn ein. Ich war der Mittelpunkt der Welt. Ich glaube nicht, dass ich mich auffällig benahm, besonders ausladende Bewegungen machte oder so etwas. Trotzdem musterten mich die Insassen der Bahn mit interessierten, freundlichen Blicken. Es war wohl nicht zu übersehen: Hier wurde gerade ein Rockstar geboren.

Normalerweise ist jeder der Mittelpunkt seiner eigenen, kleinen Welt. Nur selten einigt sich die Herde mal auf ein gemeinsames Zentrum. Was für ein Gefühl, wenn man für kurze Zeit selbst zum Zentrum wird!

Der Proberaum war ein kleiner Saal in einem Gemeindehaus gegenüber der Ackerhalle. In der Mitte stand ein riesiger, schwerer Tisch auf dem Linoleumboden, an den Wänden dunkle Holzschränke. Der ganze Raum schien Inspiration und Spielfreude aufzusaugen und in einen muffigen Geruch zu verwandeln. Uns war das egal – wir hatten Spielfreude im Überfluss. Das Gute an diesem Raum war: hier konnte man hemmungslos Krach machen, ohne dass es irgendwen störte. Wir fingen gleich damit an.

Der kleinste gemeinsame Nenner zwischen fremden Musikern: Blues. Das ist nicht besonders originell, aber es funktioniert immer.

Wie sich herausstellte war Krokant der erste Gitarrist in meinem kurzen Musikerleben, der wirklich Gitarre spielen konnte. Er spielte einen cleanen Ton ohne Verzerrer. Seine Gitarre war ein Fender-Nachbau, und sie klang tatsächlich ein wenig wie die von Mark Knopfler. Krokant konnte das, was er fühlte anscheinend direkt in Töne umsetzen. Er spielte keine eingeübten Riffs, sondern ließ seine Gitarre singen, juchzen, klagen oder hämmern.

Es war eine sehr intime Angelegenheit. Krokant zeigte mitunter ein schmerzverzerrtes Gesicht, das eigentlich nur beim Sex erlaubt ist. In jeder anderen Situation wäre es ein Grund, den Notarzt zu rufen.

Hades war ein Trommler, der einigermaßen den Takt halten konnte. Was ihm an Technik fehlte, machte er durch Leidenschaft wett. Völlig abgedreht und wie unter Drogen saß er hinter seinem Schlagzeug.

Wir jammten selbstvergessen über eine nicht näher definierte Zeitspanne. Irgendwann kamen wir zum Ende. Es war so, als hätten Unbekannte einen Dreier miteinander gemacht. Wir schauten hoch, grinsten etwas verlegen und waren damit beschäftigt, die Distanz wiederherzustellen.

Wir spürten alle: hier knackt es – hier ist Potenzial.

„Na – geht doch“, meinte Hades.

Krokant verweigerte jede Äußerung und wischte pedantisch mit einem Saiten-Abwisch-Läppchen über seine Gitarre.

Nun ging es ans Eingemachte. Die beiden spielten mir ein paar von den eigenen Songs vor. Im ersten Moment dachte ich, die beiden machen einen Scherz, aber dann merkte ich, dass hinter dem Krach, den sie machten eine Idee steckte. Es klang spröde und ungewohnt.

Die Texte von Hades passten zur Musik, und sie waren natürlich deutsch. Sie enthielten eine gute Portion Aufmüpfigkeit. Genau das brauchten wir.

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