Bist du einsam
Auch gemeinsam
Kommst du hinten mal nicht hoch
Ob zum Essen
Zum Vergessen
Kauf den Bär, der Frohsinn bringt!
Der Bär, der Frohsinn bringt – das war der allseits bekannte Werbeslogan der Schnapsfabrik am Ostrand der Stadt. Ein Anti-Alkohol-Song also, alles klar. Einen anderen Text von Hades fand ich etwas befremdlich. Ich fragte vorsichtig:
„Was meinst du mit der Zeile ‚Ich hab eine urste Wurst gemacht’? Was ist die Intention dabei?“
Hades konterte mit einer druckreifen Interpretation seines Textes:
„Hier geht es um menschliche Ausscheidungen. Beschrieben wird der berechtigte Stolz, wenn man etwas Besonderes hinbekommen hat. Exkremente sind das, was uns alle verbindet – Männchen und Weibchen, Alt und Jung, Arm und Reich. Exkremente sind die Verbindung zur Mutter Erde. Jeder kennt es, aber keiner spricht darüber. Wir schlagen eine neue Seite der Song-Poesie auf. Wir holen die Leute da ab, wo sie sind!“
„Aha. Offenbar möchtest du sie vom Klo abholen. Könnte man das nicht etwas subtiler machen?“
„Was meinst du mit subtil? Verklausulierend, undeutlich, diffus? Wir brauchen eine rustikale Sprache, die die Dinge beim Namen nennt!“
Da hatten wir es: Stilistische Differenzen! Wir wollten keine Differenzen, wir wollten mit einer Stimme sprechen. Uns über jede weltanschauliche Eventualität einig sein. Das musste ausdiskutiert werden.
Fünf oder sieben Bier später, ich wusste nur noch, dass es eine Primzahl war, entstiegen wir dem Kneipendunst. Die Straßenbahn fuhr nicht mehr, und ich musste nach Hause laufen. Ich atmete die klare Nachtluft ein und hatte das Gefühl, ganz neues Gelände zu betreten.
Das schwere Instrument unter meinem Arm verlieh mir nicht nur mentale Stärke, sondern auch eine gesunde Schwungmasse, die meinen Kurs stabilisierte.
Bei Gabi roch es nach allem, was auf dieser Welt gut und schön ist. Nach Holz, nach Haus, nach frischer Wäsche.
Gabi war klein, stabil und flachsblond. Ihre Augen waren graublau und der Mund etwas asymmetrisch. Dadurch bekam ich immer das Gefühl, als mache sie sich über mich lustig, als wisse sie etwas, das mir verborgen blieb. Ich liebte diesen Mund. Ich liebte auch den ganzen Rest von ihr, aber das wusste ich damals noch nicht. Dieses Thema hatten wir nie erörtert. Alles was ich dazu hätte sagen können war: Sie wirkte auf meine unbedarfte Seele wie ein warmer Regen.
Im Moment strafte sie mich allerdings mit Schweigen.
Schnippelte irgendwelches Gemüse. Ich saß auf dem Küchentisch und täuschte Ahnungslosigkeit und gute Laune vor:
„Eine richtige Band, Schatz - nicht so eine hohle Faschingsmucke, sondern eigene Songs. Die greifen richtig, das wollen die Leute hören. Ganz neuer Ton, deutsche Texte. Verstehst du, was ich meine?“
„Erzähl das deinem Friseur, du Blödmann. Wir waren verabredet. Und du warst nicht da! Was meinst du mit verstehen? Das Einzige, was ich verstehe ist, dass ich gestern allein im Kino war. Romantik, Liebe, Geigen, Küsse - alles da, nur du nicht. Ich konnte nicht mal richtig heulen. Wozu habe ich dich eigentlich?“
Ja – wozu? Die Frage stand im Raum wie ein Monster. Nicht zu beantworten. Ich war so dumm, es trotzdem zu versuchen:
„Schatz, wir kennen uns schon so lange. Wir fassen uns gern an. Wir können über dieselben Sachen lachen. Wir haben zu vielen Dingen die gleichen Ansichten.“
„Bist du sicher“ fragte sie. „Essen ist fertig.“
Es gab Gemüse mit Gemüse. Sie schwieg, ich schwieg, sie antwortete mit Schweigen.
Als nach zirka fünf Minuten immer noch keiner etwas gesagt hatte, versuchte ich den Scherz mit dem verliebten Koch. Das war falsch. Ich merkte es an ihrer Reaktion. Gabi schmiss ihre Gabel hin und rannte raus. Effektvoll schlug sie ihre Zimmertür zu.
Eine ernste Situation, das begriff ich. Ich war der mit dem schlechten Gewissen. Immer sind es die Männer, die das schlechte Gewissen haben. Frauen kennen so etwas nicht. Ich war am Zuge, das spürte ich. Um jetzt nicht alles aufs Spiel zu setzen, musste ich wohl Demut zeigen und zu Kreuze kriechen. Es war eine Frage des Timings. Eine angemessene Zahl von Minuten verstreichen lassen bis die Wogen sich etwas glätten, dann um Vergebung betteln
„Schatz, kann ich reinkommen?“
Keine Antwort. Ich war darauf vorbereitet, die weinende Gabi in den Arm zu nehmen, oder auch in Deckung zu gehen, falls etwas Schweres in meine Richtung flog. Vorsichtig öffnete ich ihre Tür.
Sie saß auf dem Bett und grinste. Asymmetrisch.
In dieser Sekunde kriegte ich eine Gänsehaut und spürte, wie sich auch auf meinem Gesicht ein Grinsen breitmachte, völlig unabhängig von mir und nicht zu steuern. Ich versuchte, meine Gesichtszüge etwas in Richtung Schuldbewusstsein zu drängen. Keine Ahnung, was dabei rauskam.
Sie hielt mich mit dem ausgestreckten Bein auf Distanz.
Eine etwas unglückliche Position: der Prinz, der am ausgestreckten Bein verhungert. Ich erhöhte etwas den Druck, das Bein blieb gestreckt. Um irgendetwas zu tun, zog ich ihr eine Socke aus. Sie ließ es geschehen. Ich knöpfte ihr die Hose auf. Sachlich schaute sie zu, als wäre es eine fremde Hose. Das braune Stück Haut zwischen Slip und Bauchnabel gab mir den Rest.
Lieber Herrgott - danke, dass du uns das geschenkt hast. Man muss ja nicht immer reden.
Auf altbewährte Weise krochen wir in uns rein. Wir flüchteten auf die warme Insel, wo die Vögel sprechen können, wo Unten und Oben vertauscht sind.
In diesem Moment hatte ich keinen Schimmer davon, dass unsere Insel immer kleiner wurde.
Das abtörnende Ambiente des Gemeindesaals, Bohnerwachsgeruch und schwere braune Möbel störten uns nicht. Wir hatten den Funken, wir hatten den Rock´n Roll. Wir hatten etwas mitzuteilen. Keiner von uns hegte irgendwelche Zweifel, dass man unsere Message begeistert aufnehmen würde. Warum waren wir uns so sicher? Es war mehr als der reine Wunsch. Wir spürten deutlich, dass wir da ein heißes Süppchen am Köcheln hatten. Jeder, der Qualität produziert, merkt das in diesem Moment. Egal, ob es ein Stuhl ist oder ein Song – Qualität ist so etwas wie die Seele – du kannst es nicht erklären, aber du spürst es. Etwas weniger pathetisch ausgedrückt: Unser Sound klang schrecklich, aber er hatte was.
Bis jetzt waren wir allerdings nur drei Typen, die sich regelmäßig in einem Gemeindesaal trafen. Eine Band wird daraus erst, wenn das Kind einen Namen bekommt. Aber wie sollten wir es nennen? Im Grunde war das piepegal, das wussten wir. Ein Bandname wird unverwechselbar durch die einzigartige Musik und den Mythos, der daran geknüpft ist. Durch tausendfache Wiederholung in den Medien.
Hier lag allerdings ein kleiner, aber sehr toter Hund begraben: Mit tausendfacher Erwähnung in den Medien konnten wir vorerst nicht rechnen. So versuchten wir die Quadratur des Kreises: Ein Bandname, der an sich originell ist, der gut klingt, die richtigen Assoziationen weckt und sich im Gedächtnis festhakt. Ein Bandname wie in Stein gemeißelt, dennoch aber witzig und fluffig in Klang- und Schriftbild.
Wir diskutierten, wogen ab, verwarfen, stritten uns und kamen schließlich zu folgendem Ergebnis: „Stadtschwein“.
Nicht etwa: Die Stadtschweine, sondern schlicht Stadtschwein. Etwa so: „Stadtschwein sind zur Zeit im Studio und nehmen ihr neues Album auf.“
Weit entfernt von irgendeinem Studio, hatten wir doch immerhin zehn Songs beisammen, die wir von vorn bis hinten spielen konnten. Da es keinen wirklichen Sänger gab, teilten sich Hades und ich die Aufgabe, die Texte ins Mikrofon zu rufen. Jetzt musste nur noch jemand zuhören.
Eines Tages zauberte Hades das As aus dem Ärmel:
„Kinder, haltet euch den Samstag frei - wir haben eine Mucke!“
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