Norbert Aschenbrenner
Sperlings Suche nach dem Lachen
Roman
All denen gewidmet, die mich ermutigt haben und deren Lachen mich beim Schreiben begleitet hat.
N. A.
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Wir werden nur von jenen Taten wirklich berührt, die Menschen aus ihren besten Empfindungen heraus in guter Absicht begehen, und von solchen, die normale Männer und Frauen gegen ihren Willen tun müssen und auch tun werden.
George Bernard Shaw
Ich hatte den Drang, einen Mönch zu vergiften. Ich glaube, Romane entstehen aus solchen Ideenkeimen, der Rest ist Fruchtfleisch, das man nach und nach ansetzt.
Umberto Eco
Ich sah verwundert zur Uhr, als der Türgong schlug; ein zaghaftes Dingdong, als hätte jemand versehentlich den Taster gedrückt. 22.19 Uhr. Dass es einer unserer Nachbarn war, schien ziemlich ausgeschlossen, denn die verkriechen sich nach dem heute-journal ins Bett, weil morgens um fünf die Nacht zu Ende ist.
»Nicki, gehst du bitte mal nachschauen!«, rief Laura.
Sie war zu sehr mit dem Bügeln meiner Hosen beschäftigt. Dabei trug ich für gewöhnlich nur vier; im Wechsel, versteht sich.
Laura, der personifizierte Staubwedel. Gleichgültig wann ich nach Hause kam, entweder bügelte sie oder polterte mit dem Staubsauger gegen Tisch- und Sesselbeine und entsprach der Wohnraum tatsächlich einmal ihrem Anspruch von Ordnung und Sauberkeit, rubbelte sie den Hochglanz der Küche noch eine Spur blanker. Sie verschmähte mein Mitleid. Für Bemerkungen wie: »Früher, vor der Geburt von Tim, als du noch im Liegenschaftsamt gearbeitet hast, brauchten wir den Staubsauger nur am Wochenende und trotzdem sind wir nicht im Dreck erstickt«, erntete ich nur warnende Blicke. Um dann nicht gleich ins nächste Fettnäpfchen zu treten, wechselte ich kurzerhand das Thema, denn ich wusste, wenn ich nachhakte und beispielsweise anfing, laut über die Organisation der Hausarbeit nachzudenken, dann drohte der Rest des Abends in allumfassendem Schweigen bei Salzgebäck und Glotze zu ersticken. Aber so weit ließ ich es inzwischen erst gar nicht mehr kommen, denn es gab einen Gesprächsstoff, der den Hausfrauenzorn rasch besänftigte: Tim, achtjähriger Stolz der Mutter und ihr, wie alle - außer mir - meinten, wie aus dem Gesicht geschnitten.
Diese Art von Rückzug funktionierte fast immer. Eine lange Ehe verlangt viel taktisches Geschick für Rückzüge. Eine gute auch?
Ich verließ also meine Diktathefte und ging zur Haustür; fast ein wenig froh, den Schreibtisch verlassen zu dürfen, weil mir die orthographischen Mängel meiner Schüler während der dreistündigen Korrektur ihrer Diktate einmal mehr meine Machtlosigkeit - oder sollte ich besser sagen, meine Unfähigkeit? - als Lehrer bewiesen hatten.
Ich öffnete, ohne zuvor durch die Sprechanlage die Identität des späten Besuchers festgestellt zu haben. Die junge Frau, die mich anlächelte, hatte ich zuvor noch nie gesehen, trotzdem glaubte ich, sie sofort zu erkennen. Es war ihr Lächeln, das mir vertraut vorkam; ein Lächeln, das ihre Gestalt förmlich aufleuchten ließ und sie in ein Fluidum tauchte, wie es mir bisher ähnlich nur bei Schwangeren aufgefallen war; kein Standardlächeln, nicht pflichtbewusst wie das einer Verkäuferin für Damenunterwäsche, nicht nur ein zaghaftes Heben der Mundwinkel, nein, alle Poren ihres Gesichts strahlten Lebensfreude aus.
Arno hatte bei unseren Gesprächen oft davon geschwärmt. »Ich habe tausendmal gesehen, wie sie lächelt«, hatte er gesagt, »beim Aufwachen, beim Frühstück, beim Spazierengehen, nach einem Geländelauf, beim Tanzen oder wenn ich sie fotografiere und jedesmal ist es anders.«
Im Licht der Vorplatzlampe glänzten ihre Augen beinahe schwarz wie geschliffene Melanite. Ihre dunkelblonden Locken waren mit hellen Strähnen durchsetzt, die wie Sonnenstreifen in einem Wasserfall schimmerten, der breit über ihre Schultern floss. Ja, dieser Wasserfall aus Locken stürzte nicht wild in die Tiefe, er floss still und würdevoll. Von den kräftigen Wangenknochen liefen Lachfältchen zum runden Kinn, wo sie in einem Grübchen versickerten. Zwischen Nasenrücken und Augenwinkeln tanzten Sommersprossen, die die Sonne der zurückliegenden Monate hervorgelockt hatte.
Erst beim zweiten Hinsehen bemerkte ich, dass sie gezwungen lächelte und dass es ihr nicht gelang, eine geheime Unruhe zu unterdrücken.
»Ich suche Herrn Adam, Herrn Niklas Adam«, sagte sie.
»Sie haben ihn gefunden.«
»Arno schickt mich. Ich soll Ihnen dies hier bringen.«
Sie blickte verstört auf einen Karton, den sie vor ihren Füßen abgestellt hatte.
»Wo steckt denn der alte Halunke? Er scheint selbst das Telefonieren verlernt zu haben.«
»Ich weiß nicht ... Er wollte ... Sein Bruder ist ...« Ein Frösteln durchlief ihren Körper, als hätte sie ein eisiger Wind gestreift. »Am Sonntagabend habe ich ihn zuletzt gesehen.«
»Ist er denn nicht mehr in Thalbach?«
»Er kann ... Er hat viel geschrieben ... viele Fotos gemacht«, stotterte sie, und wieder wanderten ihre Augen zu dem Karton. »Er hat gesagt, dass ich Ihnen die Sachen bringen soll. Sie würden es verstehen und wissen, was zu tun ist.«
Sie sah mich flehend an, so als wollte sie sagen, nun nimm dieses Ding schon an dich und frag nicht länger. Ihr Lächeln war mit einem Mal verflogen und Zweifel furchte Mund- und Augenwinkel.
»Er glaubt, dass die Sachen bei Ihnen in Sicherheit sind. Die werden sie hier nicht suchen.«
»Seien Sie unbesorgt, liebe Dorothea«, sagte ich und bückte mich und klemmte den Karton unter den Arm, was sie mit einem erleichterten Lächeln quittierte.
»Woher wissen Sie ...?«
»Arno hat oft von Ihnen erzählt und was Ihr Lächeln betrifft, hat er nicht übertrieben, daran muss man Sie erkennen.«
»Bitte verzeihen Sie ... bin ziemlich durcheinander. Makowski, Dorothea Makowski. Sie haben richtig geraten.«
»Nun, gerade höflich bin ich wohl auch nicht gewesen. Noch immer habe ich Sie nicht hereingebeten. Meine Frau hat vermutlich Recht, wenn sie behauptet, ich sei ein stoffeliger Gastgeber.«
»Vielleicht können Sie ein andermal beweisen, dass Sie es nicht sind. Es war nicht leicht, Ihr Haus zu finden. Vielleicht sind sie uns gefolgt. Ich muss fort sein, bevor die bemerken, dass ich bei Ihnen war.«
» Die ? Wer sind die ? Was ist mit Arno? ... Dorothea, bitte bleiben Sie doch!«
»Sie werden es lesen!«, rief sie, schon am Gartentor. »Ich glaube, er hat alles aufgeschrieben. Und die Fotos! Schauen Sie sich die Fotos an!«
Grußlos, wie sie gekommen war, tauchte sie in der milden, nach vermoderndem Laub riechenden Oktobernacht unter. Ich hörte das Klappern ihrer Pumps auf dem Asphalt. Gleichzeitig wurde ein Auto angelassen.
Ich stand mit dem Karton unterm Arm in der offenen Haustür. Noch fragte ich mich nicht, was ich von dieser seltsamen Begegnung halten sollte, noch hüllte mich der Zauber von Dorotheas Lächeln ein und verhinderte weitergehende Gedanken. Ich bemerkte nicht, dass Laura plötzlich neben mir stand.
»Und?«, fragte sie. »Wer war der späte Gast?«
»Dorothea.«
» Die Dorothea?«
»Ja.«
»Das Mädchen, das deinem Freund den Verstand geraubt hat?«
»Was weißt du schon!«, bellte ich sie an.
»He! Was ist denn in dich gefahren?«
»Entschuldige bitte, aber seit sie fort ist, beschleicht mich so ein eigenartiges Gefühl.«
»Hat es etwas mit diesem Karton zu tun?«
»Damit auch ... vielleicht.«
»Und was ist drin?«, wollte sie wissen und bemerkte nicht, wie nervtötend ihre Fragen in diesem Augenblick waren.
Ich bin ungerecht, ich weiß, und deshalb sagte ich, meine dunkle Ahnung mit einem kräftigen Schuss Sarkasmus überspielend: »Vermutlich Arnos Vermächtnis.«
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