1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich der immer noch schmierig grinsende Marc-André vom Rand des Brunnens löste, seine Zigarette fortschnippte und unter den anerkennenden Blicken seiner geistig unbedarften Anhängerschaft zu ihr herüber schlenderte.
Er hatte sich einen guten Abfangkurs ausgesucht und Alise wusste, dass sie der drohenden Konfrontation nicht mehr entgehen konnte. Geistig ergab sie sich dem Unvermeidbaren.
„Hey du, wie geht es dir?“, fragte der widerliche Störenfried. „Gut bis eben“, kam ihre schnelle Antwort. Marc-André ignorierte die Spitze gekonnt und setzte das grausigste Lächeln auf, das es seit der Erfindung schlechter Unterhaltungsfilme für ein rein erwachsenes und zumeist männliches Publikum gab. Dass er ihr in der offenen Hand eine geöffnete Packung Gummibärchen entgegenhielt und diesen Affront mit einem gekonnten „Etwas Sü ßes für die Süße?“ begleitete, machte den Eindruck komplett.
„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte leider keine Zeit für dich, da ich echt froh bin, keine Zeit für eine Unterhaltung mit dir zu haben.“ Alise hoffte inständig, dass dieser Hieb mit dem Zaunpfahl reichte. „Bist du auf dem Weg zur Orchesterprobe?“, fragte Marc-André mit einem angedeuteten Nicken in Richtung ihres Flötenkoffers. „Nein“, antwortete Alise. „Ich habe gleich ein Vorstellungsgespräch als Euthanasie-Assistentin im örtlichen Hospiz. Möchtest du mich nicht als Arbeitsprobe begleiten?“ „Du kannst gerne mal meine Flöte testen. Ich wette, du bekommst ganz besondere Töne daraus.“
Wieder einmal stellte Alise fest, dass Zuhören nicht unbedingt zu den Stärken des Idioten gehörte. Alise verdrehte die Augen und beschleunigte ihren Schritt. Innerlich entsetzt stellte sie fest, dass die Landplage ihr folgte wie eine Schmeißfliege einem Naturdüngertransport.
„Jetzt hab dich doch nicht so, ich will doch nur nett mit dir plaudern.“ Alise verdrehte nicht nur innerlich die Augen. „Weißt du, ich habe gewisse Gerüchte gehört. Es scheint so, als wären mehrere Gentlemen an einem Rendezvous mit dir interessiert. Und da möchte ich nicht ausschließen, dass…“ „Nein“, erscholl Alises Stimme laut. Eine winzige Sekunde war Marc-André sprachlos.
„Denk nicht daran, denk nicht darüber nach und sprich es nicht aus, oder...“ „Oder was?“, fragte Marc-André mit diesem leicht bedrohlichen Unterton, den er offensichtlich für charmant hielt. Alise schluckte und entschied sich für einen geschickten Bluff.
„Du könntet dir Ärger einhandeln mit einem Gegner, den du lieber nicht verärgern würdest.“ „Und wer ist dieser mysteriöse Verteidiger deiner holden, jungfräulichen Unschuld?“, fragt Marc-André schnippisch.
Aus einer Seitengasse erklang plötzlich eine Stimme: „Oh, Guten Morgen, Alise. Ich freue mich, dich zu sehen.“
Lächelnd trat Sunny aus der Seitengasse, seinen Violinenkoffer locker in der linken Hand. Offen lächelte er Alise an und blickte dann zu Marc-André, wobei sich seine Stirn in Falten legte, sich der durchdringende kritische Blick aber sogleich wieder in das Lächeln verwandelte, welches typisch für Sunny war. Marc-André blickte aggressiv zu Sunny und setzte ein konfrontatives Grinsen auf. „
„Entschuldige, du Pferdeflüsterer, aber hier unterhalten sich gerade erwachsene Menschen, würdest du also bitte...“. Alise nahm die Chance, die sich ihr bot, gleich war. Geschickt schob sie sich an Sunnys Seite, hakte sich bei seinem freien Arm unter und blickte ihm lächelnd von unten in seine tiefblauen Augen. „Gut dass wir uns treffen, ich wollte sowieso etwas mit dir besprechen.“
Beherzt schob sie Sunny in Richtung der Musikschule, so dass die beiden dem verdutzten Marc-André den Rücken zuwandten. Bevor Marc-Andre sich erneut zu Wort melden konnte, schlenderten die beiden bereits die kleine Gasse hinunter und waren ins Gespräch vertieft.
Einige Sekunden grübelte Marc-André über seine Optionen, als er eine Stimme schräg hinter sich hörte: „Wenn Du Sunny oder einem seiner Freunde auf irgendeine Weise ein Problem machen willst, denk vorher noch an etwas sehr Wichtiges.“Überrascht drehte sich Marc-André in die Richtung der Stimme und sah Teddy, der mehrere Tüten mit dem Aufdruck einer nahen Bäckerei trug. „Was soll das sein?“, fragte er provokativ, um seine Überlegenheit wieder zu finden.
Teddy lächelte zynisch, während er Marc-André gelassen musterte. „Wenn Du das fragen musst, ist dein Denkbedarf höher als ich vermutet hätte“, antwortete Teddy schulterzuckend und wandte ihm den Rücken zu.
Während sich alle von ihm entfernten, fragte sich Marc-André, was er nicht mitbekommen hatte. Er ging zurück zum Brunnen und überdachte, wie er diese Begegnung auf möglichst positive Art seinen Freunden erzählen könnte.
Der alte Wanderer nahm einen tiefen Schluck aus dem Pappbecher. Der örtliche Kaffee war wirklich erstaunlich gut. Kurz überlegte er, dann schlenderte er mit seiner Bäckertüte und dem Kaffeebecher die kleine Gasse in Richtung der Musikschule entlang. Nur einen Moment hielt er bei einem kleinem Brunnen, auf dessen Rand er den Becher und die Tüte abstellte, um einige Notizen in sein Smartphone zu tippen und sich eine Zigarette anzuzünden, bevor er seine Erkundung weiter fortsetzte.
Lässig saß Teddy auf einer Bank auf einem der malerischen kleinen Plätze, welche die Freudentaler Innenstadt zu bieten hatte. Auch hier spendeten uralte hohe Laubbäume ausreichend Schatten, um auch im Sommer zum Verweilen einzuladen. Teddy hatte es sich auf der Bank bequem gemacht und stützte seinen langen Beine an einem kleinen Mäuerchen ab, das wie dafür gemacht schien. Nachdem er die Einkäufe zurück zum Sonnenbergerhof gebracht hatte und sie in die liebevollen Hände seiner Tante Emilia hatte übergeben dürfen, war er zurück in die Stadt gewandert, um Sunny von seiner Probe abzuholen.
Nun saß er gegenüber der alten Stadtvilla, in deren Räumen sich die Freudentaler Musikschule befand und schmökerte auf dem Display seines Smartphones eine Kriminalgeschichte. Es war Teddys Lieblingskrimireihe, rund um die sonderbaren, aber sehr spannenden Fälle des Kommissars Rainer Zufall, einem hoch begnadeten Kriminalisten, dessen scharfe Denkweise Teddy zu schätzen wusste.
Durch die Zeitanzeige auf dem Display bemerkte Teddy erneut, dass sich Sunny heute gehörig Zeit ließ. Er hoffte einfach darauf, dass es ein gutes Zeichen war und sich Sunny seiner Angebeteten nähern konnte. Erfreut hatte er schon vorhin gesehen, wie sich Sunny in Begleitung der rothaarigen Schönheit zu der gemeinsamen Probe begeben hatte und Teddy wünschte ihm alles Glück der Welt.
Vielleicht war ein kleiner Stich Eifersucht dabei, denn wenn sich Sunny erst in einer Beziehung mit seiner heißgeliebten Traumfrau befand, würde er recht wenig Zeit für Teddy haben. Wahrscheinlich wäre er dann das fünfte Rad am Wagen. Vielleicht bezog sich seine Eifersucht auch darauf, dass sein eigenes Begehren um so vieles komplizierter war, als es Sunnys Leidenschaft zu sein schien.
Leicht seufzte Teddy und haderte mit Amor, der es bei ihm scheinbar besonders kompliziert angehen ließ. Was sollte man auch anderes von einem kleinen fetten Engel mit Pfeil und Bogen erwarten?
Es war, wie es war - er musste sich darauf einstellen, diesen Sommer seinen besten Freund zu teilen und konnte nur darauf hoffen, dass es ihm der rothaarige Wildfang nicht zu schwer machen würde.
Rein vom Prinzip her konnte er Sunny sogar verstehen, denn die langen, roten Haare und die leuchtenden, grünen Augen waren nur der Bonus bei einem hübschen Mädchen mit einer anziehenden Figur und einem hübschen Gesicht mit einigen neckischen Sommersprossen.
Gerne hätte Teddy sie einmal in Ruhe gezeichnet, denn sie hätte ein hervorragendes Modell für seine künstlerischen Ambitionen dargestellt, doch mit solchen Bitten als sprichwörtliche Tür, wollte er nun wirklich nicht ins Haus fallen.
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