„Siehst du“, seufzt er, „ich weiß einfach nicht mehr, was die Menschen glücklich macht.“
Plötzlich tat mir Gott wahnsinnig leid, und ich nahm seine Hand und meinte: „Wir werden das schon schaffen. Wir lassen uns etwas einfallen. Wir finden es heraus. Okay?“
Er kam mir vor wie ein kleiner trauriger Junge, der es einfach immer nur gut gemeint und dann doch irgendwie versagt hatte. Und das war kaum auszuhalten.
Tröstend drückte ich seine Hand und sagte: “Lass uns morgen damit anfangen, in Ordnung?“
Lächelnd blickte er auf und mir ins Gesicht. Mir war, als ob die Sonne gerade aufgegangen wäre, und er strahlte: „Gerne, sehr gerne! Dann bin ich morgen um dieselbe Zeit wieder hier.“
Ich nickte feierlich, und mit einem fast schon glücklichen Lächeln verabschiedete sich Gott von mir, nur um morgen um dieselbe Zeit wieder zu erscheinen.
Und so begann meine Arbeit mit Gott.
Ich wache auf. Traumfetzen verkleben mein Gehirn.
Als ich so langsam zu mir komme, fällt mir schlagartig alles wieder ein.
O mein Gott! Im wahrsten Sinne des Wortes.
Bitte lass es einen Traum sein, alles andere ist unzumutbar.
Ich seufze und stöhne und drehe mich schwer im Bett herum.
Zum Glück sind Ferien und meine Kinder lassen mich ausschlafen.
Maximilian, mein 10jähriger Sohn, ist zwar ein Frühaufsteher, aber er ist gnädig und spielt morgens erst noch ein wenig in seinem Zimmer. Mein 15jähriger Sohn Simon ist selber eine Nachteule und kommt in den Ferien und am Wochenende auch nicht vor Mittag aus dem Bett.
Wir sind da schon ein eingespieltes Team, und ich erwehre mich inneren Vorwürfen, dass ich, egal ob Schulzeit oder Freizeit, morgens wie eine Granate aus den Federn schießen und gut gelaunt, mit einem Liedchen auf den Lippen, Rührei, Speck, Smiley-Pfannkuchen und frisch gepressten Orangensaft servieren muss.
Natürlich, als liebende Mutter müsste mir das wohl ungeahnte Freuden bereiten, aber da in direkter Nachbarschaft zu meiner imaginären perfekten Mom mein innerer Schweinehund wohnt, kann man sich das Ergebnis wohl an fünf Fingern abzählen.
Also drehe ich mich in meinem Feng-Shui-Bett auf den Rücken und starre auf den fünf Meter hohen Giebel über mir, als ob dort die Lösung all meiner Probleme in den nächsten paar Minuten sichtbar werden würde. Wird sie natürlich nicht, und mir bleibt nichts anderes übrig, als mich selber damit zu befassen.
Ich spüre, wie die wirren Gedanken in meinem Kopf Tau ziehen, und werfe mir ein paar Globuli ein.
Maximilian kommt ins Zimmer und erzählt mir, dass er schon mindestens 13 Millionen Bananen gefrühstückt hat und deswegen jetzt ruhig ein bisschen Rad fahren gehen kann.
Ich bin froh drum, schwöre mir innerlich hoch und heilig, ihm morgen ein opulentes Frühstück zu kredenzen und rapple mich mühsam aus den Kissen hoch.
Nach einer eher nachlässigen Morgentoilette schmeiße ich den Rechner an und checke meine Mails.
Oh, eine gute Nachricht, die von der Online-Beratung haben geantwortet und brauchen von den angeforderten Unterlagen nur noch irgendeinen Wisch, worauf sie meine Steuernummer erkennen können.
Gut, sollen sie haben.
Ich scanne einen Bescheid von 2004 ein, weil ich auf die Schnelle in meinem Schreibtischchaos nichts Aktuelleres finde und hoffe, dass sie damit auch zufrieden sind. So wie ich das verstehe, haben sie an den anderen Unterlagen, die ich auf drei Mails verteilt geschickt habe, nichts auszusetzen. Das wäre natürlich top, denn somit würde endlich mal wieder die Kasse klingeln. Und diesen Ton vermisst mein Ohr schon lange.
Nachdem also das erledigt ist, habe ich nur noch 9 Stunden bis zu meinem nächsten Gespräch mit Gott.
Ich sollte es meinen Freundinnen erzählen, weil ich ihnen immer alles erzähle.
Ich rufe bei Eleonora an, meiner besten Freundin seit der 7. Klasse, aber sie ist nicht zu Hause.
Kein Wunder, es sind Ferien und sie hat 3 Kinder. Marco ist 15, Annabell ist 11 und Rudi ist 5 Jahre alt. Außerdem ist sie eine äußerst umtriebige Mom, die auch ständig versucht, ihren Kids etwas Aufregendes zu bieten. Wie alle neuzeitlichen Eltern, die wir mehr Alleinunterhalter und Chauffeure sind als sonst irgendetwas. Wir hetzen vom Fußballtraining zur Gitarrenstunde, von dort zum Reitunterricht, kommen anschließend zu spät zur Theaterprobe, um dann von unseren Kindern wegen mangelndem Zeitmanagement angemault zu werden, während wir selber schon gar nicht mehr wissen, wann wir das letzte Mal Gelegenheit hatten, ein gutes Buch zu lesen.
Wir sind Sklaven einer Kindheit, in der sich niemand für uns Zeit nahm, und nun geben wir uns ganz dem Bestreben hin, es an unseren Kindern besser zu machen. Nur holen wir uns dadurch weder die fehlende Aufmerksamkeit unserer Eltern wieder, noch die wohlverdiente Achtung unserer Sprösslinge, die unseren Einsatz leider als viel zu selbstverständlich erachten.
Als nächstes versuche ich meine andere Freundin Anne zu erreichen. Sie ist zu Hause.
Anne ist gerade in die ehemalige Wohnung meiner Großeltern, die über der meines Vaters liegt, eingezogen.
Wir haben die Wohnung frisch renovieren lassen, und nun ist sie ein Schmuckstück.
Anne ist im 9. Monat schwanger und hat auch schon einen 12jährigen Sohn.
Wir waren alle im letzten Jahr mit meinem Vater und meinem Bruder in Sardinien, und Anne und mein Vater haben sich blendend verstanden. So entstand dann die Idee der Quasi-Wohngemeinschaft. Sie wohnen natürlich beide in eigenen Wohnungen, aber im selben Haus.
Mich würden keine zehn Pferde in diese Bude kriegen, nachdem ja auch die Erbschleicher direkt daneben wohnen und das komplette Grundstück für sich okkupiert haben. Ich müsste ihnen jeden Tag vor die Tür kotzen, und das will ich meinem Magen nicht zumuten.
Sie klingt müde, als sie sich meldet.
Ich frage: „Na, wie läuft’s?“
Erschöpft antwortet sie: “Passt schon soweit.“
Wir leben in Bayern, da kann „passt schon“ so ziemlich alles bedeuten.
Sie fragt: „Und bei dir?“
Ich überlege, ob meine neuesten Nachrichten vielleicht vorzeitige Wehen auslösen können, und sage vorsichtig: „Ich hatte gestern interessanten Besuch.“
„Oh, bitte“, ruft sie, „keine schmutzigen Details, während mein Liebesleben brach liegt!“
„Nein, nicht was du schon wieder denkst“, rümpfe ich empört die Nase. „Ich hatte Besuch von Gott“, falle ich mit der Tür ins Haus.
Die Antwort ist schallendes Gelächter.
„Gott, muss der Typ gut gewesen sein“, kichert sie ins Telefon.
Ich rolle mit den Augen und erkläre genervt: „Nein, ich meine den Echten.“
Stille. Sie ist ja von mir einiges gewöhnt, aber das geht wohl eindeutig zu weit. „Darüber macht man keine Witze“, kommt es spröde von der anderen Seite.
Anne ist ziemlich gläubig, was sie von mir wohl eher nicht denkt. Sie hält mich mehr für so eine liebenswert abgedrehte Esoterik-Verrückte, die an Engel und Karma glaubt, was aber nichts mit wahrer und echter Religion zu tun hat. Deswegen kann ich ihr die Zweifel nicht übel nehmen.
„Ich mache keine Witze“, beteuere ich. „Er war hier, weil er meine Hilfe braucht.“
In dem Moment merke ich selber, wie daneben sich das anhören muss.
„Okay“, kommt es gedehnt vom anderen Ende der Leitung. „Welche Pilze hast du heute Morgen gefrühstückt?“
Mir wird klar, dass es schwerer ist, als ich anfangs geglaubt habe.
„Nein, ich bin völlig nüchtern und habe auch keinerlei Drogen zu mir genommen“, antworte ich und versuche so seriös wie möglich zu klingen.
Ich starte einen neuen Anlauf: „Im Ernst. Gestern kam Gott zu mir und erklärte mir, dass er am Ende ist und meine Hilfe braucht. Er will ab jetzt jeden Tag zur selben Zeit wiederkommen und Gespräche mit mir führen. Wir helfen uns sozusagen gegenseitig, weil er meint, dass es ihm auch hilft, wenn es mir und überhaupt allen Menschen besser geht. Und darum wollen wir nun in so einer Art therapeutischen Sitzungen ergründen, warum es uns beiden so schlecht geht.“
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