"Wenn ihr oben noch Freunde habt, dann sagt ihnen Bescheid, dass ihr nun hinüber könnt. Ich kümmere mich darum, dass es sicher ist'', schloss er mit einem kantigen Grinsen im Gesicht.
Als die vier ihm gedankt hatten und auf dem Weg nach oben waren, rief er ihnen noch nach:
"Das Volk der Steine ist mit euch!''
Mit seiner Hilfe konnten alle Gefährten noch in dieser Nacht über die Kluft gelangen, indem Juliet sie einzeln hinüber trug. Es waren noch über zwei Stunden bis zur Dämmerung, als die Nachtwache der Villa alles aus den Federn rief, weil eine Gruppe Wanderer vor der Tür stand und sich augenscheinlich der sehnsüchtig erwartete Mensch unter ihnen befand. Sofort gab es großes Aufsehen und vor allem Fegat und seine Freunde wollten unbedingt den Menschen sehen, um den sich alles drehte. Im großen Versammlungssaal der dritten Etage stand ein langer, ovaler Tisch. Am einen Kopfende saßen Thewak, Moonwolf, Ubrum, Fegat, Felina und Yalia nebeneinander; die anderen Plätze waren von der restlichen Truppe Fegats und einigen Insassen der Villa besetzt. Für die Ankömmlinge hielt man selbstverständlich Plätze frei. Ein Nekiséer führte den Trupp um Caspar und Eldrit zu der Tür, und sie traten ein. Alle standen auf, als die Gäste den Saal betraten, und Thewak sprach mit feierlicher Stimme:
"Seid uns gegrüßt, Fremde. Mein Name ist Thewak. Lange schon haben wir eure Ankunft erwartet, und endlich seid ihr da. Herzlich willkommen!''
Eldrit und die anderen verbeugten sich tief, während unter den Insassen reges Getuschel herrschte. Dieser vermummte Edeltroll, konnte man ihm trauen? Und der Solide dort drüben, das konnte nicht der angekündigte Retter sein, obwohl viele es sich wünschten. Der Bärtige, war das etwa der Mensch? Nein, er sah doch viel zu unbedeutend aus! Wer war die Frau dort im Umhang? Und was hatte es mit den vier Räubern auf sich? Thewak bat um Ruhe, denn Caspar machte Anstalten zu sprechen. Eldrit hielt es für besser, wenn sein Klient das Wort hatte, da dieser für viele Leute wichtig zu sein schien.
"Habt Dank für eure Gastfreundschaft. Mein Name ist Caspar, und wir freuen uns, endlich hier zu sein.''
Der Trollenprinz musterte inzwischen die illustre Tischgemeinschaft. Dieser Junge mit dem Flossenkopf war sicherlich der Harpan. Misstrauisch sah Eldrit dem Panther in die Augen, und lange blieb sein Blick an Felina und Yalia hängen: Wer von den beiden war ihr Schützling? Sie sahen sich so ähnlich, waren es am Ende zwei Schutzsuchende? Auch Yhildrat und den anderen gingen ähnliche Gedanken durch ihre Köpfe, während sie sich umsahen. Dann nahmen die Gäste Platz. Es gab viel zu bereden, und nach einer Weile verließen einige Einhörner und Nekiséer den Saal; sie waren enttäuscht, dass der Kapitän wirklich ihr großer Retter sein sollte. Gegenseitig erzählten sich die Gruppen von ihren Erlebnissen und Erfahrungen, es wurden viele Fragen gestellt und beantwortet. Fegat überschlug sich fast vor Freude, als Fenrir vom Gespräch mit dem Steinwal erzählte, und dass Narbenkralle aus der Kluft geklettert sei, wenngleich auch unklar war, wo der Werwolf sich im Augenblick befand. Yhildrat brachte die sehr persönliche Frage ins Spiel, wie Thewak denn Yalias Onkel sein konnte, wenn er ihr doch in keinster Weise glich, was damit erklärt werden konnte, dass Yalias Großeltern ihn adoptiert hatten, als er noch sehr klein gewesen war.
Schließlich nahm Thewak Caspar mit aus dem Raum; und während die anderen sich noch über die Abenteuer austauschten, erfuhr der erschrockene Kapitän von Yalias Vater und der Solid Yol. Thewak ließ nichts aus, und als er an die Stelle kam, die von ihm, Caspar, handelte, musste er sich auf den rötlichen Teppich im Gang setzen. Das war eindeutig zu viel und ging über seinen Verstand hinaus. Er stellte Thewak viele Fragen, hakte nach. Und dann erinnerte er sich an seine Träume.
Caspar hatte in den letzten Jahren immer wieder einen bestimmten Traum gehabt, den er aber irgendwann zu ignorieren begann, und den er kurz vor seiner ersten Begegnung mit Eldrit erneut gehabt hatte. In diesem Traum wandelte er durch eine seltsame Küstenstadt. Er ging durch einige Straßen und auf vielen Wegen entlang, an Geschäften vorbei und zwischen Gebäudetrümmern hindurch. Viele schattenhafte Gestalten hatten ihn auf der Suche begleitet, während die Luft von grausamen Geräuschen erfüllt gewesen war. Letztlich, am Ende des Traumes, bückte er sich nach etwas, um es aufzuheben, und immer hatte er sich selbst gesehen, wie er etwas in seiner Hand anstarrte. Nie hatte er sich Gedanken gemacht, was genau er da aufgehoben und was er angesehen hatte. Jetzt machte alles Sinn. Und auch an einen Mann, der exakt Yols Aussehen hatte, konnte Caspar sich erinnern.
Dieser Mann hatte sich damals als Reporter vorgestellt und Caspars Arbeit dokumentieren wollen. Nach der Schiffsreise, die über einige Wochen gegangen war, hatte er sich aber nie wieder blicken lassen. Thewak klärte ihn auf, dass etwas ähnliches in Yols Notizen stand, dass sein Bruder den geeigneten Kapitän für die Solid Yol gefunden habe. Überaus enttäuscht, dass er mit der Geschichte vom großen Beschützer nur geködert worden war, wollte Caspar noch wissen, wie überhaupt Thewak von der Wahrheit erfahren hatte. Zu seiner Verwunderung bekam er zu hören, dass Caspars genaue Position im Dimensionenreich von Bunyarba und dessen genaues Aussehen in Yols Notizen beschrieben worden waren.
Thewak führte den ungläubigen Kapitän in sein Arbeitszimmer, welches voll von Büchern war, und holte aus einem hölzernen Kasten einige Papiere heraus. Der Kapitän las Wort für Wort, was der Erfinder über ihn aufgeschrieben hatte. Alles stimmte: Datum, Ort, Uhrzeit, jedwede Handlung auf See. Sogar Analysen waren erstellt worden über die genaue Vorgehensweise an Bord. Yol hatte ihn für den perfekten Steuermann gehalten und die Solid Yol nach Caspars Parametern modifiziert. Allein die Anpassung des Schiffes an sein Reaktionsvermögen, seine Ausdauer und seine Wachsamkeit sowie seinen Elan und etliche andere Eigenschaften hatte den Erfinder gut ein halbes Jahr gekostet, wenn man die Daten der Eintragungen betrachtete. Der Mann musste verzweifelt nach einem Ausweg gesucht haben, dass sein Werk nicht von den falschen Händen gesteuert werden konnte. Zwar benötigte die Solid Yol keinen Kapitän, um zu funktionieren, aber nur durch ihn bekam sie wirklich einschlagende Macht.
Caspar war fassungslos. Er erkundigte sich nach dem Vorhandensein des Rumvorrates und begab sich sofort in den Keller. Inzwischen erzählte Thewak auch den anderen von der ganzen Geschichte. Sie waren nicht weniger geschockt als der Kapitän, und Eldrit sorgte sich um seinen Klient und Freund. Zusätzlich konnte Yalias Onkel nun mit den neuen Erkenntnissen aufwarten, die erst recht alle in Erstaunen versetzten.
"Dann sehe ich keinen Grund, warum wir nicht auf schnellstem Wege nach Angelswin reisen sollten, um dem ganzen Spuk ein Ende zu machen'', äußerte sich Ubrum.
"Natürlich müssen erst einmal die Respen außer Gefecht gesetzt werden, was jetzt keine große Sache mehr sein sollte. Und danach sollten wir in Erfahrung bringen, wie wir nach Angelswin kommen.'' Der Edeltroll gab sich gewohnt realistisch. "Außerdem muss Caspar nach diesen Erkenntnissen wahrscheinlich erst einmal gründlich seinen Rausch ausschlafen, sobald er wieder aus dem Keller zurück ist."
"Sollten wir nicht auf die Rückkehr von Narbenkralle warten? Die Heiler im Haus sind sehr zuverlässig; mit ihm haben wir eine noch größere Chance auf Erfolg'', meinte Felina. Auch Fegat stimmte dem zu.
"Also gut'', entgegnete Thewak. "Wer dafür ist, dass wir auf den Werwolf warten, um unsere Angriffsstärke zu vergrößern, der hebe bitte die Hand.''
Es meldeten sich alle, bis auf Moonwolf, Eldrit und Ubrum. Der Edeltroll rechtfertigte sich. "Ich denke, ich spreche für uns drei, wenn ich sage, dass wir schon einmal so hart angreifen sollten, wie es uns möglich ist. Wenn dann der Werwolf kommt, haben wir noch einen Trumpf in der Hand, mit dem die Respen nicht rechnen.'' Die Füchsin und der Panther nickten zu seinen Worten.
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