Als es Abend wurde und die eisige Luft sich langsam wieder ins Zelt schlich, wurde sie vom Duft gebratenen Fleisches erfüllt. Den Freunden lief schon das Wasser im Mund zusammen, doch das war rasch vergessen, als der Mann eintrat, der sie so wortlos begrüßt hatte. Anders als beim ersten Mal trug er nun einen dunkelblauen Mantel, sein graues Haar war kurz geschnitten. Auf der Stirn, die morgens noch von der Militärmütze bedeckt worden war, prangte nun ein seltsam verschlungenes Zeichen: Ein schwarzer Kringel, der nahtlos in einen blauen überging. Unter dem Mantel konnte man schwarze Kleidung erkennen, und noch etwas fiel auf. Er trug keine Waffe bei sich, was bedeuten musste, dass er sich seiner Sicherheit vollkommen bewusst war. Langsam und immer noch wortlos schritt er um den Pfahl herum, an dem die acht Gefangenen teils hingen, teils saßen. Mit Stricken waren ihnen die Hände festgebunden worden, wobei die des Edeltrolls noch immer durch den schier endlos dehnbaren Mantel verdeckt wurden. Die Füße waren ihrerseits mit schweren Eisenketten an den Felsboden gebunden und wurden durch stählerne Klammern verstärkt. Zusätzlich war eine lange Kette zwölfmal um die gesamte Truppe gelegt worden, so eng es nur ging, und mit zwei Schlössern versehen worden. Bei Juliet, der pereluanischen Magierin, blieb der wuchtige Mann mit dem hämischen Grinsen stehen und streckte die Hand nach ihr aus. Die Hunde blieben ganz ruhig liegen. Langsam strich er ihr über das angewiderte Gesicht, fuhr die Konturen ab und zog seine Hand wieder zurück. Dann hockte er sich vor sie hin und betrachtete sie genauer.
"Du bist eine Perelua, das sehe ich sofort.''
Seine Stimme klang heiser und bedrohlich. Juliets Augen flammten leicht auf.
"Ja, ich kenne mich mit den Völkern aus. Nicht mit allen, aber mit den meisten. Perelua sind ein aufmüpfiges Volk, das sich nahe der ketrenkischen Wälder aufhält. Groß genug sind die ja, da gibt es zahllose Siedlungsmöglichkeiten. Allerdings sollen viele eures Volkes ums Leben gekommen sein, als die Hauptdörfer von diversen Leuten aufgemischt wurden.''
Er bekam ein breites Lächeln, als er sah, wie Juliets Ausdruck immer verbissener wurde.
"Na, nun schau doch nicht gleich so. Denkst du etwa, dass meine Männer damit zu tun haben? Da muss ich dich enttäuschen. Wir spielen hier oben nur Schatzsucher. Die in der Villa haben etwas, das wir unserem Boss besorgen sollen. Dafür gibt es eine ordentliche Entlohnung. Das ist alles. Mit eurem Völkchen haben wir nichts zu schaffen, aber ich weiß, wer es war.''
Er stand auf und ging um die Gruppe herum, während Juliet immer wütender auf dieses Ekelpaket wurde.
"Ah, und hier sitzt ja ein ganz nettes Tierchen.'' Er stand vor Eldrit. "Hm, von deinem Gesicht her kannst du doch eigentlich nur ein Trollgemisch sein, nicht wahr? Wie nennt ihr euch gleich wieder? Edeltrolle? Nun, was euch so edel machen soll, abgesehen von eurer Schlankheit gegenüber den richtigen Trollen, weiß ich nicht. Aber sehr mächtig scheint ihr nicht zu sein. Soweit mir bekannt ist, gibt es im eurem Reich nur noch einen Regenten, der zudem aus seiner Heimat geflohen ist oder so etwas. Wie erbärmlich!''
Sein Lachen erfüllte das Zelt. Wie gerne hätte Eldrit erwidert, dass er nicht geflohen war, sondern lediglich einen wichtigen Auftrag angenommen hatte. Dann war es an den Räubern, verspottet zu werden.
"Oh, wie reizend. Räuberpack von der Südseite Geryals. Euch erkennt man aber auch überall. Die gleichen zerrissenen Klamotten, die gleichen dämlichen Gesichter.''
Besonders große Augen machte er bei dem Stillen, dem zungenlosen hageren Räuber mit den scharfen Augen. "Ach nein, welche Freude! Wenn mir das Gesicht noch richtig in Erinnerung ist, allerdings musst du schwer gehungert haben, armes Kerlchen, dann bist du doch einmal Oberaufseher im Gefängnis von Melarc gewesen, mit deinem schicken Anzug und dem tollen Hut, nicht wahr? Das war noch, bevor man dich zum Bürgermeister einer kleinen Stadt gemacht hatte. Wie man so tief sinken kann. Und dieser breite Kerl hier'', er kam nun ganz nahe an Fugre heran, den stämmigen Räuber, der sich schon oft auf der langen Reise als hilfreich erwiesen hatte, und seine Stimme wurde zu einem bitteren Flüsterton.
"Warst du nicht der jämmerliche Familienvater, der damals um seine Frau und seine drei Kinder geweint hat? Einige Monate ist das erst her, nicht wahr? Ich war anwesend, musst du wissen.'' Fugres Herz schlug schneller, er begann zu zittern. "Meine Männer sind gute Attentäter, wenn das Geld stimmt. Und sie sind göttliche Attentäter, wenn es ihnen dabei auch noch Spaß macht.''
Er erhob sich und zeigte auf Juliet: "Dafür war ich nicht verantwortlich.'' Dann wanderte sein Finger zu Fugre: "Dafür schon.'' Fugre wollte aufspringen, was allein wegen der Ketten schon nicht gelang. Der Mann grinste abermals und ging zu Fenrir weiter.
"Und sieh einer an.''
Das war für einen Augenblick alles, was er sagte. Dieser Mann mit den vielen Tätowierungen flößte ihm offenbar irgendwie Furcht ein. Er erkannte die Abstammung des Mannes, der ehemals ein Dimensionstor bewacht hatte, ehe er sich Eldrit und den anderen anschloss, sofort.
"Sieh einer an. Von euch haben wir auch schon viele besiegt, sehr viele.''
Sowohl er als auch Fenrir wussten, dass das nicht stimmte, Fenrir sah es in seinen Augen. Der Mann hingegen fürchtete sich, auch nur das Volk auszusprechen, dem Fenrir angehörte. Hier saß einer, der ihm wirklich Angst machte. Zuletzt stand der wuchtige General vor Caspar.
"Schau sich einer diesen Haufen Dreck an. Ein ganz gewöhnlicher Mensch, unterwegs mit allem möglichen Unrat von Bunyarba. Wie lustig! Was treibt dich wohl hierher, Menschlein?''
Der bärtige Kapitän war sich zwar der Situation bewusst, in der sie steckten, doch war der ängstliche Blick, den der General Fenrir zugeworfen hatte, nicht spurlos an ihm vorüber gegangen.
"An mir ist nicht mehr Mensch als an dir, Breitschädel.''
Der Mann wollte etwas sagen, warf dann aber einen Seitenblick zu Fenrir und ging aus dem Zelt.
"Was war das denn jetzt?'' brachte Yhildrat hervor. "Mir ist das Herz bis in die Füße gerutscht, Caspar. Alle Wetter!''
Auch Eldrit war von der Äußerung seines Freundes erstaunt. "Wie konntest du so leichtfertig mit ihm reden wie mit einem Kind? Das gibt garantiert Strafmaßnahmen.''
Caspar indes war vollkommen ruhig. "Nun sorgt euch nicht, ich habe genau das Richtige getan. Ihr habt nicht gesehen, was ich sehen konnte. Aus einem unerfindlichen Grund hat der gute Mann Angst vor unserem Dimensionenwächter. Er wird uns nichts antun, solange Fenrir bei uns ist, warum auch immer.''
Fenrir hingegen weigerte sich, auf die Fragen nach seiner Abstammung zu antworten, weder seinen neuen Freunden noch den Feinden.
Es verging eine halbe Woche ohne größere Vorkommnisse, bis eine Nacht kam, in der es im Nachbarzelt auffällig laut wurde und die Gefährten aufhorchen ließ. Der sarkastische General hatte seine Stimme inzwischen wieder, und sein Gesprächspartner war kaum zu hören, denn meist sprach der General. Aber es schien dennoch ein wichtiger Gast zu sein.
"Wie dem auch sei. Guten Abend, General Srel.'' Die Stimme war weich und irgendwie sehr jung.
"Guten Abend, Eure Lordschaft. Habt Ihr gut her gefunden?''
"Kommen wir besser zur Sache, General. Wie ist die Sachlage?''
"Nun, zur Zeit befinden wir uns auf einer neutralen Ebene der Belagerung. Wir konnten einige Verluste beim Feind verbuchen, haben allerdings auch selbst Soldaten einbüßen müssen. Darunter ein sehr zuverlässiger Mann, der ...''
"Wie ist das passiert?''
"Nun, tja. Soweit mir bekannt ist, soll ein Drache ...''
"Ich bitte Sie, Srel! In Ryes gibt es keine Drachen. Auch wenn ich schon einige Jahre nicht mehr hier war, so ist mir die hiesige Fauna doch bestens im Gedächtnis.''
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