4. Schließlich gibt es den Bereich der autonomen Lehrsysteme, seien es MMOGs, Serious Games oder eine der vielen anderen Varianten.
Unsere Beurteilung der Unterstützung des eLearning durch dedizierte Einrichtungen wird auf diesen vier Ebenen durch folgende Überlegungen begründet:
(ad1) Die Bereitstellung digitaler Inhalte für die Lehre ist von der grundsätzlichen Verfügbarmachung digitaler Ressourcen innerhalb der informationstechnischen Gesamtstruktur nur schwer zu unterscheiden. Expliziter Bedarf für eine Förderung des eLearning in diesem Bereich kann nur entstehen, wenn die informationstechnische Infrastruktur einer Hochschule insgesamt schwere Defizite aufweist.
(ad2) Die Vorstellung, dass eLearning vor allem durch die systematische Unterstützung der Kommunikationsprozesse zwischen Lehrenden und Lernenden geprägt werde, stellt wohl die derzeitige Mehrheitsmeinung an den Hochschulen dar. Bei Betrachtung des Leistungsumfanges der augenblicklich im Vordergrund stehenden Systeme, vornehmlich ILIAS und Moodle, ist es aber bereits jetzt relativ schwierig zu erkennen, worin der spezifische Mehrwert dieser Systeme gegenüber der kompetenten Verwendung von Wiki-Systemen, Blogs oder anderen Plattformen aus dem Bereich der sozialen Software – u.a. Google, Facebook – eigentlich besteht. Und mit dem rapiden Ausbau der Funktionalität dieser Systeme ist es schwer vorstellbar, warum sich dieser Abstand in Zukunft vergrößern sollte. Die Organisation gruppenbasierter Kommunikation und die gegenseitige Bereitstellung digitaler Ressourcen definieren die sozialen Netzwerke.
Dennoch scheint uns aus heutiger Sicht die Notwendigkeit der systematischen Förderung des Einsatzes dieser Werkzeuge an den Hochschulen durch geeignete Stabsstellen unbestreitbar: Dies ist jedoch nicht der technischen Komplexität dieser Anwendungen geschuldet, sondern der Tatsache, dass wir davon ausgehen, dass Hochschullehrer mindestens der Geburtsjahrgänge 1960 und früher, in manchen Fächern wohl noch 1970 und früher, im Sinne des funktionalen Analphabetismus funktional computer-illiterat sind. Dies heißt nicht, dass die Fähigkeit zur elektronischen Kommunikation nicht bestünde: Aber so wie es für einen funktionalen Analphabeten eines bewussten Aufwandes bedarf, Buchstaben zu Sätzen und deren Informationsgehalt zusammen zu setzen, während eine voll literate Person den Inhalt der in einem öffentlichen Verkehrsmittel neben ihr gelesenen Zeitung unbewusst und unabsichtlich mit rezipiert, sind für einen voll computer-illiteraten Hochschullehrer die Möglichkeiten allgemeiner Softwaresysteme für die Kommunikation und die Bereitstellung von Information ohne bewusste Anstrengung zugänglich, für einen funktional computer-illiteraten nicht.
Aus dieser Einschätzung heraus ergibt sich die Empfehlung, an den Hochschulen den mittelfristigen Schwerpunkt auf die Einrichtung möglichst integrierter allgemeiner Informationsplattformen zu legen. Wir empfehlen darüberhinaus, dedizierte eLearning-Systeme aus dem Kommunikationsunterstützungsparadigma dagegen als transientes Phänomen zu betrachten, dessen Bedeutung mit dem Nachrücken jüngerer Jahrgänge in die Reihen der Hochschullehrerschaft deutlich sinken wird. Die Betreuung dieser transienten Systeme sollte also in die allgemeine Betreuung des im Abschnitt 4.2.1. definierten „Allgemeinen Informationszuganges“ möglichst eng integriert werden, sodass die Beschäftigten sukzessive andere Aufgaben übernehmen können, wenn die Bedeutung der transienten Systeme abnimmt. In vieler Hinsicht führt diese Betonung integrierter allgemeiner Informationsplattformen das Argument für die Existenz spezieller eLearning-Zentren, durch diese entstehe dadurch, dass alle eLearning-relevanten Kenntnisse und Ressourcen an einer Stelle „versammelt bzw. vereint“ würden weiter, geht aber darüber hinaus.
(ad 3 und 4) Dass erhebliches didaktisches Potential in den angeführten Ansätzen enthalten ist, soll in keiner Weise bestritten werden. Wir können jedoch nicht umhin, folgende Beobachtungen zu treffen:
a) Vokabeltrainer und vergleichbare Systeme tauchen in den einschlägigen Diskussionen seit den 1980er Jahren auf. Dass sie sich zwischenzeitlich nicht stärker durchgesetzt haben, legt nach den von uns im Abschnitt 4.1.1. beschriebenen Grundsätzen für die Bewertung technischer Trends nahe, dass ihr Stellenwert sich in den nächsten fünfzehn Jahren nicht gravierend ändern wird – es sei denn, dass sie als von den Hochschulen unabhängige Werkzeuge in das Verlagsangebot eingehen werden, wofür es unbestreitbare Anzeichen im Grundschulbereich gibt. In diesem letzteren Fall wird ihre Besorgung jedoch Bestandteil der grundsätzlichen (bibliothekarischen) Ressourcenbeschaffung sein.
b) MMOGs (Massively Multiplayer Online Games) als didaktische Plattform sind unstreitig relativ neu; die didaktischen Grundsätze bei ihrer Verwendung scheinen uns jedoch direkt auf die ursprünglichen Idee des didaktischen Einsatzes von MUDs (Multi User Dungeons) zurückzugehen, die ebenfalls bereits aus den frühen Internet Tagen stammt.
c) Serious Game sind in wesentlichen Punkten neuer, das Kriterium der „langen Nichtdurchsetzung“ stellt sich bei ihnen daher nicht. Vor allem mit (b) sind sie aber doch hinreichend verwandt, dass wir Zweifel an einer rapiden Durchsetzung haben. Allgemein sind bei unserer Empfehlung „Integration der Unterstützung für die kommunikativen eLearning-Paradigmen in die allgemeinen Hochschulplattformen, Betrachtung darüber hinausgehender eLearning-Ansätze als Forschungsparadigmen“ noch insbesondere zwei Beobachtungen wichtig:
i) Gegenwärtig ist – wohl auch aufgrund weniger glücklicher Erfahrungen mit früheren Förderinitiativen – das eLearning als solches bei vielen Hochschulleitungen diskreditiert. Zitat einer für die eLearning-Unterstützung verantwortlichen Mitarbeiterin:
„Als ich vor anderthalb Jahren anfing, durften wir den Begriff eLearning gegenüber der Hochschulleitung gar nicht verwenden, wenn wir beachtet werden wollten. Wir haben daher zunächst ausschließlich vom ‚Medieneinsatz in der Lehre‘ gesprochen. Mittlerweile vertraut man uns aber soweit, dass wir gelegentlich auch wieder von eLearning sprechen.“ 23
ii) Sehr auffällig ist auch die Praxis der FernUniversität Hagen: Einerseits ist die Hochschule eine bekannte Anlaufstelle für die Forschung im Bereich eLearning. In der Praxis ist die FernUniversität, die auf Grund der nicht-Präsenz ihrer Studierenden eigentlich für netzbasierte Didaktiken prädestiniert wäre, aber offensichtlich sehr konservativ: So ist der gedruckte Studienbrief nach wie vor mit Abstand das wichtigste Fernlehrmittel. Eine detaillierte Untersuchung der Gründe dafür liegt aber jenseits des Bereichs dieser Studie. Eine naheliegende, empirisch nicht geprüfte, Vermutung wäre, dass Fernstudierende wohl tendenziell älter sind, als die Studierenden der Präsenzuniversitäten, daher weniger netzaffin und dem eLearning weniger zugänglich. Dennoch halten wir die beschriebene Praxis der FernUniversität für ein gewichtiges Argument gegen die Annahme, dass anspruchsvollere eLearning-Ansätze sich rasch durchsetzen werden.
Zusammenfassend legen diese Beobachtungen für uns nahe, dass für eine nicht näher bestimmbare Zukunft die fortgeschritteneren Formen des eLearning eine Aufgabe für die didaktische Forschung, nicht für die Infrastruktureinrichtungen der Hochschulen bleiben.
Diese Überlegungen sprechen klar gegen die Schaffung dedizierter eLearning-Einrichtungen. Dies halten wir systematisch für sinnvoll.
Sowohl bei der Diskussion der vorlegten Thesen im April 2010, als auch in nachfolgenden weiterführenden Diskussionen, wurde jedoch mehrmals – ohne Widerspruch anwesender Vertretern von Hochschulbibliotheken – in Anspruch genommen, dass eine getrennte Organisation des eLearning Supports notwendig sei, da hier eine wesentlich engere Betreuung der Lehrenden erforderlich sei, als dies durch die Hochschulbibliotheken zu leisten sei. Einerseits, weil hier die Notwendigkeit der sofortigen Reaktion auch außerhalb der Regelarbeitszeit notwendig sei, die einer Hochschulbibliothek nicht zuzumuten sei, andererseits, weil hier eine direktere Betreuung von Lehrenden erforderlich sei, die ein spezielles Vertrauensverhältnis, etwa durch die Umsetzung innerhalb einer Fakultät, notwendig mache.
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