Ullisten legte ihm eine seiner Goldmünzen auf den Schreibtisch, die er aus einem Innenfach seiner Hose zauberte. Diese hier waren größer, als die, die er dem Wirt in Tatew für die Übernachtung gegeben hatte. Der Mann bekam große Augen. Erstaunt betrachtete er die goldgelb glänzende Farbe des Edelmetalls und die fremdartige Prägung. Die Münze war erstaunlich groß, ziemlich dick und extrem schwer, er wog sie abschätzend in seiner Hand. Ullisten konnte sehen, dass der Kerl Erfahrung hatte.
»Woher stammt das?«
»Es ist legal, nicht gestohlen«, mehr sagte Ullisten nicht.
Der Zahlmeister betrat den Raum, gefolgt von Christos Gatsos. Der Zahlmeister war ein kleiner rundlicher Typ mit Glatze und Vollbart. Umständlich kramte er eine Waage aus seiner Tasche und stellte sie auf den Tisch. Der "Boss" gab ihm das Goldstück. Ullisten konnte das gleiche Erstaunen im Gesicht des winzigen Menschenmännchens erkennen, obwohl dieses Haargestrüpp sehr viel von der Mimik verdeckte. Maria beobachtete die Szene mit Argusaugen, hielt sich aber zurück. Die Morddrohung steckte ihr noch in den Knochen.
Der Buchhalter untersuchte das Gold akribisch und nachdem er eine Säureprobe gemacht hatte und mit einem Spezialgerät die Münze durchbohrt hatte, um festzustellen, ob es sich tatsächlich durchgängig um Gold handelte, schrieb er nach einer Weile ein paar Zahlen auf ein Papier, das er dem "Boss" gab. Der betrachtete lange den Wert, bevor er ihn in seine Tabelle einfügte. »Für eine Unze bekommst du bei mir eintausend Dollar. Dieses Stück hat etwas über ein Kilogramm. Ich will vier davon. Der Preis ist soeben gestiegen«, sagte er schließlich.
Ullisten biss sich auf die Lippen. Das waren fast alle seine Reserven, aber er hatte keine Wahl. Der "Boss" beobachtete ihn unter halb geschlossenen Lidern hervor.
»Also gut, wenn Qualität stimmt. Ich möchte sehen. Wie lange dauert.«
Maria sah ihn erstaunt an. Wo hatte Ramirez Estar das Gold versteckt? Die Männer hatten ihn doch vorhin untersucht. Gold war schwer, das hätten sie eigentlich finden müssen, vor allem so ein riesiges Teil und nun schien Ramirez Estar noch ein paar mehr davon am Leib zu tragen. Offenbar war der "Boss" zu dem gleichen Schluss gekommen. Ullisten wusste, dass es jetzt gefährlich wurde. Wenn sie ihn noch einmal gründlicher untersuchen würden, dann würden sie die Geheimnisse seiner Kleidung entdecken und dann würden sie hier nicht mehr herauskommen. Ohne zu zögern zog er seinen rechten Schuh aus und griff nach dem Brieföffner, der auf dem Schreibtisch in einer Schale lag.
»Darf ich?«
Ullisten wartete nicht auf eine Antwort, sondern öffnete das Fach, das in die Innensohle seines rechten Schuhs eingelassen war. Während er den Beutel herauszog, in denen er die Goldmünzen aufbewahrte, deaktivierte er unbemerkt von den Menschen die Druckkammer, eine Spezialität der UCEG-Techniker, die das Gold auf subatomarer Ebene zusammenpresste und damit das Volumen verringerte. Sachte legte er die Goldmünzen vor sich auf den Tisch, die jetzt die Größe einer ziemlich dicken Medaille hatten und steckte den Beutel zurück in seine Jeans.
»Das ist alles was habe«, sagte er gelassen.
Der "Boss" zögerte, aber nach einem kurzen Blick auf den Zahlmeister, willigte er ein.
»Hol´ Juri.«
Christos Gatsos ging und holte den jungen Mann, der den Ausweis für Ramirez Estar, die Bestätigung über das ECOS-Konto und ein Bankkonto bei der chilenischen Staatsbank in Antofagasta mitbrachte. Er fügte noch ein Foto ein, das er mit einem kleinen Gerät anfertigte, das das Bild direkt auf den Ausweis transferierte. Maria nahm die Unterlagen und prüfte sie genau. Sie schien sich mit so etwas auszukennen. Ullisten sah zu, wie sie den Ausweis durch verschiedene Geräte zog, deren Funktion sich ihm nicht erschloss. Schließlich nickte sie. »Gute Arbeit. Was ist mit den Goldzertifikaten?«
»Die brauche nicht mehr. Das alles was ich hatte.« Ullisten schüttelte bedauernd den Kopf. Die Leute schienen ihm zu glauben, aber sicher war er sich nicht. Es war Zeit zu gehen, erwachte erst einmal die Gier nach mehr, dann waren sie schneller tot, als sie sich umdrehen konnten.
»Wir fertig?« Er nahm die Papiere und steckte sie in die Innentasche seines Mantels, dann stand er einfach auf. Die Männer hielten Abstand zu ihm. Der fremdartige Riese war ihnen nicht geheuer.
Wenige Minuten später waren sie wohlbehalten wieder draußen auf der Straße, vor der unscheinbaren Tür, und atmeten die staubige Luft ein. Ullisten war froh, dass sie mit heiler Haut davongekommen waren. Maria Lautner, oder sollte er sie jetzt Severina nennen, ging es offenbar genauso. Sie lächelte schwach.
»Lassen Sie uns von hier verschwinden.« Maria Lautner eilte zielstrebig zum Auto. Als sie sich umdrehte war Ramirez Estar verschwunden. Verblüfft sah sie sich um. Hatte er sich etwa in Luft aufgelöst. Die Leitern waren viel zu hoch, um da hinauf zu kommen. Es war ihr unheimlich, so wie der ganze Mann ein wenig unheimlich war. Verwundert war sie eigentlich nicht darüber, dass er sich aus dem Staub machen würde, sie hatte sogar damit gerechnet, aber nicht zu diesem Zeitpunkt. Nun, für sie war es ebenfalls besser, möglichst schnell von hier zu verschwinden. Ihre alten Kumpane beobachteten sie sicher und würden es sich vielleicht anders überlegen, wenn sie noch eine Weile hier herumgaffte. Auf deren Überwachungskameras würde sie vermutlich erkennen können, wohin Ramirez Estar so unvermittelt verschwunden war, aber die würden sich wahrscheinlich schon totlachen über sie und ihre Hilfsbereitschaft.
Sollten sie ruhig, für sie war das bedeutungslos, denn sie brauchte das gar nicht. Lächelnd stieg sie in den Wagen. Ganz so blöd war sie ja auch nicht. Sie hatte bereits in Jerewan, als sie Ramirez Estar am Arm durch die Menschenmenge gezogen hatte, einen Sender auf seinen Mantel geklebt. Bei Ramirez Estar war es besonders effektiv, weil er offenbar nur dieses Kleidungsstück zu haben schien und damit gab es keine Lücken in der Überwachung. Ramirez Estar war das bis jetzt nicht aufgefallen und das würde es vermutlich auch nicht mehr. Der Sender war in der Zwischenzeit bestimmt bereits mit dem seltsamen Material des Mantels verschmolzen. Der Minispion war ein raffiniertes Stück Technik, das Maria schon seit einiger Zeit erfolgreich für die Überwachung von Menschen einsetzte. Es bezog seinen Energiebedarf aus seiner Umgebung und war damit völlig wartungsfrei. Der Sender nutzte das Funksignal der Mobilfunkstationen als Trägerfrequenz. Das Signal, dass sie den Basisstationen unterschob war so kurz, dass es nicht einmal als Störung auffiel. Natürlich hatte sie die Adresse des Minispions maskiert, ebenso die Empfangseinheit. Damit war sie unauffindbar für die wachsamen Augen der Securityabteilungen der diversen Geheimdienste. Nicht umsonst war sie eine der Besten in der Ausbildung gewesen, die sie in den letzten Jahren genossen hatte. Sie hatte natürlich niemandem gesagt, dass sie einen Computerwurm bei einer kleinen Mobilfunkgesellschaft eingeschleust hatte, der sich bereits weltweit über sämtliche Basisstationen verbreitet hatte. Es war ihr Geheimnis. Das bedeutete, egal wo Ramirez Estar hinging, sie würde ihn finden. In aller Seelenruhe startete sie den Wagen und verließ die ungastliche Gegend. Spätestens in einer Stunde würde sie wissen, wo der Kerl sich herumtrieb und einfach in seiner Nähe bleiben, so wie sie das in den letzten Jahren immer gemacht hatte.
Die Alutraka war nicht erfolgreich gewesen. Leutnant Milia Karadra und ihre drei Untergebenen beobachteten aus dem Sternenjäger heraus das Chaos, das die Lichtbombe angerichtet hatte. Der Cor´hsarr schwebte in etwa fünfzig Metern Höhe über Jerewan, gut geschützt vor neugierigen Blicken durch die Tarnvorrichtung. Ber Zerot, der Gefreite und Jüngste im Explorerteam der Adschirr´arr, war kreideweiß um die Nase und schlotterte am ganzen Körper. Seine Zähne schlugen in einem schnellen Rhythmus aufeinander, bis Var Celdor, der als Copilot neben Milia Karadra saß, sich umdrehte und ihm die Kinnlade nach oben drückte. Das Klappern erstarb.
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