»Für wen arbeiten Sie?«
Er zögerte mit der Antwort, andererseits konnte er nichts mehr verlieren, also sagte er ihr einfach die Wahrheit. Sie würde es ohnehin nicht glauben. »Arbeite für UCEG, eine Geheimorganisation, hilft Schwachen und Unterdrückten.«
Jetzt war es an Maria Lautner ihn scharf anzusehen. UCEG, davon hatte sie noch nie gehört. Andererseits kannte sie nun auch nicht wirklich jede dahergelaufene Geheimorganisation und schon gar nicht die, die es vermutlich in großer Zahl auf dem südamerikanischen Kontinent gab. In den Chaosjahren wurden viele solche Organisationen ins Leben gerufen. Geblieben war eigentlich nur die EGCom, die Environment Gender Community, die noch einen einigermaßen bedeutenden Einfluss auf die Geschehnisse hatte.
»Und für wen arbeiten Sie?« Ullisten war gespannt, was sie ihm auftischen würde. Ihre Antwort kam prompt, aber es war nicht wirklich viel, das hatte er sich auch gleich gedacht.
»Auch für eine Geheimorganisation.« Maria Lautner grinste. »Patt!«
Was immer "Patt" hieß, Ullisten fand, dass sie es dabei belassen sollten. Keiner würde auch nur irgendetwas preisgeben, nicht zu diesem Zeitpunkt. Maria Lautner schien das ebenfalls zu wissen.
Sie seufzte, »also gut, dann besorgen wir Ihnen erst einmal Papiere, Ramirez Estar aus Chile.«
Sie startete den Wagen und fuhr zurück auf die Landstraße und dann Richtung Ararat. Das Städtchen war nicht besonders groß und auch nicht sehr schön, eine Arbeiterstadt eben. Die Häuser waren einfach und kastenförmig gebaut, fantasielose Wohnblocks für die Werktätigen der Zementfabrik.
Maria Lautner hielt zielstrebig auf ein Industriegebiet zu, das am Rande eines etwas zwielichtigen Viertels in Ararat lag. In einer der Seitenstraßen, neben einer großen, langgestreckten, ziemlich heruntergekommenen Halle parkte sie das Auto und stieg aus. Ullisten folgte ihr.
»Lassen Sie mich reden, ok?«, sie sah ihn eindringlich an.
Ullisten nickte stumm. Argwöhnisch betrachtete er das Industriegebäude, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Das Dach war mit einer Art gefaltetem Metall bedeckt, das im Sommer bestimmt richtig heiß wurde. Ab und zu gab es Leitern die von oben herunter führten. Die Leitern endeten allerdings in einigen Metern Höhe über dem Boden, warum auch immer. Verstohlen ging sein Blick zum Himmel. Es war nichts zu sehen. Sollte er den Adschir´arr tatsächlich entkommen sein? Und wo waren die Geheimdienstagenten von gestern? Er glaubte nicht wirklich daran, dass er die Menschen hatte abschütteln können, früher oder später würden die wiederauftauchen und was immer die von ihm wollten, es konnte nichts Gutes sein.
Maria Lautner ging voran, die Straße hinunter, die vor einer großen bröckeligen Mauer aus einem roten Material endete, das durch den Staub hindurchschimmerte. Ullisten sah die unscheinbare Tür erst, als sie unmittelbar davorstanden. Maria Lautner klopfte energisch. Nichts regte sich hinter der Tür. Ullisten sah sich verstohlen um. Es war sehr still in dieser Straße, kein Fahrzeuglärm, kein Tier gab einen Laut von sich, es gab keine Pflanzen, der Straßenbelag war rissig und ungepflegt. Er schärfte seine Sinne. Sein Gehör war um einiges besser, als das der Menschen, trotzdem konnte er nicht hören, ob in dem Gebäude jemand war. Entweder war es extrem gut gedämmt, oder es war tatsächlich niemand da. Maria Lautner klopfte noch einmal, diesmal ungeduldiger. Sie dagegen schien sich sicher zu sein, dass diese Leute da waren. Die Kamera, die fast unsichtbar über ihren Köpfen in den bröckeligen Mörtel eingelassen war, hatte bestimmt schon ihr Bild übertragen, vielleicht wollten die nicht mit Maria Lautner und ihm reden. Ullisten sah erstaunt zu, wie Maria Lautner ungeduldig von einem Bein auf das andere trat. Machten das nur Frauen so oder war das ein menschliches Verhaltensmuster? Ein dumpfes Plopp ließ Ullisten zusammenfahren. Die Tür war aufgegangen. Niemand war zu sehen. Maria Lautner trat ein und zog Ullisten am Arm hinterher.
»Kommen Sie, hier lang.«
Die marode Tür führte in einen kahlen Flur, der erstaunlicherweise penibel sauber war. Es gab nur noch eine weitere Tür, auf der anderen Seite des langen Ganges. Ullisten fühlte sich wie in einem Käfig gefangen. Maria Lautner ging mit raschen Schritten den Flur entlang. Vor der anderen Tür blieb sie stehen und wartete. Eine Kamera richtete sich surrend auf sie.
»Was willst du hier, Koukla?«
Ullisten konnte so etwas wie Argwohn heraushören. Vielleicht täuschte er sich aber auch.
»Nenn mich nicht "Koukla", Christos! Ich bin nicht dein Püppchen!«, fauchte Maria böse.
»Ah, immer noch die gleiche Wildkatze. Ich habe gehört sie haben dich domestiziert! Wohl doch nicht, schade eigentlich.«
»Mach auf und quatsch hier nicht rum!«
»Warum sollte ich? Was willst du hier?« Christos Gatsos Stimme wurde nicht freundlicher.
»Das sag ich dem "Boss", ist das klar.«
»Dem "Boss"?« Christos Gatsos lachte ein gehässiges Lachen. »Der "Boss" will dich bestimmt nicht sehen, nachdem was du abgezogen hast.«
»Ich habe nichts abgezogen. Ich bin geschnappt worden, weil mich dieser kleine Scheißer verraten hatte. Ihr schuldet mir etwas!« Maria hatte es jetzt gründlich satt.
Ullisten stand wie zur Salzsäule erstarrt in dem engen, niedrigen Gang vor der geschlossenen Tür, wie ein Kaninchen in der Falle. Im Hintergrund wurden Stimmen laut, doch dann ging mit einem metallischen Knirschen die Tür auf.
»Na endlich!« Maria gab ihr einen heftigen Stoß, so dass die Tür gegen die Seitenwand knallte. Das blecherne Geräusch setzte sich durch die ganze Halle fort.
Vier bullige Männer standen als Empfangskomitee in einer Art Vorraum, ihre Schusswaffen im Anschlag. Die Wände dieses Raumes waren aus einem dünnen Material gefertigt, das den Lärm aus der Halle nicht völlig abschotten konnte.
»Wer ist der da?« Ein untersetzter Typ mittleren Alters in Jeans und schwarzer Lederjacke deutete auf Ullisten.
»Das ist Ramirez, Christos.« Maria blieb lieber höflich, auch wenn sie dem Kerl am liebsten den Kopf abgerissen hätte.
»Umdrehen, Hände über den Kopf! Beide! Filzt sie!«, blaffte Christos Gatsos gebieterisch.
Zwei der Bewaffneten richteten ihre Schnellfeuerpistolen auf sie. Maria nahm wütend die Hände hoch und drehte sich zur Wand. Sie gab Ullisten einen Wink mit den Augen, es ihr gleich zu tun. Ullisten war nicht besonders begeistert. Die ehemaligen Freunde von Maria waren ziemlich zwielichtige Gestalten. Die Männer waren gründlich, aber der Mantel hatte seine Geheimnisse, ebenso seine Schuhe, deren Verstecke würden sie so nicht finden. Sie durchsuchten seine Taschen, fanden die Medikamente und eine Art Messer, das sie ihm abnahmen. Maria war gar nicht bewaffnet.
»So viel Vertrauen, Koukla! Keine Waffen?« Christos Gatsos machte eine kurze Kopfbewegung und ließ seine Leute wegtreten.
»Komm, der "Boss" gibt dir zehn Minuten.«
Schweigend folgten sie ihm hinein in die weitläufige Fabrikhalle, die angefüllt war mit geschäftigem Treiben.
Nach einem kurzen Telefongespräch, das Major Eleanor Hunt über eine gesicherte Verbindung mit ihrem Vorgesetzten geführt hatte, nahmen sie den nächsten Flug über die geostationäre Orbitalstation Nord, zurück in die USA. Ein paar Stunden später saß Major Eleanor Hunt im Hauptquartier der CIA in Langley Virginia, ihrem Vorgesetzten, General Ter Valkenbrecht, Leiter der Special Forces ENU gegenüber, der sich mit wachsender Sorge das Material auf dem PAD ansah, den der Kardinal der römisch-katholischen Kirche seinen Mitarbeitern mitgegeben hatte.
»Was halten Sie davon? Glauben Sie, dass das echt ist?« Er warf einen fragenden Blick auf die Majorin.
»Ich denke schon. Was für einen Grund sollte der Vatikan haben uns einen Fake unterzuschieben? Nein, da ist sicher was dran.«
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