Ein letztes Mal ließ er seinen Blick über den langen Tisch aus feinstem Kirschholz streichen, um zu prüfen, ob auch wirklich alles am richtigen Platz lag. Benito della Scalci war ein Perfektionist, manche bezeichneten ihn auch als Pedanten, aber das machte ihn so besonders wertvoll für seinen kirchlichen Vorgesetzten und es war der Grund gewesen, warum Kardinal Stefano Tabori ihn ausgewählt hatte. Das und sein Geschick dafür, Dinge unauffällig zu erledigen, die nicht für Jedermanns Ohren und Augen bestimmt waren.
Sein Visifon klingelte. Er zog es unter seiner Soutane hervor und hob nach einem kurzen Blick auf die Rufnummer ab.
»Ja? … Ich komme gleich. Ich hole sie persönlich.«
Die Gäste waren angekommen und durch den Sicherheitscheck an der Pforte gegangen. Benito della Scalci freute sich nicht besonders auf die Amerikaner, sie waren in seinen Augen allesamt Ketzer. In früheren Zeiten hätte die Kirche sie verbannt oder verbrannt und wenn es nach ihm ginge, dann würde nur das Kirchenrecht des Vatikanstaates gelten, in allen christlichen Ländern, aber das behielt er lieber für sich. Insgeheim beneidete er ein wenig die islamischen Staaten, die sich schon vor Jahrzehnten dazu bekannt hatten ihre Religion vor alles andere zu stellen, aber das würde er natürlich niemals laut sagen. Das war wirklich ein unpopulärer Gedanke. Selbst sein Kardinal hätte für derlei rückständiges Gedankengut kein Verständnis. Allerdings würde das so manches erleichtern, fand er. Das Verbrüderungsgetue mit der CIA zum Beispiel, diese Konferenz heute, die wäre dann nicht nötig gewesen.
Mit raschen Schritten ging er den langen Flur entlang, zur großen Treppe, die zum Haupteingang hinunterführte und eilte mit einem übertrieben freundlichen Lächeln auf die Gäste zu.
»Ich bin Benito della Scalci, Sekretär seiner Eminenz Kardinal Stefano Tabori. Herzlich Willkommen in unseren bescheidenen Räumen.«
Die drei Männer und die Frau sahen dem Geistlichen erstaunt entgegen, der mit ausgebreiteten Armen auf sie zustürmte. So einen herzlichen Empfang hatten sie nicht erwartet. Kurz schüttelten sie die dargebotene Hand, obwohl sie sich nicht sicher waren, ob das üblich war. Die mächtigen Mauern des alten Palastes in dem das Sanct Ufficium schon seit Jahrhunderten untergebracht war, waren beeindruckend. Die Wände schienen zu triefen von den tiefgreifenden Entscheidungen jener Zeit, die zwischen ihnen getroffen worden waren. Sie konnten den Einfluss, den die Glaubenskongregation innerhalb der katholischen Kirche hatte, förmlich riechen. Die CIA war immer gut informiert über das was auf der Welt vorging, und auch über das, was sich innerhalb der Mauern der allzu mächtigen römisch-katholischen Kirche tat.
»Ich bin Major Eleanor Hunt und das sind Leutnant Eric Stiegman und Leutnant Joe Falter.«
Die Frau hatte eine angenehme, wohlklingende Stimme. Trotzdem war Benito della Scalci etwas irritiert, dass ausgerechnet eine Frau die Ranghöchste in diesem Team war. Es brachte ihn ein wenig aus dem Takt, aber er fing sich schnell wieder.
»Bitte, folgen Sie mir.« Sagte er knapp und ging voran, die breite steinerne Treppe hinauf und dann den langen Flur entlang, bis zum Konferenzraum. Er verstand nicht, warum Stefano Tabori unbedingt in ihren allerheiligsten Räumen tagen wollte. Unten, neben dem Foyer gab es genug Konferenzräume, die allesamt ebenso gut geeignet gewesen wären und die sie auch vom Xnet hätten isolieren können.
Immerhin war die Frau schicklich gekleidet. Er warf einen verstohlenen Blick auf die drei Besucher, die ihm mit ernsten Mienen folgten. Die Majorin trug ein dunkelblaues Kostüm mit einem knielangen Rock und einer hochgeschlossenen, weißen Bluse. Ihre beiden Begleiter waren mit einem dunklen Anzug aus feinstem Tuch bekleidet, die Jacketts geschlossen über sauber gebügelten Hemden. Die "Virginian Farmboys", wie die CIA-Agenten auch oft scherzhaft genannt wurden, hatten offenbar Geld um sich so gut ausstatten zu können. Er vermerkte das in seinem Gedächtnis.
»Bitte, hier hinein.« Benito della Scalci wies mit einer knappen Geste auf die Tür zu dem Konferenzraum.
Major Eleanor Hunt nickte ohne die Miene zu verziehen. Ihr war sofort aufgefallen, dass der Sekretär des Kardinals ein Problem mit Frauen hatte. Aber was hatte sie auch anderes erwartet. Immerhin war die römisch-katholische Kirche ein reiner Männerverein und daran würde sich wohl in tausend Jahren nichts ändern. Nicht ihr Problem! Sie wollte nur wissen was so geheimnisvoll war, dass jemand von der CIA persönlich hierherkommen musste, in das Allerheiligste des Vatikanstaates.
Sie betraten den geschmackvoll eingerichteten Raum durch die mit Schnitzereien verzierte schwere Tür. Die Wände waren mit dunklem Holz getäfelt und mit erlesenen Möbeln ausgestattet. Hohe Fenster ließen Licht herein, das von schweren Vorhängen aus Samt gefiltert wurde. In einer der Wände war ein Mediensystem eingelassen, das keine Wünsche offenließ. Auf den ersten Blick erkannte sie, dass es das Neueste vom Neuesten war. Auch ihren beiden Begleitern war das aufgefallen, sie sahen etwas überrascht aus.
Benito della Scalci registrierte mit Genugtuung, dass die CIA-Abgesandten beeindruckt waren. Er wies auf die Plätze auf der linken Seite des großen Konferenztisches.
»Bitte nehmen Sie Platz. Die anderen Teilnehmer sind bereits auf dem Weg hierher. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Für mich nicht, danke.« Major Eleanor Hunt schüttelte den Kopf. Auch ihre beiden Begleiter wollten ebenfalls nichts, sondern setzten sich schweigend auf ihre Plätze. Die Majorin setzte sich daneben, während Benito della Scalci noch einmal die Einstellungen des Mediensystems kontrollierte.
Wenige Minuten später ging die Tür auf und vier Männer in der Soutane eines Kardinals, erkennbar an der roten Paspelierung, strömten herein, gefolgt von Kardinal Stefano Tabori, der ebenfalls seine Soutane und Würdenzeichen trug. Eleanor Hunt sah interessiert zu, wie die Kirchenmänner ihre Plätze einnahmen und versuchte daraus eine Hierarchie abzulesen. Es war schwierig, ja fast unmöglich als Außenstehender die feinen Nuancen zu erkennen. Die Herren stutzten ein wenig, als sie die hübsche Frau mittleren Alters in dem eleganten Kostüm sahen, ließen sich aber sonst nichts anmerken. Sie deuteten eine kurze Verbeugung an und nahmen sofort ihre Plätze ein. Alles lief sehr diszipliniert ab. Kardinal Stefano Tabori setzte sich an das Kopfende des Konferenztisches gegenüber der Medienwand. Lächelnd wandte er sich den CIA-Leuten zu.
»Ich freue mich, dass Sie Zeit hatten zu kommen. Es ist überaus wichtig, dass wir uns abstimmen. Sie werden bald verstehen, warum.«
Nachdem er die anderen Teilnehmer vorgestellt hatte und nach ein paar weiteren Höflichkeitsfloskeln gab er seinem Sekretär einen Wink, der das Mediensystem einschaltete. Es war seltsam für den Kardinal, die manuelle Steuerung in den Händen seines Sekretärs zu sehen. Normalerweise hätte er das Menü über den Bewegungsmodus von seinem Platz aus steuern können, aber aus Angst, dass auch ein internes WLAN Opfer eines Angriffes werden konnte, hatten sie es vermieden es zu aktivieren und so musste der Sekretär ständig neben dem Informationssystem stehen bleiben, da das Kabel für die Steuereinheit nicht besonders lang war.
Benito della Scalci manövrierte geschickt durch das Menü. Er hatte natürlich vorher geübt, schließlich wollte er sich nicht blamieren. Eine Reihe kurzer Videosequenzen erschienen auf dem Bildschirm des Mediensystems. Benito della Scalci atmete erleichtert auf. Ihre Abschottungsmaßnahmen waren erfolgreich gewesen, die Aufzeichnungen waren noch da.
»Bilder sind besser als Worte, deshalb als Erstes die Aufnahmen, die wir von unseren Brüdern aus Armenien erhalten haben,« der Kardinal deutete auf den Bildschirm.
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