In einem Popupmenü erschien eine Reihe fremdartiger Symbole, die nichts mit dem Code des Systemprogrammes zu tun haben konnten. Soviel konnte die Majorin erkennen, mehr aber auch nicht. Damit war ihr Wissen erschöpft.
»Und, was ist das?«
Das Grinsen auf John Wilders Gesicht erlosch. »Ich habe nicht die geringste Ahnung!«
Im Vorübergehen fragte Ullisten sich, was die Leute hier eigentlich produzierten. Die Kerle sahen irgendwie nicht so aus, als würden sie Handtaschen basteln. Überall standen Maschinen herum, die die unterschiedlichsten Dinge ausspuckten. Sie schienen Produkte zu kopieren, nachdem das Original von einer Art Scanner abgelesen worden war. In einem der Automaten konnte Ullisten Teile erkennen, die ihn irgendwie an den Griff der Waffe von Christos Gatsos erinnerten. Der Arbeiter an der Maschine nahm rasch das frisch gefertigte Teil herunter und stellte einen Becher in den Scanner, nachdem er gesehen hatte, dass Ullisten in seine Richtung blickte. Hier war aber etwas mächtig faul, Ullisten wurde immer unruhiger.
Christos Gatsos führte sie an diversen Containern vorbei, die Metallschrott und Kunststoffe enthielten und das wohl als Rohmaterial diente. Unter gesenkten Lidern hervor beobachtete Ullisten das emsige Treiben. Das Ganze machte auf ihn einen ziemlich dubiosen Eindruck und er hatte den Verdacht, dass das alles nicht ganz legal war. Für seine Gesundheit war es sicher besser nicht danach zu fragen und so zu tun, als würde er nichts davon sehen.
Christos Gatsos führte sie eine metallene Treppe hinauf auf eine direkt unter das Dach der Halle gebaute Plattform, die sich als geräumiges Zimmer entpuppte. Der Raum war etwas besser eingerichtet, als der Rest der Produktionsräume. In einer der Wände war ein breites Panoramafenster installiert worden, das den Blick auf die Halle freigab. Ein schlanker, dunkelhaariger Mann stand mit vor der Brust verschränkten Armen davor und beobachtete die Szene unter sich. Christos Gatsos schloss die Tür und räusperte sich.
»Wir haben uns lange nicht gesehen, Severina.« Der Mann, den sie "Boss" nannten, drehte sich langsam um und musterte, nach einem flüchtigen Blick auf Ullisten Maria Lautner. Sie sagte nichts, wartete einfach ab.
Der "Boss" setzte sich in einen schwarzen Ledersessel hinter seinen Schreibtisch und ließ sich Zeit mit seiner nächsten Frage. »Was willst du?«, sagte er schließlich nach einer Weile.
»Papiere.«
»Papiere, so so. Wie du siehst habe ich eine gut gehende Firma aufgebaut. Alles legal.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung Richtung Halle.
Maria Lautner warf einen spöttischen Blick auf die angebliche Firma, sagte aber nichts dazu.
Ullistens Muskeln waren gespannt wie eine Feder, bereit sich zu verteidigen, wenn es nötig war. Nach außen jedoch wirkte er ruhig und gelassen. Diese Menschen waren gefährlich, soviel hatte er bereits verstanden und Maria hatte offenbar viele Namen.
»Genau, Papiere«, sagte Maria Lautner gedehnt. Sie kannte den "Boss" gut genug, um zu wissen, dass ihr Leben keinen Cent mehr wert war, wenn das hier die falsche Richtung nahm.
Der "Boss" schien zu überlegen. »Warum sollte ich dir vertrauen?«
Maria Lautner zuckte zusammen. Das war die falsche Frage. Konnte er wissen, dass sie seit Jahren für einen Geheimdienst arbeitete? Seine geschäftlichen Verbindungen waren schon immer weitreichend und undurchsichtig für sie gewesen.
»Du schuldest mir etwas.« Maria Lautner setzte alles auf eine Karte.
Der "Boss" sah sie durchdringend an. Ullisten hatte den Eindruck, dass Maria Lautner ein gefährliches Spiel spielte, aber der Mann sagte nur mit gedehnten Worten, »Vielleicht, vielleicht auch nicht.« Seine Augen wurden kalt, wie der Blick einer tödlichen Viper, die bereit war zuzubeißen.
Maria Lautner reckte das Kinn trotzig nach oben. Ullisten sah sich unauffällig nach einem Fluchtweg um, aber es würde ziemlich schwierig werden, hier wieder herauszukommen, wenn der "Boss" das nicht wollte.
Der Boss lachte lauthals. »Noch immer der gleiche Sturkopf.« Er stand auf und kam um den Tisch herum. Ullisten spannte seine Muskulatur noch mehr an, doch der Mann ging an ihm vorbei und öffnete die Tür. Er rief etwas hinaus.
Es dauerte ein paar Minuten, ungemütliche Minuten, in denen keiner sprach, bis ein junger, schlaksiger Kerl hereinkam.
»Boss?«
Die Leute hier waren offenbar alle etwas wortkarg und beschränkten sich in ihrer Kommunikation untereinander auf einzelne Worte.
»Was für Papiere sollen es sein?« Der "Boss" richtete seine Frage an Maria Lautner, doch die wies auf Ullisten.
»Sie sind für ihn. Ramirez Estar, geboren in Chile, Antofagasta, am…« Sie schien kurz zu überlegen, »…15. März 2054, und er braucht Zertifikate für Gold, ein ECOS-Konto und ein Bankkonto in Chile.«
Der "Boss" richtete sich abrupt in seinem Sessel auf. »Das ist ein wenig viel, meinst du nicht? Das wird teuer? Kannst du das bezahlen?« Der Boss hatte die Frage wieder an Maria Lautner gestellt, vielleicht dachte er, dass Ullisten kein Armenisch verstand. Ullisten konnte deutlich in seinem Gesicht sehen, dass er unbedingt wissen wollte, warum Maria Lautner ihm half. Eine brenzlige Situation, die jeden Augenblick aus dem Ruder laufen konnte. Ullisten entschloss sich zum Eingreifen.
»Wie viel?« Ullistens dunkle Stimme füllte das Zimmer. Es klang als hätte ein riesiger Wolf geknurrt. Die Männer duckten sich erschrocken. Christos Gatsos wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Maria Lautner sah ihre alten Kumpane erstaunt an.
»Wie viel?« Ullisten dachte nicht daran sich klein zu machen. Diese Leute waren gefährlich. Sollten sie ruhig wissen, dass er das auch war. Maria warf ihm einen warnenden Blick zu, aber er ignorierte ihn einfach. Das hier war etwas zwischen Kerlen, das verstanden Frauen nicht.
»Juri, geh und bereite die Papiere vor und richte ein Konto ein.« Der "Boss" schickte den schlaksigen jungen Mann wieder hinaus, dann wandte er sich an Ullisten. Er taxsierte ihn abwägend, versuchte zu erahnen, wie hoch er gehen konnte.
»Normalerweise kostet das sechzigtausend Dollar, in Gold wären das …«, er tippte Zahlen in einen kleinen Computer in seiner Hand, »etwa zwei Kilogramm reine Feinunze nach meinem Kurs. Hast du so viel?«
Ullisten wusste nicht genau was eine Feinunze war, aber er vermutete, dass das der Reinheitsgrad sein musste. Sein Gold war extrem rein, reiner als Menschen das für den Gebrauch herstellen konnten, aber es würde trotzdem seine Bestände erheblich reduzieren.
Maria war bleich geworden. »Damit willst du deine Schuld bei mir begleichen? Indem du uns über den Tisch ziehst?«
Der "Boss" drehte sich abrupt zu ihr um. Seine Augen blitzten wütend. »Meine Schuld begleichen? Warum sollte ich das tun?«
Jetzt war Maria richtig wütend. »Ja, du solltest. Für dich bin ich eingesessen, in der Hölle. Du schuldest mir.« Ihre Augen schossen Blitze auf den "Boss" ab.
Ullisten fand, dass das aus dem Ruder lief. Schuld hin, Schuld her, das hier war eine zu heiße Nummer. Er trat zwischen Maria und den "Boss", langsam und mit erhobenen Händen.
»Ich bezahle Preis, mit reinstes Gold, so fein, wie noch nie gesehen«, sagte er ruhig in seinem etwas lückenhaften Armenisch.
Der "Boss" trat einen Schritt zurück und maß ihn mit einem abschätzenden Blick. »Gut, weil du es bist, Severina. Aber sei sicher, dass du sonst tot wärst.« Er machte eine Handbewegung zu Christos Gatsos, der immer noch verstört an der Tür stand. So hatte er schon lange niemanden mehr mit seinem "Boss" reden hören.
»Bring mir den Zahlmeister.«
Christos Gatsos verließ widerwillig den Raum, nachdem er noch einmal einen misstrauischen Blick auf Ullisten geworfen hatte. Der "Boss" deutete auf die zwei Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen. »Setzt euch! Lass sehen!«
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