1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 Er wirkt nachdenklich am Holokom. Seine Stimme klingt heiser, als er sich verabschiedet.
"Pass auf dich auf, Mädchen. Gib die Hoffnung nicht auf."
Der Bildschirm des Holokoms zeigt das allgegenwärtige Zeichen des Ministeriums: ein großes F neben einem S in einem Kreis.
Ich sehe hinaus in den Garten. Ein Hoverjet ist direkt auf der Straße davor gelandet.
Der Finder rückt an. Er erscheint, begleitet von zwei Detektoren, die ihre schwarzen Barette tief ins Gesicht gezogen haben: Ein Mann und eine Frau.
Der Finder schreitet unaufhaltsam auf das Haus zu, den obligatorischen dunklen breitkrempigen Hut im Abluftstrahl des startenden Jets festhaltend. Der Unheimliche, Tyril Gorsson, ist nicht dabei.
Mein Atem geht stoßweise. Die Gesichtsmaske des Finders, die bis unter die Augen reicht, soll verhindern, dass der Widerstand Jagd auf ihn machen kann. Niemand kennt die Identität der Inquisitoren des Reiches.
In einer Hand trägt der Wahrheitsfinder einen dicken schwarzen Metallkoffer.
Schon einmal hat mir einer von ihnen eine Spritze verabreicht, um mehr von mir zu erfahren, als ich sagen wollte. Es war eine beunruhigende Erfahrung.
Ich ahne, dass es nichts gegen das war, was mir heute bevorsteht.
Ich gerate in Panik. Versuche, mich zu beruhigen. Erfolglos. Auch Liv kann mich nicht trösten.
Die Hausglocke läutet. Wie ein Automat läuft meine Tante zur Tür. Sie wischt sich ihre schwitzenden Hände an der Hose ab. Ihr Gesicht ist totenbleich.
Liv öffnet.
Der Finder und die beiden Detektoren betreten ungerührt das Wohnzimmer, als gehöre es ihnen. Die Detektoren beziehen Position hinter mir: Breitbeinig, auf dem Rücken verschränkte Arme, ungerührte, geradeaus blickende Gesichter.
Meine Kopfhaut kribbelt.
Der Finder packt eine Maschine aus. Er hat Elektroden in beiden Händen.
Als ich zurückzucke, stellt der Finder den Elektromotor meines Rollstuhls ab. Die beiden Detektoren halten meinen Kopf fest. Alles erfolgt stumm. Nur ich wimmere ängstlich. Tränen laufen meine Wangen herab.
Der Finder befestigt Drähte an meiner Stirn.
"Nur ein Lügendetektor", flüstert mir einer der Detektoren fast unhörbar zu, als der Finder sich wieder seinem Koffer zuwendet.
Ich zucke kurz zusammen.
Dann nimmt der Finder die Gesichtsmaske ab. Sein Gesicht ist voller Narben. Seinen Hut behält er auf.
Der Mann fragt, wie ich heiße.
"Skeyra Feralov", schreibe ich.
"Wie alt bist du?"
Mein Laserstift gibt die Antwort, die wieder über den Sprachcomputer kommt: "23."
"Wer war deine Mutter?"
Eine Träne rinnt verräterisch meine Wange herab. "Olivia Feralov", erwidere ich stolz. Leider kann der Computer keine Gefühle ausdrücken.
Der Finder lächelt kalt.
"Konspirierst du mit dem Widerstand?"
"Wie meinen sie das?"
Der Finder grinst mich düster an. "Nur Antworten. Keine Fragen."
Seine Lippen kräuseln sich. Er genießt das Spiel. Die Überlegenheit. Meine Hilflosigkeit.
Onkel Hakon sitzt ungerührt am Esstisch, ein wenig abseits.
Tante Liv steht noch immer im Türrahmen, unschlüssig, ob sie bleiben, sich setzen oder das Weite suchen soll. Sie bewegt sich nicht.
"Machst du gemeinsame Sache mit dem Widerstand?", fragt er.
Ich bin bald tot. Egal, was er mit mir macht.
"Ja", antworte ich. "Ich bin einer seiner Köpfe."
Er lehnt sich vor.
"Du hältst dich wohl für ungemein witzig, junge Ladri."
Er fasst grob mein Kinn mit Daumen und Zeigefinger, dass es weh tut.
Der Laserstift fällt aus meinem Mund.
"Wisse, dass ich dich immer durchschaue."
Er lässt los.
Liv kommt herein, setzt sich neben Hakon. Er nimmt ihre Hand. Wirkt er besorgt?
"Erzähle mir, was es mit dem Kätzchen auf sich hat. Eine Leopardin, stimmts?"
Ich presse die Lippen aufeinander.
Der Finder lächelt unter seinem dunklen breitkrempigen Hut hervor.
"Gut. Endlich habe ich einen Grund."
Liv beschwert sich. "Sie haben ihr den Stift nicht zurückgegeben. Geben sie ihr eine Chance, ihnen zu antworten."
Er dreht sich langsam zu Liv um.
"Soll ich zunächst mit dir weitermachen, Frau?"
Meine Tante verstummt.
Grinsend wendet er sich mir wieder zu. Sein Gesicht wirkt, wie ein Totenschädel.
Klackend schnappen die Verschlüsse seines schwarzen Koffers auf.
Ein kleines klares Fläschchen. Er stellt es auf die Kommode, die sich direkt neben ihm befindet.
Dann zieht er eine Spritze heraus. Eine extrem lange Kanüle prangt am vorderen Ende.
Ich reiße entsetzt die Augen auf. Eine Rückenmarkspritze. Was, wenn er sie mir in den Hals stößt? Dort spüre ich noch etwas.
"Keine Angst", lächelt der Finder. "Du wirst mir die Wahrheit schon sagen."
Liv wimmert. Sie steht auf und geht aus dem Raum. Sie sieht mich nicht an. Sie hat Angst.
Onkel Hakon fährt mit einem Mal auf. Es sei nicht richtig, einen Menschen so zu behandeln. Auch kein Tier.
Ich wundere mich über seinen Ausbruch. Er hat mich noch nie Beschützt. Im Gegenteil. Für gewöhnlich bin ich froh, wenn ich nicht dieselbe Luft atmen muss, wie er.
Auch wenn er mich mit einem Tier vergleicht: Er setzt sich für mich ein — vor einem Wahrheitsfinder.
Der Finder gebietet ihm mit erhobener Hand zu schweigen. Hakon gehorcht.
"Die Kleine driftet sowieso ab. Sie wird mit dem Leben nicht fertig. Gebt ihr einfach ein Interface und zu essen."
Das ist der Hakon, den ich kenne, denke ich sarkastisch.
Liv kommt wieder herein. Sie hat immerhin zugehört, auch wenn sie es nicht mit ansehen wollte, wie ich gefoltert werde.
Sie sieht Hakon empört an. "Sag so etwas nie wieder, oder du verbringst dein Leben alleine."
So seltsam diese Situation ist, so dankbar bin ich für die Worte meiner Tante. Kriegt sie vielleicht doch noch die Kurve?
Als der Finder die Spritze aufzieht, hat er meine volle Aufmerksamkeit.
Er drückt den Kolben ein Stück weit in die Spritze, bis vorne eine neongelbe Flüssigkeit herausspritzt. Er trifft meine Tante.
Sie sagt nichts. Abscheu verzieht ihre Mundwinkel.
Er nähert sich mir. Fasst meinen Arm. Er macht sich nicht die Mühe, meinen Ärmel hochzukrempeln.
"Ach ja", sagt er, wie in Gedanken. "Du bist ja querschnittgelähmt. Ich fürchte", erklärt er mit einem hämischen Grinsen, "ich muss dir die Spritze in den Hals geben. Es wird ein wenig brennen."
Er streicht mit der Spitze der Kanüle über meine Brust und wandert hoch zum Hals.
Ich atme schwer. Lehne meinen Kopf ängstlich zurück. Wimmere, ohne dass ich es will.
Liv springt auf und rennt weg. Sie hält es nicht aus.
Selbst Hakon dreht das Gesicht weg.
"Ja. Jetzt spürst du, wie es ist, sich mir zu widersetzen. Es bringt immer viel Leid und Schmerz, die Wahrheit verheimlichen zu wollen", flüstert er mir ins Ohr.
Meine Lippen beben. Ich weine vor Angst. Ich weiß, dass gleich unsägliche Schmerzen folgen werden.
Der Finder weidet sich an meiner Qual.
"Du bist allein", raunt er. "Niemand kann die helfen. Ich muss dich nur am Leben lassen. Weitere Anweisungen bezüglich deines Übergabezustandes habe ich nicht erhalten."
Er lächelt kalt.
Dann rammt er die Kanüle in meinen Hals.
Ich versteife mich. Schließe die Augen. Es tut weh, als die Nadel durch meine verkrampften Halsmuskeln stößt.
Dann schlägt etwas dumpf auf den Boden.
Es ist nicht mein Körper. Es ist der Finder. Einer der Detektoren hat ihn niedergeschlagen.
Eine weibliche Stimme erklingt neben meinem Ohr, als die Nadel aus meinem Hals gezogen wird. Sie bebt vor unterdrücktem Zorn.
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