Ich nicke leicht. Mehr geht nicht. Es war ohnehin keine Frage.
"Er ist zu Hause. Ohne uns wird ihm hoffentlich so schnell nichts passieren. Vielleicht können wir ihn später befreien."
"Ihr müsst ihm helfen. Er hat sich um mich gekümmert."
Sandrine verschränkt die Arme vor der Brust. "Wir haben jetzt andere Sorgen."
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Phase zwei
Der Raum hat ein Fenster. Isak steht davor, ein Fernglas vor den Augen.
"Teufel nochmal, die sind schnell."
Sander erschrickt. "Wer?"
Isak nimmt das Fernglas herunter und sieht finster in die Runde. "Agenten. Das Ministerium."
"Also." Thorsmid sieht eindringlich zu mir herunter. Ich liege im Bett während sich die Dinge zuspitzen. Ich hasse diesen Zustand immer mehr.
"Alter Körper oder neuer Körper?", bringt er die Lage mit wenigen Worten auf den Punkt.
Als hätte ich zwischen Orangenlimo und Cola zu entscheiden. Kaffee mit Milch oder Zucker?
So einfach ist es nicht. Es geht um mich. Meine Identität. Auch wenn mein Körper gelähmt ist. Seit meiner Geburt, seit ich denken kann, lebe ich darin. Mein Körper bin ich; dachte ich jedenfalls. Ich habe die Meisterschaften gewonnen, indem ich trainiert habe; diesen Körper.
Wie kann man den Geist vom Körper trennen? Wer werde ich sein, wenn ich den Körper wechsle, wie eine Jacke? Wenn ich ihn wie ein altes, nutzlos gewordenes Spielzeug wegwerfe und sorglos einen neuen in Besitz nehme?
Ich drehe den Kopf und sehe den Körper, der von Schläuchen und Sonden am Leben gehalten wird.
Wähle ich den neuen Körper, bedeutet es, vielleicht beim Transfer zu sterben.
Ein Handmikrofon mit Lautsprecher ertönt draußen.
"Aufmachen! Der gesamte Komplex ist umstellt. Stellen sie sich, und Ihnen wird nichts geschehen."
Stille.
Wenn ich den alten Körper behalte, werde ich es sehr wahrscheinlich nicht von hier weg schaffen. Reicht die Zeit für die Gewöhnung an den Körper der dort neben mir liegt?
Der Handlautsprecher ertönt erneut: "Sollten sie nicht kooperieren, müssen wir von einem terroristischen Akt ausgehen. Wir schießen scharf. Sie haben zwei Minuten."
Ich durchbreche die Stille. "Neuer Körper."
Sandrine löst sich als Erstes aus der Starre. Sie läuft mit schnellen Schritten zu einem kleinen Kühlschrank. Sie nimmt etwas heraus, hantiert, so dass Nimor Thorsmid die Stirn runzelt, und tritt an mein Bett.
Ein Elektromotor richtet meinen Oberkörper auf.
Er nimmt das Reagenzglas entgegen und hält es mir vors Gesicht. Mit dem Nagel des Zeigefingers schnipst er zweimal dagegen. Sein kritischer Blick weicht, als die Flüssigkeit kurz durchsichtig wird, ehe sie wieder ihre hellblaue Färbung annimmt.
"Trink. Es schmeckt wie Wasser", fordert er mich auf.
Er setzt mir das Röhrchen an den Mund. Ich öffne die Lippen, wie damals in der Tango-Simulation, als er mich geküsst hat.
Ich sehe es in seinen Augen. Beschämt senkt er die Lider.
Auch diesmal liefere ich mich ihm aus. Ich vertraue ihm in einer Situation, in der ich zutiefst verletzbar bin.
"Was ist das?", erkundige ich mich, als ich das Zeug geschluckt habe. Die Frage könnte ich mir schenken. Ich hätte vorher fragen müssen. Dennoch — die Neugier treibt mich an.
"Nanobots. Sie docken an deine Neuronen an, den Nervenzellen im Hirn. Sie suchen die Leitungen zu allem Möglichen; Muskeln zum Beispiel. Sie übermitteln den Nanobots in deinem neuen Zuhause", er deutet auf den Körper in der Pilotenmontur, "die Informationen, wie dein Gehirn mit dem Rest verdrahtet ist. Die Bots in dem anderen Körper bauen die Struktur des bionetisch gezüchteten Gehirns durch Impulse neu auf, damit dein Bewusstsein es benutzen kann, als wäre es dein alter Körper."
Er sieht mich an, als wäre ich seine Tochter. Oder seine Geliebte. "Die Bots bereiten weitere Verbindungen vor. Du kannst auf ihre Erinnerungen und Fähigkeiten zurückgreifen, ebenso wie auf deinen eigenen. Es ist ein so komplizierter Prozess, dass er erst durch die künstliche Schwarmintelligenz der Bots möglich wird. Ein Mensch könnte diese Umstrukturierung nicht vornehmen."
Er streicht mir das Haar aus der Stirn. "Danke, dass ich dich nicht zwingen musste. Du bedeutest mir viel."
Ich bin verwirrt. Ich vertraue ihm. Was hat er da gesagt? Hatte er vor, mir notfalls gewaltsam die Nanobots zu verabreichen? Will er mich etwa für sich? Das kann er vergessen.
"Es hat noch nie funktioniert", presse ich heraus.
"Doch, bei Mäusen", gibt er zu bedenken.
"In diesem Körper wirst du eine süße Maus sein."
"Ich werde dir als erstes eine Backpfeife verpassen, sollte dein Plan funktionieren." Ich lache. Er schafft es tatsächlich, dass ich lache. Es ist absurd.
Nebenbei bemerke ich, dass Sandrine sich versteift hat. Sie entspannt sich. Sie öffnet die Hände. Rote Striemen in ihrer Handfläche zeigen, wo sich ihre Fingernägel hineingegraben haben.
Nun ist es entschieden: Entweder ist für mich hier Endstation — für mein Leben. Oder ein neues Leben beginnt; ein neues Abenteuer.
Sandrine sieht Thorsmid, Marrado und mich an, als wäre sie eine Katze, die sich überlegt, wie sie ihre Beute am besten packt — und in welcher Reihenfolge. Ihr Blick ist unerbittlich, als er auf Nimor Thorsmid ruht.
Dann verschwindet ihr Gesichtsausdruck wieder hinter einer neutralen Fassade aus Professionalität.
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Transfer
Nimor Thorsmid kommt mit einem Bohrer. Ein sehr feiner. Will er damit etwa... Nein. Nein!
Ich habe Angst.
Er sagt es muss sein. Er tupft etwas auf meine Schläfen. Betäubungssekret.
Eklig. Das Geräusch des Bohrers an der Seite meines Schädels pflanzt sich bis in den Kopf hinein fort. Dann ist er schon fertig. Andere Seite.
Ich werde verkabelt, wie eine Maschine. Ich frage mich, ob ich richtig entschieden habe.
Draußen ertönt Feuer aus automatischen Waffen.
Geduckt rennt Thorsmid los. "Sander, du bist dran. Ich verschaffe euch mehr Zeit. Ich kann die Tore blockieren. Das wird sie aufhalten."
Dann ist er weg.
"Uns bleibt keine Zeit mehr." Sander Marrado sieht mich an.
Ich nicke. "Also los."
Sander legt den Kopf schief. "Ich muss vorher ein paar Tests machen. Du musst alle wichtigen emotionalen Zustände durchleben. Lass dich auf meine Worte ein. Wir haben keinen zweiten Versuch."
Abermals nicke ich. "Los."
"Tapferes Mädchen. Denk an das letzte Mal, an dem du Freude empfunden hast."
"Ich habe den Vier-Städte-Wettbewerb im Bodenturnen gewonnen. Ich war fünfzehn."
"Sieh die Leute um dich herum. Ihren Beifall."
"Meine Eltern sind da. Sie sind so stolz." Eine Träne lässt meinen Blick verschwimmen.
Piep. Die Maschine sagt uns, dass die Nanobots zufrieden sind mit mir.
"Du machst das sehr gut. Worüber hast du dich geärgert?"
"Du hast mich bloßgestellt! Vor den Schützern! Sie haben sich lustig gemacht, ich wäre eine Hure, mit der du experimentierst!"
Ich schreie ihn wütend an. "Wie konntest du das nur tun!?"
Piep. "Ok. Weiter. Scham. Erinnere dich. Wann hast du dich geschämt?"
Glaubt er, damit kommt er davon? Keine Zeit. Wir müssen das verschieben.
"Als die Schützer sich das Holo mit den Aufzeichnungen angesehen haben.", antworte ich stattdessen brav. Meine Stimme ist brüchig.
"Wale die sich paaren. Ich war wie seziert. Sie sahen, wie etwas zwischen meinen Beinen aufleuchtete. Ich konnte mich nicht wehren. Nichts tun. Sie haben Witze darüber gerissen. Es war demütigend."
Piep.
Sandrine schlüpft durch den Eingang, die Waffe im Anschlag.
"Ist Isak schon hier?"
Marrado verneint.
"Thorsmid?"
"Nein, nur wir drei."
Sandrine flucht.
Marrado lacht. "Er verpasst noch die Premiere. Wir werden das Mädchen heil in diesen Körper bringen. Es muss einfach klappen."
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