Leydorey spannte sich an und verengte die Augen. Sie wirkte konzentriert, kramte in ihrem Rucksack und holte ein Fernrohr heraus. Sie schaute auf die See hinaus und versuchte, das Schiff zu entdecken.
„Es war keine Ausfahrt geplant, merkwürdig“. Sie murmelte dies mehr zu sich selbst, als wären die anderen gar nicht anwesend.
„Vielleicht sind sie kurz Brötchen holen“, scherzte Hotte. Leydorey schien ihn nicht zu hören.
„Kannst du sie nicht anrufen?“, fragte Melinda. Ley blickte kurz auf und dann kramte sie schon in ihrem Rucksack. Sie holte ein Handy heraus und wählte eine Nummer.
„Mein Vater“, meinte sie und drehte sich Richtung Wasser, um ihr sorgenvolles Gesicht vor ihren Freunden zu verbergen.
Melinda, Hotte und Stephan ahnten, dass sie schon wieder mitten in einem Abenteuer gelandet waren. Angespannt beobachteten sie Leydorey.
Kapitel 5
Nachricht aus der Flasche
Nach ein paar Sekunden erklang ein Lied: „Yo Ho Yo Ho und eine Buddel voll Rum.“ Der Text war kaum zu verstehen. Die Töne waren blechern und vor allem kam die Musik aus dem Wasser.
„Das ist der Klingelton meines Vaters“, schrie Leydorey und schaute sich wild um.
„Das kommt von unten“, meinte Stephan, der mit Abstand die besten Ohren hatte.
Die vier traten nahe an den Steg und schauten, ob die Quelle der Musik auszumachen war.
„Da, eine Flasche!“ Melinda zeigte auf eine Flasche, die mit einem Korken verschlossen im Wasser hin und her schaukelte.
Hotte sprang kurzerhand ins Wasser und schwamm auf die Flasche zu. „Hab sie“, rief er und spuckte etwas Wasser aus. „Hier, fang!“, rief er Leydorey zu, die sich schon bereitgestellt hatte.
Hotte schwamm zu einer Leiter und kletterte aus dem Hafenbecken.
„Das Telefon meines Vaters ist in der Flasche!“, hörte er Leydorey rufen.
„Wie bitte bekommt man denn ein Telefon in eine Flasche?“, fragte sich Stephan.
Leydorey schien darüber nicht verwundert. „Wenn es mit Flaschenschiffen geht, dann geht es sicher auch mit Telefonen.“ Sie schüttelte die Flasche und steckte ihres wieder weg und das Piratenlied verstummte.
Stephan rückte seine Brille zurecht. Manchmal wünschte er sich, er könne sich die Welt auch so einfach erklären wie Leydorey. Melinda riss ihn aus seinen Gedanken.
„Verrückt, das ist wie eine Flaschenpost“, sie zeigte auf die Konstruktion in Leydoreys Händen.
Leydorey schlug die Flasche auf den Boden und das Handy kullerte über den Steg.
„Pass auf mit den Scherben“, rief Melinda.
Leydorey zog einen weißen Handschuh aus der Tasche und nahm dann vorsichtig das Telefon in die Hände.
„Fingerabdrücke“, murmelte sie.
Leydorey wischte auf dem Telefon herum und versuchte, eine Spur zu finden.
„Ist eine Nachricht deines Vaters darauf?“, fragte Stephan.
„Ich finde nichts“, sagte Leydorey, „mal schauen, ob er vielleicht Fotos gemacht hat.“
Melinda und Hotte schauten sich an. Das Erdmännchen wischte durch die Fotos. Sie lächelte, als sie ein Foto ihrer Mutter sah, wie sie ein Bücherregal aufräumte. Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst.
„Nichts?“, fragte Hotte.
„Hier, ein Video“, meinte Leydorey. Sie drückte auf Play und erhöhte die Lautstärke.
Dann erschien etwas auf dem Bildschirm, was den Vieren das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Kapitel 6
Auweia Grauschleier
Melindas Kinnlade klappte nach unten, als sie das Bild von Frau Doktor von Grauschleier entdeckte.
„Oh nein“, murmelte Stephan.
Hotte erinnerte sich an ihr letztes Abenteuer. Sie waren den gefährlichen Katzen damals nur um Haaresbreite entkommen. Wäre Stephan nicht buchstäblich aufgetaucht ... Er schüttelte den Gedanken ab.
Im Vordergrund war das Gesicht von Frau Doktor Gisela von Grauschleier zu sehen und im Hintergrund erblickte man zwei Erdmännchen, die an den Hauptmast des Bootes gefesselt waren. Bewacht wurden die beiden von einer großen Katze.
Frau Doktor von Grauschleier räusperte sich und zupfte sich den Arztkittel zurecht. Dann klopfte sie mit ihren knöchrigen Fingern an die Kamera.
„Test, test“, murmelte sie.
„Diese Frau scheint sich mit der modernen Technologie nicht so auszukennen“, meinte Stephan.
„Sind das deine Eltern da im Hintergrund?“, fragte Melinda, die besorgt in Richtung Leydorey lugte.
Leydorey schwieg, nickte aber langsam und schaute gebannt auf das Video.
Hotte beobachtete die Erdmännchen im Hintergrund. Links schien Leydoreys Mutter zu stehen. Sie hatte eine Augenklappe wie Leydorey und trug einen blauen Rock. Ihr Vater hatte ebenfalls eine Augenklappe, aber über dem Ohr. Am Gürtel war ein Holzbein befestigt. Er schien mit der Hand auf den Mast zu klopfen. Frau Doktor Gisela von Grauschleier riss ihn aus seinen Gedanken.
„Dies ist eine Botschaft an die ungezogene Polizistin!“ Die drei schauten zu Leydorey, die keinen Ton sagte.
„Wie du siehst, kann es Konsequenzen haben, wenn man sich mit mir anlegt. Deine Eltern waren leider alleine auf dem Boot, sonst hätte ich deine ganze Familie mitgenommen!“ Dann bewegte Frau Doktor Gisela von Grauschleier den Arm nach unten und schaltete die Kamera am Telefon aus. Das Letzte, was sie hörten, war die grausame Lache der gefährlichen Ärztin.
Stephan fand als Erstes wieder Worte. „Ley, das tut mir schrecklich leid. Wir müssen sie auf jeden Fall stoppen!“ Er schritt auf Leydorey zu und umarmte sie. Melinda und Hotte gesellten sich dazu, um Leydorey Beistand zu leisten. Ley hatte noch immer nichts gesagt, löste sich aus der Gruppenumarmung und zog ihren Notizblock heraus.
„Danke“, sagte sie gefasst. Sie schien durch irgendetwas abgelenkt zu sein. „Bitte spiel das Video noch einmal ab Stephan“, sagte sie. „Ohne Ton dieses Mal.“
Die anderen schauten sie an und warteten ab, was passieren würde. Sobald das Video abgespielt wurde, fing Leydorey an, Striche und Punkte auf ihren Notizblock zu zeichnen.
Hotte guckte zu Melinda und formte mit seinen Lippen die Worte: „Was soll das?“ Doch sie schüttelte nur fragend den Kopf.
Wieder war es Stephan, der etwas zu sagen wagte. „Ley, was sind das für Striche auf dem Block?“
Leydorey war immer noch am Schreiben. Doch nun schrieb sie unter die Striche und Punkte einzelne Buchstaben. Dann hob sie den Kopf.
„Stephan, bitte spiele das Video noch einmal ab. Achtet dann auf meinen Vater.“
Stephan drückte erneut auf Play und zum dritten Mal tauchte das Gesicht von Frau Doktor Gisela von Grauschleier auf.
„Er macht Zeichen mit den Fingern!“, rief Hotte, der das Klopfen vorhin schon bemerkt hatte.
„Genau“, sagte Ley. „Das sind Morsezeichen. Schaut genau hin. Abwechselnd kurz und lang.“
„Was sind denn Morsezeichen?“, fragte Melinda und sofort fing Stephan an zu referieren.
„Die wurden benannt nach Samuel Morse. Der hat den Telegraphen entwickelt. Vor fast zweihundert Jahren, als es noch keine Telefone gab. Dort konnte man nur kurze und lange Signale senden. Damit man eine Nachricht senden konnte, hat man sich auf eine Tabelle geeinigt, wo jeder Buchstabe und jede Zahl mit einer Kombination von Strichen und Punkten hinterlegt ist. Das ist wie eine Geheimschrift.“
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