So vergingen annähernd zwei Wochen, bis er diese kleine Insel ansteuerte, und das Boot gekonnt über die flachen Riffe manövrierte.
Die letzte Insel, die in Sichtweite lag, hatten wir vor vier oder fünf Tagen passiert, aber diese hier war größer, und hatte einen kleinen Wald, während das andere Eiland nur von wenigen Palmen geziert wurde, und auch kaum eine Erhebung besessen hatte.
Honesto blieb einen Tag mit mir auf der Insel, bevor er wieder in See stach, und er versprach wieder nach mir zu sehen, wenn die Saison es zuließ. Er hatte seine Wasservorräte aufgefüllt, und sich Kokosnüsse ins Boot geladen. Mehr benötigte der alte Fischer nicht. Wir schoben gemeinsam den kleinen Nachen vom Strand ins Wasser, und Honesto setzte das einzige Segel des Fischerbootes. Nach einer Stunde, verschwand auch der letzte Zipfel des Mastes am Horizont, und ich war endgültig mir selbst überlassen.
Ich hatte ihm einen Teil meines restlichen Geldes gegeben, mit der Bitte, mir beim nächsten Mal Vorräte mitzubringen. Ich vertraute darauf, dass er sich nicht mit dem Geld aus dem Staub machte, und mich hier für immer sitzen lassen würde, aber sicher sein konnte ich mir nicht, zumal auch die Möglichkeit bestand, dass ihm etwas zustieß, und er nicht wieder kam.
Im Moment, war die Möglichkeit auf der Insel zu sterben, nicht so unfassbar, wie es sich anhörte. Bedachte ich die Alternativen, war ein Leben als moderner Robinson bereits eine Verbesserung meiner Situation, und ich hätte mir gewünscht, es gäbe heutzutage mehr unentdeckte Flecken auf dem Globus, die nicht ganz so schwer erreichbar waren wie dieser.
Es gibt auf dem Archipel wohl hunderte, oder tausende dieser Inseln, größere und kleinere, so wie mein grün bewachsener Sandhaufen, und ich fragte mich, wie er mich unter all diesen winzigen Tupfern des Pazifiks, wieder finden wollte.
Unsere Gespräche hatten sich ohnehin auf ein wenig gebrochenes Englisch beschränkt, das wohl jeder Philippino sprach, alleine schon wegen der Touristen.
Mein kleines Paradies war für Investoren nicht attraktiv genug, da es durch Riffe, und zu flaches Gewässer, nur schwer mit Booten erreichbar war, und für Flugzeuge fehlte der Platz zum Landen.
Es gibt eine Anhöhe, die an die 80 bis 90 Meter hoch sein mochte, von der ich eine ganz gute Rundumsicht auf den Ozean hatte. Trotzdem sind die nächsten Inseln außer Sichtweite, zumindest für das menschliche Auge. Mein Paradies besitzt eine eigene Quelle, die zwar nur spärlich fließt, aber für mich ausreichend ist. Der perfekte Ort, um lange Zeit hier bleiben zu können und zu warten.
Auf was ich wartete, weiß ich nicht, und ob ich jemals diesen Ort verlassen werde, kann ich noch nicht sagen. Mein selbst gewähltes Exil war wohl vielmehr der Wunsch, sich nicht dauernd umdrehen zu müssen, ob jemand zu sehen ist, oder ob irgendeine Gefahr droht.
Ich habe mir aus ein paar abgestorbenen Bäumen, und großen Blättern von Pflanzen, die ich nicht einmal bestimmen kann, eine recht komfortable Unterkunft gebaut, und die Konstruktion mit einem großen Stück Segeltuch regenfest gemacht.
Mein Schlafplatz ist nicht in Quellnähe, aber dafür nicht weit vom Strand entfernt, in einer kleinen Kuhle, die ich extra hierfür ausgehoben habe, und die vom Wasser aus nur schwer zu entdecken ist.
Ich lebe von den Vorräten, die ich mir mitgebracht habe, überwiegend Dosen, welche ich im kühlen Sand unter Bäumen vergraben habe, damit sie nicht so schnell verderben.
Feuer mache ich so wenig wie möglich, obwohl es genug trockenes Holz gibt, dass kaum Rauch erzeugt.
Ich habe durch die karge Nahrung zwar schon etliche Pfund abgenommen, aber ich wollte ja schon seit Jahren ein paar Kilo abspecken, wenn dieses jetzt auch unfreiwillig geschah.
Bei den Pflanzen und Früchten halte ich mich an die Devise; schmecken oder riechen sie schlecht, esse ich nichts davon. Ich habe mir zwar oft im TV Sendungen über Natur und Umwelt angesehen, aber da konnte ich ja noch nicht ahnen, dass ich dieses Wissen einmal selber benötigen würde.
Es ist erstaunlich, mit wie wenig der Mensch auskommt, wenn es die Umstände verlangen. Mit grimmigem Humor denke ich an die vielen leckeren Dinge zurück, die für mich früher selbstverständlich zum Leben dazugehört haben.
Wenn ich, vor nicht einmal sechs Monaten, am Morgen Appetit auf ein saftiges Steak hatte, brutzelte es am Abend bereits in der Pfanne.
Jetzt fange ich mir jeden Tag einen Fisch mit einem angespitzten Stock, den ich wie eine Art Harpune mit einem Widerhaken versehe habe, oder ich suche Muscheln, wenn mir das Jagdglück nicht hold ist. Allerdings habe ich Wochen gebraucht, um die richtige Technik, und die nötige Geduld zu erlernen, damit ich etwas fangen konnte.
In den letzten Wochen hat mir der linke Arm immer weniger Probleme bereitet, sodass ich meine Technik verbessern konnte, und meine Angelausflüge öfter von Erfolg gekrönt sind.
So komme ich leidlich über die Runden. Mittlerweile habe ich mich sogar an Sushi gewöhnt, auch wenn ich anfangs Schwierigkeiten hatte, rohen Fisch zu essen.
Es gibt auch ein paar genießbare Früchte, sodass ich jetzt ganz gut versorgt bin, und es gibt natürlich Kokospalmen, die anscheinend auf keiner Insel fehlen dürfen.
Kokosnüsse sind für die Inselbewohner die reinste Wundermedizin. Kokosmilch ist isotonisch, und somit ein ausgezeichnetes Getränk, aber man kann es auch wie eine Blutkonserve verwenden, vorausgesetzt natürlich, dass man über genug medizinisches Wissen, und die entsprechenden Gerätschaften verfügt.
So vertreibe ich mir den Tag mit fischen und sammeln von Früchten, aber nie mehr als ich brauche, und nur soviel, dass ich auch am nächsten Tag noch Beschäftigung habe, um nicht stundenlang grübeln zu müssen.
Ich bin jeden Morgen am Strand, und denke an meine Familie, und meine Freunde. Ein Telefon habe ich nicht mit auf die Insel gebracht, und natürlich auch kein Radio, oder andere technische Geräte. Wozu auch, es gibt sowieso keinen Strom, abgesehen davon, dass es natürlich auch kein Fernsehen und kein Radio gibt, oder überhaupt Empfang, in dieser Region der Erde.
Es könnte sein, dass es inzwischen einen schwarzen Präsidenten, oder eine Frau im Weißen Haus gibt, oder der dritte Weltkrieg ausgebrochen ist, und ich würde es nicht wissen.
Vielleicht ist ein Mittel gegen Krebs erfunden, oder endlich Energien entwickelt worden, um keine fossilen Brennstoffe mehr zu verschwenden, und damit die gewaltigen Konzerne in die Knie zu zwingen, aber ich weiß nichts davon, auch wenn ich bei dem Gedanken lächeln muss.
Eigentlich ist das der Grund warum ich hier sitze. Genauer gesagt, habe ich darüber vor fast zwei Jahren mit meinem ältesten Freund ein paar Spekulationen angestellt, wie wir das regelmäßig bei einem gemeinsamen Frühstück getan haben. Nur, dass wir die Gedanken im Gegensatz zum üblichen Verlauf der einstündigen Zeremonie weitergesponnen, und zu Papier gebracht haben. So eine Art Bierlaune zum Frühstück, wenn sie so wollen.
Es ging um nichts, was nicht jeder aus dem täglichen Gespräch mit Kollegen oder Freunden kennt.
Der Sprit ist zu teuer, man bekommt im Discounter für 70 Euro kaum noch den halben Wagen voll, während man vor fünf Jahren noch für 50 Mark das Ding kaum schieben konnte, den teuren Strom, oder die Selbstbedienungsmentalität unserer Politiker.
Nichts, worüber man nicht mit jedem spricht, sei es der Bäcker, der Metzger, die lieben Kollegen, oder natürlich die Freunde und die Familie.
Uns gefiel die Idee, dahinter eine Verschwörung zu sehen, die sich durch alle Nationen zieht, und die von Wirtschaftsimperien gesteuert wird.
Ich wünschte, ich hätte es wie immer bei ein paar Sprüchen gelassen.
So kamen wir an jenem Morgen auf die Idee, unsere wirren Gedanken in einem Buch zu verewigen.
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