„Franz Kowski?“ fragte ich nach.
„Ja, Rudolf Franzkowski.“
„Wie jetzt? Rudolf Franz Kowski?“
„Ja. Nein. Rudolf Franzkowski. Vorname: Rudolf. Nachname: Franzkowski.“
„Ach so. OK.“ Ich schaute mich um. „Welcher Nachbar?“
Er zeigte zum nächsten Haus die Straße herunter, ein niedriger Fachwerkbau.
„Der uns angerufen hat.“ Er schaute auf seine Notizen und erklärte behutsam bemüht, weiteren Missverständnissen vorzubeugen:
„Nachname: König. Vorname: Kain, wie bei Kain und Abel. Zusammen: Kain König.“
Der Polizist lachte:
„Was manche Eltern sich so denken... Hat hier auf uns gewartet. War mit seinem Hund raus heute Morgen und hat dann die Füße gesehen. Meinte, wegen der Eisschicht in der Tonne hätte er auf Wiederbelebungsversuche verzichtet. Wollte auch nichts anfassen und so. Sie wissen schon: Die Leute gucken CIS und kennen sich alle aus von wegen Tatortkontamination und so.“
Eine Weile schauten wir den beiden von der KTU dabei zu, wie sie vergeblich versuchten, die Regentonne umzuwerfen.
Dann fragte ich den schweigsameren der beiden Polizisten: „Sie kennen den?“
„Den König? Nicht näher, der verkauft Häuser, dafür reicht‘s bei mir nicht.“
„Ich meinte das Opfer.“
„Ach so. Ja, den Franzkowski kenn ich aus der Stadt, der war da früher im Katasteramt tätig. Ist schon lange auf Rente.“
Im amtlichen Tonfall zählte er auf:
„Jahrgang 35, ledig, Rentner. Ist vor 10, 11 Jahren hier her gezogen.“
Er machte eine kurze Pause, räusperte sich, und fügte dann leiser hinzu:
„Und ein ziemliches Arschloch, was man so hört.“
Die Leute von der KTU hatten mittlerweile einen Gartenschlauch in die Regentonne geschoben, um das Wasser unter der Eisschicht abzulassen.
„Was hört man denn so?“
„In seiner Dienstzeit hat er sich schon nicht besonders beliebt gemacht, soll ein Superpingel gewesen sein, nicht sehr entgegenkommend. Und hier im Dorf gibt’s glaub ich auch keinen, mit dem er nicht Ärger hatte. Und um die Leute hier zu verärgern, da gehört schon was dazu. Aber Sie werden ja ein bisschen hier bleiben dürfen, das merken Sie dann schon selber.“
Mein erster Zeuge war also König, Kain König. Ich ging die paar Schritte zu seinem Haus, welches von außen um einiges heimeliger wirkte als die architektonische Scheußlichkeit des Opfers. Kaum hatte ich angeklingelt, öffnete sich auch schon die Tür, so dass ich unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Einen kleinen, dicken Spaniel zurechtweisend, stand ein kleiner, dicker Mann in der Tür und sprach so halbwegs in meine Richtung:
„Platz, mach Platz jetzt, komm rein, hast du Angst, brauchst du nicht, der tut nur was, wenn er die Leute nicht mag, mach jetzt Platz, und den einzigen, den er nicht mochte, schafft ihr ja wohl gerade weg. Kaffee? Mach Platz jetzt!“
Während ich die Worte noch nach ihren Adressaten sortierte, ging er voraus in die Küche, begleitet von seinem sich vor Freude über meinen Besuch windenden Hund. Er zeigte auf einen Stuhl, nahm eine zweite Tasse aus dem Schrank, stellte sie neben eine erste auf den Tisch, schenkte beide halb voll.
„Milch? Zucker?“ fragend wies er auf Milch und Zucker, setzte sich, erneut auf einen freien Stuhl deutend, an den Tisch. Auf der Arbeitsplatte neben der Kaffeemaschine stand ein Netbook, aufgeklappt. Auf dem Monitor sah ich acht kleine Bildausschnitte: ich erkannte den Mühlenhof, ein Stück der Dorfstraße, Franzkowskis Garten. Die anderen Einstellungen zeigten Wege und Gebäude, die ich in der wahren Welt noch nicht gesehen hatte. König drückte eine Taste, der Garten-Ausschnitt vergrößerte sich. Ich sah die Männer von der KTU bei dem Versuch, die Leiche aus der Regentonne zu bugsieren. Das Wasser hatten sie abgelassen, nun schien sich der Körper verklemmt zu haben. Es gab keinen Ton zum Bild, aber ich ahnte ihr Fluchen.
„Danke, Schwarz.“ sagte ich und, mit Blick auf den Bildschirm: „Da sieht man so manchen kommen, bevor er klingelt. Ist natürlich besser, als sich draußen vor Neugier die Füße abzufrieren.“
„Live-Web-Cam“ sagte Kain König. „Hat der Heimatverein mal eingerichtet. Kann man immer mal gucken, wo was los ist, wenn was los ist.“ Und fügte mit einem bedauernden Lächeln hinzu: „Wird aber leider nicht aufgezeichnet.“
„Schade. Wäre ja auch zu einfach gewesen.“
Auf dem Monitor konnte ich nun beobachten, wie die KTU die Tonne umkippte, die Leiche herauszog. Fotos wurden gemacht. König tippte auf der Tastatur, zoomte das Bild heran. „Franzkowski. Hätte ihm nicht gefallen, dass ihn jetzt alle im Bademantel sehen.“ Er wandte sich wieder seinem Kaffee zu, trank einen Schluck, grinste vor sich hin und sagte: „Find ich gut.“
Wie reagiert jemand, dessen Nachbar gerade aus einer Regentonne gekippt wird? Entspannt, gastfreundlich, belustigt? Eher nicht. Wie reagiert jemand, der gerade seinen Nachbarn ermordet hat? Gleiche Antwort. Ich versuchte, mir meine Irritation nicht anmerken zu lassen.
„Sie mochten ihn nicht besonders?“
„Weißt du, das wird hier ein schweres Stück Arbeit für dich.“ beantwortete König meine Frage nicht. „Franzkowski war ein Riesenarsch, viele glauben, mehr als das, und es gibt sicherlich keinen hier im Dorf, der dem nur eine Träne nachweint.“
Er hielt inne, als müsste er kurz überlegen, ob er dabei auch an alle gedacht hatte. Dann fuhr er etwas unsicher fort:
„Wie auch immer. Wenn wir mal davon ausgehen, dass er uns nicht aus plötzlich erwachter Nächstenliebe den Gefallen getan hat, sich selbst kopfüber im Bademantel in seine Regentonne zu werfen und dass es kein missglückter Versuch morgendlicher Körperhygiene war, suchen wir also einen Mörder. Das erste Problem ist: fast jeder hätte ein Motiv. Das zweite Problem: Wahrscheinlich hat niemand ein Alibi, den entweder feiern wir irgendein Dorffest oder Geburtstag, und da sind dann alle; oder wir haben kein Dorffest und keinen Geburtstag, dann sitzt jeder zu Hause und freut sich aufs nächste Dorffest.“
„Oder auf den nächsten Geburtstag.“
„Genau. Kommen wir zum dritten Problem: Niemand hier würde jemanden umbringen. Sei er auch so ein...„
Wieder stockte König, spuckte dann das nächste Wort förmlich aus:
„...Teufel wie der da."
Er nickte Richtung Netbook und atmete tief durch.
"Wir sind ziemlich friedliebende Leute, und wir haben schon seit langem für uns beschlossen, dass ein Arschloch auf siebzig Einwohner eine Quote ist, mit der man ganz gut leben kann.“
Erneut hielt König kurz inne, lächelte, und fuhr fort:
“Ohne den wird’s natürlich noch schöner, weißt du?“
Königs Duzerei wollte ich nicht länger ignorieren und fragte betont förmlich:
„Was war denn IHR Problem mit dem Verstorbenen?“
König ignorierte im Gegenzug sowohl mein Siezen als auch meine Frage: „Pass auf, wir machen das anders. Ich habe noch einen Termin, deswegen bin ich auch so aufgebrezelt.“ Im Aufstehen wies er beidhändig auf den seine Leibesfülle umschmeichelnden grauen Anzug, „aber vorher bring ich dich zu Paul, der hat ein Ferienzimmer oder zumindest so was Ähnliches. Und in etwa zwei, drei Stunden treffen sich da die üblichen Verdächtigen, also fast alle außer den Alten und Gebrechlichen und Irrelevanten. Dann erzählen wir dir alles, was du wissen willst, okay?“
„Weil der Paul Geburtstag hat.“ riet ich.
„Genau.“ bestätigte König nickend.
Er stand auf, griff sich seinen Pott, rief den Hund.
„Nimm deinen Kaffee ruhig mit, ist gleich um die Ecke“ sagte er und ging vor. Die Männer von der KTU schoben gerade die eingesackte Leiche zum Abtransport in ihren Sprinter. Die Zeiten, in denen dafür extra ein Leichenwagen angefordert wurde, waren, ebenso wie die Zeiten ermittelnder Teams, vorbei. Das Eine war mir egal, das Andere war mir nur recht.
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