Im linken Ohrläppchen trug er einen kleinen, goldenen Ring.
"Aha", rief Nomo dem Commander entgegen.
"Hast dich wieder einmal abgeseilt. Typisch Crewmaster. Schleicht sich davon und überlässt den niederen Dienstgraden die schwere Arbeit!"
Tom Carna ging zu seinem Kommandopult und gab dem Afrikaner im Vorbeigehen einen kräftigen Schlag auf die Schulter.
"So wird es sein, mein Freund", meinte er dann schmunzelnd.
"Wenn du aber während deiner schweren Arbeit nicht eingeschlafen wärst, hättest du mitbekommen, dass auch ein Crewmaster einmal die Hygienezellen aufsuchen muss!"
Allgemeines Gelächter breitete sich in der Kommandokanzel aus.
Doch die Heiterkeit währte nur einen kurzen Moment.
Mehrere rote Warnlichter und ein durchdringender Summton rissen die Männer und Frauen in der Zentrale recht unsanft auf den rauen Boden der Realität zurück.
Hanne Arminos ließ ihre Finger rasch über einige Sensorfelder der Raumüberwachungskontrollen huschen.
"Kollisionsalarm!", rief sie in der nächsten Sekunde laut aus.
"Ein Lunar- Transporter kreuzt außerplanmäßig unsere Einflugebene!"
Carna handelte augenblicklich.
Er warf sich förmlich auf seinen Sessel hinter dem Kommandopult. Gedankenschnell aktivierte er die Steuersysteme des Schiffes. Und während er mit der einen Hand den Kurs des Raumkreuzers änderte, schaltete er mit der anderen die Antriebsaggregate auf Schubumkehr.
Tief unten im Schiffsinneren heulten die Triebwerke gequält auf und die Anzeigenfelder auf dem Kommandopult ließen erkennen, dass die Andruckneutralisatoren bis fast an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit belastet wurden.
Die schnelle Reaktion der Crew hatte eine Katastrophe gerade noch verhindern können. Nur wenige Meter voneinander entfernt, flogen die PRINCESS und der Lunar- Transporter aneinander vorbei. Die Raumfahrer konnten erleichtert aufatmen.
"Leute, das war knappe Haaresbreite!“, seufzte Roy Anthony. Feine Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
Der Crewmaster, Tom Carna, fluchte dagegen vernehmlich.
"Verdammt - welche Idioten sitzen denn heute in der Anflugkontrolle?", schimpfte er. "Haben die ihre Ausbildung im Fernkurs gemacht?"
Er wandte sich an seinen Kommunikationsspezialisten.
"Roy - nimm Kontakt mit CONTROL auf. Ich will wissen, wer für diese Panne verantwortlich ist. Demjenigen werde ich mal ordentlich den Kopf waschen müssen!"
Der blonde, schnauzbärtige Engländer nickte bestätigend und widmete sich dann seinen Kommunikationsanlagen. Während er mit dem Tower sprach, näherte sich der Landeanflug des Schiffes langsam seinem Ende. Der Autopilot, von Carna nach dem Zwischenfall mit dem Luna-Transporter wieder aktiviert, verzögerte die Fahrt der PRINCESS, so dass der TESECO- Einsatzkreuzer sich dem Mond immer langsamer werdend annäherte.
Luneville, die Mondhauptstadt, kam auf den Bildschirmen der Außenbeobachtung in Sicht.
Deutlich sichtbar, weil keine Atmosphäre den Blick eines Beobachters trübte, leuchteten die 37 riesigen Kuppeln aus N-Plast im Licht der Sonne auf.
N-Plast war ein spezieller Kunststoff, dessen Hauptbestandteil Nullitrium war, ein quarz-ähnliches Element, welches bisher nur auf athmosphärenlosen Himmelskörpern gefunden werden konnte. Der Kunststoff N-Plast zeichnete sich durch seine extreme Flexibilität bei maximaler Belastbarkeit aus. Zudem war er sehr leicht. So wurde er mit Vorliebe für den Bau von Kuppelstädten verwendet. Die ersten Nullitrium-Vorkommen waren von einem europäischen Forscher im Rahmen einer Europäischen Mondmission im Januar 2013 entdeckt worden. Von diesem Forscher, George K. Nullit, hatte das neue Element dann auch seinen Namen erhalten.
Das Bild der Mondhauptstadt wanderte nun langsam seitlich aus dem Monitorbereich heraus. Dafür war nun PORT TESECO zu erkennen, größter Raumhafen des Mondes und zentrale Basis von TESECO im Sonnensystem. Rund um das rund 300m hohe, kegelförmige Zentralgebäude, welches den Tower des Raumhafens, CONTROL, beherbergte, reihten sich über 90 Start- und Landeplattformen aneinander. Die meisten der Druckkuppeln über den Plattformen waren geschlossen, denn es war nur bei Starts oder Landungen notwendig, sie zu öffnen.
Die PRINCESS steuerte nun direkt auf eine der Plattformen zu, deren beide Hälften der Druckkuppel gerade zur Seite glitten. Die Plattform selbst war mit einer großen, grell leuchtenden "3" gekennzeichnet. Nachdem das Schiff über der Plattform zur Ruhe gekommen war, wurde es von Fesselfeldern unverrückbar verankert. Nahezu gleichzeitig schoben sich aus den Seiten der Landeplattform die Hälften der Kuppel wieder nach oben, um sich schließlich über dem Schiff zu schließen. Aus nicht sichtbaren Düsen strömte nun Atemluft in den Kuppelraum. Der Vorgang des Druckausgleiches nahm nur wenige Minuten in Anspruch. Gleichzeitig erklang Dudelsackmusik im Schiff. Der Bordcomputer spielte „Arrival“, eine Tradition bei TESECO. Jedes heimkehrende Raumschiff wurde so bei seiner Rückkehr willkommen geheißen. Und jede Besatzung eines TESECO- Schiffes genoss diesen Moment der stillen Freude, wieder zu Hause zu sein.
Anschließend senkte sich die Plattform mitsamt dem Schiff in das Innere des Mondes hinab.
Hier befand sich die eigentliche Basis. Die von außen sichtbaren Plattformen waren tatsächlich nur der geringste Teil von allem. Unter der Mondoberfläche gab es riesige Hangarhallen, Werftstationen, Verbindungstunnels, Kraftwerke, Energieprojektoren, Unterkünfte, Lagerräume und vieles mehr. Bis in eine Tiefe von 10 km war der Mond an dieser Stelle ausgehöhlt worden. Eine gigantische Leistung, mit der die Menschen begonnen hatten, als Luneville als Forschungsbasis der Europäischen Union im Jahre 2012 gegründet worden war.
Die Plattform mit der PRINCESS hatte mittlerweile ihren unteren Haltepunkt erreicht. Nun übernahm das Basis-Leitsystem das Schiff. Mittels Traktorfelder wurde der TESECO- Kreuzer behutsam durch die riesigen Schächte von PORT TESECO bugsiert, bis schließlich der angestammte Hangarplatz erreicht worden war. Dort verankerten andere Projektoren das Schiff mit energetischen "Tauen".
Die PRINCESS war nicht völlig zum Stillstand gekommen, als Roy Anthony einen eingehenden Funkspruch registrierte.
"Chef - da ist die Werftleitung dran", meldete er, nachdem er den Spruch entgegengenommen hatte.
"Big Tom kann es wohl nicht abwarten, uns in seine breiten Arme zu schließen!"
Mit 'Big Tom' meinte der junge Engländer Basemaster Thomas Kawaihulole, einen stämmigen, breitgesichtigen Hawaiianer und guten Freund der Crew.
Roy legte die Funkverbindung nun auf den Bildschirm des Kommandopultes.
"Hi, Big Tom", rief Carna dem Abbild des Hawaiianers mit freundlichem Grinsen entgegen.
"Was gibt es denn wichtiges, das nicht warten kann, bis wir unseren Kahn verlassen haben?"
Kawaihulole hob nun seinerseits grüßend die Hand.
"Hi Tom", entgegnete er, "Ich habe hier eine Prioritätsanweisung des HQT vor mir liegen, die euch und eure Sternenschaukel betrifft!", sagte er, und ein geheimnisvolles Grinsen spielte um seine Mundwinkel.
"Nun mach es nicht so spannend, alter Freund“, rief ihm der Commander entgegen.
"Hier steht, dass eure PRINCESS einen Intensivcheck verordnet bekommen hat. Außerdem sollt ihr euch sofort in der Chefetage melden. Unsere GM hat wohl wieder einen Auftrag für euch parat."
"Oh nein!", stöhnte Carna mit gespieltem Entsetzen.
"Eigentlich hatte ich mich auf ein paar freie Tage gefreut. Ist wenigstens der Grund für die Anweisungen aus dem HQT bekannt?"
Big Tom schüttelte seinen massigen Kopf.
"Mit dieser Information kann ich dir leider nicht dienen, mein Freund", sagte er bedauernd.
"Ich bin nur ein armer Basisleiter, dem solche Informationen nicht zukommen!"
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