»Mann«, sagte Heather zu den drei Müllmännern, die auf ihrer Tour immer eine Pause bei ihr einlegten, »schlecht gelaunt ist der ja meistens, aber man kann sich noch halbwegs vernünftig mit ihm unterhalten. So habe ich ihn ja noch nie erlebt.« Die Drei nickten gelangweilt und ließen sich von ihr Kaffee nachschenken.
O`Mailey schloss seinen Mantel und stellte den Kragen hoch. Die ganz warmen Tage waren vorbei, es ging allmählich auf den australischen Winter zu. Die Temperaturen würden dann in Südaustralien um die zehn Grad Plus zwar noch zu ertragen sein, aber er mochte dieses ungemütliche Wetter nicht. Jetzt waren es ungefähr vierzehn Grad Celsius und es begann ganz leicht zu regnen, was seiner Stimmung auch nicht gut tat. In diesem Teil des Kontinents regnete es hauptsächlich im Frühling, also von September bis Dezember; dass Ausläufer pazifischer Zyklone Regenfronten an Land trieben, war im April eher selten.
Henry stieg in seinen Käfer, startete den Motor, schaltete die Scheibenwischer ein, die schon älter waren und die Windschutzscheibe mehr schlecht als recht vom Regen befreiten. Die Feuchtigkeit machte dem Vergaser zu schaffen und so ruckelte der Wagen durch die Straßen.
Das, was die Nachbarn dem Inspector erzählt hatten, brachte ihn nicht weiter. Kent Nillensson sei ein ausgeglichener liebenswürdiger Familienvater gewesen. Er selber fiel ja sowieso als Verdächtiger aus, da sein Kopf und seine Füße nun mehr als 187 cm voneinander getrennt waren. Nein, man könne sich auch nicht vorstellen, dass er Feinde gehabt hätte, und von einem Familienangehörigen, der ein eventuell vorhandenes Vermögen erben würde, wusste man auch nichts. O`Mailey hatte inzwischen Kenntnis, dass es kein Vermögen gab. Die Nillenssons hatten zwar ganz gut gelebt, waren aber ganz gewiss nicht reich. Und die Angehörigen waren auch nicht so zahlreich. Kent Nillenssons Eltern waren vor vielen Jahren aus Skandinavien, genauer gesagt, aus Schweden, eingewandert. Sie waren bei einem Verkehrsunfall in Sydney ums Leben gekommen als Kent zwanzig war, und er war ein Einzelkind. Von seiner Frau Maria lebten noch die Mutter und eine Schwester in Brisbane im Bundesstaat Queensland. Dieser Familienzweig hatte spanische Vorfahren, und die beiden kamen als Täter so gut wie nicht in Frage.
Henry war auf dem Weg zur Werbeagentur, in der Kent Nillensson gearbeitet und deren Adresse er von einem Nachbarn bekommen hatte, um dort vielleicht etwas in Erfahrung zu bringen. Der Wind trieb den Regen von Osten, vom Pazifik her, über die Stadt. Seine Magenschmerzen traten wieder auf, er verzog das Gesicht, kratzte sich am Kinn und überlegte, was er bis jetzt zusammen hatte.
Nichts!
Bis jetzt hatte er noch keinen konkreten Hinweis, der ihm weiterhalf. Die einzige Spur waren die am Tatort gefundenen Fingerabdrücke. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, dass diese ihn weiterbringen würden, denn wer schlachtete schon eine ganze Familie ab, und ließ sich dann anhand seiner Fingerabdrücke schnappen? Aber vielleicht hatte er ja zur Abwechslung auch mal Glück, und sie würden mit denen bekannter Gewaltverbrecher übereinstimmen. An den Computer würde er gehen, nachdem er in der Werbeagentur war. Sie lag praktisch auf dem Weg, und in diesem Moment passierte er das zweigeschossige Gebäude, in dessen Erdgeschoss sich eine Druckerei, und die Agentur im ersten Obergeschoss befand. O`Mailey fuhr vorbei, weil er mit seinen Gedanken ganz woanders war. Dieser Fall bereitete ihm ein körperliches Unbehagen allererster Güte und er hätte am liebsten Urlaub genommen.
Als er seinen Fehler bemerkte, wendete er und parkte seinen Käfer auf der anderen Straßenseite, dem Gebäude gegenüber. Er wickelte sich in seinen Mantel und ging durch den Regen über die Straße. Ein vorbei fahrender Wagen rauschte durch eine Pfütze, spritzte ihn voll und machte seine Hosen noch nasser, als sie es ohnehin schon waren.
»Komm zurück, du Wichser! Du spinnst wohl! Wie würde dir eine Nacht in Gewahrsam gefallen? Hey, komm zurück!« Doch der Wagen fuhr vollkommen unbeeindruckt weiter, um kurz darauf hinter einer Ecke zu verschwinden. O`Mailey dachte einen Moment daran, sich das Kennzeichen zu notieren, verwarf den Gedanken aber wieder, da der Aufwand sich nicht lohnte.
»Scheiße!«, fluchte er. »Verdammte Scheiße!« Er hastete zum Eingang, betrat das Treppenhaus und stieg nach oben. Dort verschloss ihm eine Tür den Weg und er musste klingeln. Über dem Klingelknopf war ein kleines Kunststoffschild angebracht, auf dem stand: `Jefferson Werbung - Wir Verführen Menschen`. Ein Türöffner summte und der mies gelaunte Inspector trat ein.
Als er sich in den hellen Räumlichkeiten umsah, bemerkte er, dass ein reges Treiben in den Büros herrschte. Gerade als er dachte, man hätte ihn gar nicht wahr genommen, klopfte eine junge Frau von ihrer Seite an die Glasscheibe, die den Flur und ihr kleines Büro trennte. Er sah sie an und sie winkte ihn zu sich heran.
»Hallo, guten Morgen, herzlich Willkommen bei der Agentur Jefferson. Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie aufgesetzt freundlich, was so gar nicht Recht zu diesem Morgen passen wollte. Ihre hellen Locken fielen ihr in geordneter Unordnung vom Kopf ins Gesicht und sie sah O`Mailey über den Rand ihrer Brille hinweg fragend an.
»Ja.« Er entledigte sich seines feuchten Mantels und hängte ihn an einen Haken. »Ja, ich möchte zu Mr. Jefferson. Ist das möglich?«
»Oh, das tut mir leid. Mr. Jefferson ist zur Zeit gar nicht im Haus.«
»Mein Name ist O`Mailey, ich bin von der Polizei«, dabei hielt er ihr seinen Dienstausweis der New South Wales Police an die Scheibe, »und es ist wirklich wichtig, dass ich ihn spreche.«
»Das glaube ich Ihnen gerne, Inspector, aber er ist wirklich nicht hier. Wenn es so wichtig ist, können Sie ja mal mit Glenn Tucker reden. Er ist fast so etwas, wie unser zweiter Chef.«
»Und wo finde ich diesen Mr. Tucker?«
Sie deutete mit dem Finger. »Dort den Gang entlang und dann die letzte Tür auf der linken Seite.«
O`Mailey schlurfte in die angegebene Richtung, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
»Keine Ursache«, meinte die Sekretärin und machte sich wieder an ihre Arbeit.
Der Inspector kam an einigen Büros vorbei, deren Türen alle offen standen. Er konnte Männer und Frauen sehen, die an ihren Schreibtischen saßen, zeichneten, lasen oder telefonierten. Andere gingen von Raum zu Raum, unterhielten sich und tauschten Ideen aus. Auch die Tür zu Tuckers Arbeitszimmer stand weit offen.
»Glauben Sie?« Er unterhielt sich gerade mit einer Frau in den mittleren Jahren, der man einen asiatischen Elternteil ansah. Sie standen beide vor einer Tafel, an der ein Plakat befestigt war. Sie wendeten ihrem Zuhörer den Rücken zu und die Mitarbeiterin sagte: »Ich bin mir ziemlich sicher. Aber die Entscheidung liegt letztendlich bei `Southern Milk`. Die Konsumenten wollen nichts wissen, vom idyllischen Rancherleben. Ich würde sagen, wir schlagen den Herren die folgenden zwei Projekte vor. Entweder wir weisen die Verbraucher darauf hin, wie gesund und schmackhaft die Milch ist, das wäre die Plakatserie mit der Durchschnittsfamilie beim Frühstück. Alle haben ein großes Glas Milch in der Hand und einen Milchschnurbart, sogar der Hund. Auf kleinen Bildern am unteren Rand zeigen wir dann, welche Höchstleistungen sie vollbringen.«
»Wir könnten den Hund einen doppelt so großen Haufen legen lassen«, spottete Tucker.
»Sehr witzig. Oder die andere Möglichkeit, die mit den dynamischen Sportlern, die lächeln und die Verpackungen hochhalten. Das wären diese zwei Entwürfe.« Sie nahm das erste Plakat von der Tafel und nun konnte man zwei weitere sehen. Das eine zeigte einen sich noch im Wasser befindenden Schwimmer, der gerade einen Wettkampf gewonnen hatte und in der zum Triumph erhobenen Hand eine Tüte Milch hielt. Das andere füllte im wahrsten Sinne des Wortes eine attraktive, üppig ausgestattete Blondine im knappen Aerobicdress aus.
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