„Dort ist Osdarg. Es verläuft der Tegvo durch diese Ebene. Wahrscheinlich hat Helion in der Nähe des Flusses, oder an einem der Nebenarme seinen Sitz. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wo genau der ist.“
„Ich schon.“ sagte Derek. „ Helion war mir vor zwei Jahren behilflich bei der Sache mit dem Henker. Ich war dort. Ich weiß noch, wo der Sitz ist.“
„Gut gehen wir.“ sagte Naron.
Die Sonne war nur noch ein kleiner rötlicher Ball am Himmel. Es fiel kaum Licht in den Brunnen. Evies Magen knurrte. Er hatte sie den ganzen Tag über dort hängen lassen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn er sie einfach in dem Brunnen verrecken ließe.
Doch plötzlich legte sich wieder ein Schatten über den Brunnen und Evie Ketten begannen zu klirren. Dann ruckte es kurz und sie wurde wieder an die Oberfläche gezogen. Vor ihren Augen tanzten grüne Punkte, als sie durch den Lichtkreis glitt, der sich als Brunneneingang entpuppte. Sie knurrte, als sich eine Hand um ihren Hals schloss und sie in das Gesicht von Salvarius blickte.
„Benimm dich, Evangeline.“ Schnurrte Salvarius und gestattete ihr einen Blick auf die Szene vor sich.
Neben der Scheune stand ein rostiger Käfig, leer. Doch vor der Schmiede stand ein großer Käfig mit einem seltsam hässlichen Tier drin. Es bestand hauptsächlich aus Zähnen, dachte Evie. Es grollte, als einer der Wärter mit einer langen Eisenstange in dessen Seite piekte. Es war sehr groß und behaart, ähnlich wie ein Bär, aber grottenhässlich.
„Sperrt sie ein. Sie soll sich erst Mal das Schauspiel ansehen.“ grollte Salvarius.
Evie bekam Panik. Ihre Augen huschten von Seite zu Seite, auf der Suche, nach einer Fluchtmöglichkeit. Helion nahm sie Salvarius ab und führte sie zu dem kleineren Käfig neben der Scheune. Er sah ihr direkt in die Augen, als wolle er ihr etwas mitteilen. Neben ihr tauchte ein schlanker, unruhiger Dämon auf.
Sein Haar war blond und die Augen sehr dunkel, doch dieses kantige Gesicht, kam ihr bekannt vor. Sie blickte verstohlen zwischen Helion und dem schmalen Dämonen neben ihm hin und her. Durch ein leichtes, verstecktes Nicken teilte Helion ihr mit, wer der Dämon war. Er war fast genauso groß wie sie. Mineas.
Sie hatte erwarte, ein Kind anzutreffen, doch stattdessen, stand sie neben einem Jungendlichen, halbwüchsigen, der mal genauso riesig werden würde, wie sein Vater.
Mineas nahm ihr die Metallklammern ab und schubste sie recht kräftig in den Käfig. Dann stellte er sich als Wache genau neben die Türe. Die Arme über Kreuz, stand er dort, wie der Hüne am Brunnen. Sein Blick sollte genauso erbarmungslos sein, doch die Worte, die er Evie zuflüsterte, passten nicht zu dem Bild.
„Ich hoffe, du entkommst. Wenn’s gleich losgeht musst du mich wegstoßen. Da lang.“ Er deutete hinter sich und blickte dann auf das Schloss vor Evie. Es war nicht verschlossen.
„Danke.“ hauchte sie.
Salvarius trat an ihren Käfig und baute sich vor ihr auf.
„Du glaubst, ich wäre widerlich? Sieh dir an, was widerlich ist.“ Knurrte er leise und zeigte auf den großen Käfig mit dem Vieh drin.
Das Tier brüllte auf, als die Wächter zu beiden Seiten des Käfigs glühende Lanzen in den Käfig schoben und das Vieh zu beiden Seiten zu piesacken begannen. Vor Wut ging es auf die Wärter los, doch es kam nicht dran, um ihnen den Kopf abzureißen. Verdient hatten sie es, dachte Evie, als sich plötzlich das Vieh aufbäumte und einen der Wärter zupacken bekam. Er war nachsichtig gewesen.
Evie musste mitansehen, wie das Vieh ihn in der Luft zerriss, obwohl die Gitter dazwischen waren. Salvarius tobte vor Wut, über die Dummheit des Dämonen und bekam gar nicht mit, wie Evie leise aus dem Käfig glitt. Mineas packte sie nicht an, obwohl er sogleich zu Boden stürzte, als sie hinter der Scheune verschwand.
Der Tumult war unbeschreiblich.
Einige Dämonen versuchten das Vieh unter Kontrolle zu halten, während andere hinter Evie her eilten, da sie mitangesehen hatten, wie die Dämonin entkam. Salvarius brüllte wütend und schmiss den einen oder anderen Dämonen aus dem Weg, bei der Verfolgung von Evie.
Die Dämonin war sehr schnell, obwohl sie ausgelaugt und hungrig war. Doch hier ging es ums Überleben. Hastig warf sie sich in das Gestrüpp, das Mineas erwähnt hatte. Ohne darauf zu achten, was mit dem furchtbaren Stück Stoff passierte, das überall hängen blieb, lief sie durch die dichten Dornen. Schnell war der Stoff nur noch Fetzen, die an ihr herunterhingen, da sie es einfach zerriss, wenn sie stoppen musste. Auf die blutigen Striemen achtete sie nicht, da sofort die Wunden, die sie sich riss, heilten.
Die Verfolger waren zu groß, um ihr direkt zu folgen und teilten sich auf. Nur Salvarius zückte sein Schwert und schlug sich durch die Dornen. Doch er war langsam.
Evie erreichte nach einigen Minuten, den Bachlauf. Sie suchte das Ufer nach diesem lustig geformten Stein ab, fand ihn aber nicht. Als sie wenige Meter am Ufer entlang gegangen war, entdeckte sie in der Mitte des Baches wirklich einen merkwürdigen Stein. Er sah nicht aus wie ein Fisch, aber er hatte einen Buckel.
Als sie ihn erreicht hatte, untersuchte sie ihn nach einer Öffnung. Und tatsächlich fand sie auf der Oberseite eine kleine Spalte. Mit der Hand konnte sie schräg hineingreifen und zog wirklich ein Bündel draus hervor. Sie rannte auf die andere Seite des Baches und in dem Bachbett den Flusslauf hinab. Sie hörte wütende Stimmen hinter sich.
Umdrehen und die Verfolger beobachten kam nicht in Frage. Sie wollte nicht wissen, wie nahe Salvarius war. Sie wollte nur weg.
Es dauerte recht lange. Bis sie keine Stimmen mehr vernahm und rannte trotzdem weiter. Ihre Spur würden sie so schnell nicht verfolgen können. Doch sie gestattete sich keine Pause, bis sie in ein dichtes Waldgebiet vorgedrungen war.
Die Fetzen an ihrem Körper waren mittlerweile klatsch nass und hingen tropfend herab. Deshalb riss sie sich den Stoff vom Körper und stopfte ihn in einen hohlen Baumstumpf. Dann legte sie sich auf den Boden, in einen Laubhaufen und rieb sich mit den Sonnenerwärmten Blättern trocken. Gleichzeitig nahm sie den Geruch des Waldes an. Salvarius würde als Walddämon leicht ihre Fährte aufnehmen können, doch erst, wenn er die Richtung kannte, in die sie verschwunden war.
Und es wurde langsam dunkel. Die Sonne stand sehr tief und würde in wenigen Minuten gänzlich verschwunden sein. Sie musste einen Unterschlupf finden.
Zwischen den Bäumen entdeckte sie eine kleine Lichtung.
Dort angekommen, untersuchte sie das Bündel. Sie zog aus dem Sack ihre Hose und auch das Oberteil, was sie von Ramira hatte und zog es schnell über. Dann griff sie noch nach einem weitern Stück Stoff.
Langsam zog sie einen dunkelbraunen großen Stoff aus dem Bündel. Heraus fielen ihre Messer. Die kleinsten waren wirklich weg, doch drei waren noch da. Schnell legte sie die Armscheiden an und auch das lange Messer fand seinen Platz an ihrem rechten Bein.
Dann faltete sie den Stoff auseinander und stellte fest, dass es ein Mantel, ein Überwurf war, den sie gut gebrauchen konnte. Es wurde kalt. Im Stillen schwor sie sich, sollte sie dem Dämonen entkommen und Naron finden, würde sie sich bei Helion und vor allem seinem Sohn bedanken. Sie hoffte, dass der doch große Dämon keinen Ärger für das Geschehene kriegen würde.
Sie schlang sich den Mantel um und ging tiefer in den Wald hinein. Sie musste irgendwas zu essen finden, da ihr Magen knurrte und ihr schlecht wurde. Doch erst wollte sie sich um einen Unterschlupf kümmern.
Minutenlang ging sie, bis sie einen abfallenden Hang ausmachte, auf dem merkwürdige kleine Wesen umher flitzten. Sie hätte aus der Ferne vermutet, dass es Kaninchen waren, doch die sahen anders aus. Schnell waren die kleinen Tiere verschwunden. Und wo die verschwanden, gab es bestimmt eine Möglichkeit sich zu verstecken. Obwohl sie die ganze Zeit in diesem Brunnen gehangen hatte, war sie wie erschlagen. Immerzu hatte sie auf irgendwelche Geräusche gehört und die Sonne am Horizont verfolgt. Geschlafen hatte sie nicht. Und sie war irgendwie müde.
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