„Igitt! Hier stinkt´s ja eklig“, zischte sie. Naserümpfend sah sie sich in dem vor Gerümpel und Abfällen schier überquellenden Raum um und machte, dass sie weiterkam. Doch die nebenan liegende Küche war noch schlimmer! Kopfschüttelnd musterte sie den mit verschimmelten Speiseresten und angetrockneten Bierlachen übersäten Küchentisch, auf dem sich eine Kompanie Schmeißfliegen tummelte, während auf der in Streifen von der Wand hängenden Tapete gut genährte Küchenschaben geschäftig auf und ab eilten.
„Was für eine Sauerei“, zischte sie und fuhr im selben Moment erschrocken über das Rascheln in dem total verdreckten Küchenschrank zusammen. Wahrscheinlich nur eine Maus, vermutete sie und schalt sich für ihre Zimperlichkeit.
Sie verließ die Küche und lief zum Ende des Korridors, wo sich eine morsche Holztreppe zum oberen Stockwerk emporschwang. Skeptisch musterte sie den brüchigen Treppenbelag.
„Na ja, meine paar Kilo wird sie schon noch tragen“, machte sie sich Mut und sprang auf die erste Stufe. Die Treppe ächzte zwar protestierend, aber sie hielt. Sie eilte mit weiten Sprüngen nach oben und huschte über die knarrenden Dielen zu einem Zimmer am Ende des Flurs, aus dem ihr wohlbekannte Gerüche in die Nase stiegen.
KATZEN! frohlockte sie!
Sie lief zum Eingang und spähte in den Raum. Das Zimmer war leer, bis auf ein zerschlissenes Sofa und einen ramponierten Couchtisch, um den sich mehrere klobige Sessel gruppierten, die sich jedoch gegen den auf einem Podest an der Stirnseite des Tisches thronenden Ohrensessel geradezu zierlich ausnahmen.
Sollte sie hier richtig sein? Sie huschte ins Zimmer und lauschte. War da nicht eben ein Geräusch gewesen? Tatsächlich! Es kam jemand. Sollte sie sich verstecken? Nein! Sie schüttelte den Kopf und sprang mit einem Satz auf den Ohrensessel. Sollten sie nur kommen. Sie war bereit.
Und sie kamen! Die leisen Geräusche waren bereits ganz nah.
„Aha“, zischelte Kalina nun doch aufgeregt. „Jetzt bin ich aber mal gespannt, was das für Typen sind.“
Und im selben Moment stürmte ein muskulöser, silbergrauer Kater ins Zimmer, dem eine Horde Artgenossen auf dem Fuße folgte. Als wäre er gegen eine Wand gelaufen blieb der Silbergraue so ruckartig stehen, dass seine Gefolgschaft auf ihn auflief und unter wildem Geschrei übereinander purzelte. Ein kleiner, kugelrunder Kater kreischte empört:
„Bobo, sieh nur! Da hat sich jemand in deinem Sessel breit gemacht!“
„Ja, Karlchen“, grollte Bobo. „Noch dazu ein Katzenweib! Das glaube ich einfach nicht.“
„Wahrscheinlich ist sie lebensmüde, Boss“, grinste der kleine Dicke.
Kalina reckte sich und bildete einen imponierenden Buckel. „Bist du der Boss?“, fragte sie gelassen den Silbergrauen von ihrem erhöhten Sitz aus.
„Das will ich wohl meinen“, knurrte Bobo. „Raus aus meinem Sessel oder ich mach dich alle. Das hier is´ mein Revier, kapiert?!“
Kalinas kohlrabenschwarzes Katzengesicht blieb unbewegt, aber ihre funkelnden goldgelben Augen ließen den Kater nicht los.
„Soll ich ihr ´ne Lektion erteilen, Chef?“, bot sich ein Kater an, dessen verstümmeltes Ohr auf einen Raufbold schließen ließ.
„Lass man, Henry. Ich mach das schon. Doch bevor ich sie mir vornehme, möchte ich wissen, was sie hier zu suchen hat“, zischte Bobo.
Um es nicht zum Äußersten zu treiben gab Kalina nach, denn schließlich war sie ja nicht ohne Grund hierhergekommen. Sie sprang vom Sessel herunter und baute sich selbstbewusst vor dem Silbergrauen auf.
Dieser zwinkerte irritiert. Mit der sollte ich mich vielleicht besser nicht anlegen, dachte Bobo unbehaglich, als er seine ungebetene Besucherin in voller Größe vor sich sah. Aber er fasste sich schnell wieder.
Kalina spürte sein innerliches Zusammenzucken und grinste insgeheim. Aber sie war klug genug, sich nichts anmerken zu lassen. Der Kater vor ihr war der Boss und sie hatte nicht vor, sich mit ihm und seinem Gefolge anzulegen. Schließlich suchte sie für ihr Vorhaben Verbündete. Feinde nützten ihr nichts.
„Also? Was willst du hier?“, fragte Bobo streng.
„Ich brauche eure Hilfe. Ich will Mitglied deiner Gang werden“, sagte Kalina.
Stille folgte ihren Worten. Die Bande starrte sie erst sprachlos an, um plötzlich wie auf Kommando loszuprusten.
Karlchen, der kleine Dicke, schmiss sich auf den Boden und hielt sich sein schwabbeliges Bäuchlein vor Lachen. „Na, das is´ vielleicht ´ne Type, Boss“, kreischte er amüsiert.
„Spinnst du?“, knurrte Bobo, der die allgemeine Heiterkeit nicht teilte. „Du kannst doch nich´ einfach bei der besten Straßengang der ganzen Gegend auftauchen und sagen: Ich will in eure Gang und ihr müsst mir, wobei auch immer, helfen. Nee, meine Liebe, so einfach ist das nicht. Mitglied wird nur, wer etwas Besonderes zu bieten hat und gefallen muss er uns natürlich auch.“
„Genau, der Boss hat recht. Die Tussi tickt doch nicht ganz richtig“, grölte der vernarbte Henry frech. „Lass mich mal machen, Boss. Ich schmeiß sie einfach raus.“
Kalina sah ihn furchtlos an. Ein Straßenkämpfer, dem verkrüppelten Ohr und den vielen Narben nach, mutmaßte sie.
„Gehst du freiwillig oder muss ich nachhelfen?“, zischte er und baute sich siegessicher vor ihr auf. Der arme Kerl konnte ja nicht ahnen, mit wem er sich da anlegen wollte. „Glotz nich´ so blöd. Hau lieber ab“, fauchte Henry irritiert, als sie auf seine Drohgebärden nicht reagierte
Da erstrahlten ihre Augen in goldenem Licht. Erschrockenes Raunen ließ die Katzenhorde erbeben und ...
HENRY BEGANN ZU SCHWEBEN!
Erst fünfzig, dann achtzig, dann hundert Zentimeter über dem Boden kreiste der Kater sanft der Zimmerdecke entgegen. Höher und höher stieg sein vernarbter Katzenleib, bis er etwa zwei Meter über ihnen einen seltsamen Tanz aufführte.
„Bitte, lass mich runter“, jammerte Henry. „Mir wird schlecht.“
Ein lang gezogener Seufzer schwebte durch den Raum und ein dünnes Stimmchen fragte: „Was macht Henry dort oben?“
Bobo schüttelte seine Erstarrung ab. Seine kupferfarbenen Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. „Machst du das etwa?“, zischte er.
Kalina nickte.
„Okay, dann hol ihn da runter. Sofort! Oder ich werde verdammt ungemütlich, kapiert?“
„In Ordnung, aber unter einer Bedingung.“
„Und welche?“
„Ihr hört euch in Ruhe an, was ich zu sagen habe. Und wenn ihr dann noch immer nichts mit mir zu tun haben wollt, verschwinde ich, abgemacht?“
Bobo überlegte. „Also gut“, sagte er endlich. „Sobald Henry wieder unten ist, hör´n wir dir zu.“
Und so geschah es.
Bobo erklomm seinen Chefsitz, den Ohrensessel. Und seine Anhänger machten es sich auf den übrigen Sitzgelegenheiten bequem. „Also gut. Was willst du uns erzählen?“, fragte Bobo ungeduldig.
„Über die entsetzlichste Zeit meines Lebens und wie mich meine Menschenfreundin Roberta vor einem schrecklichen Ende bewahrte“, sagte Kalina. „Es geschah an ...“
„Lüge! Pure Lüge!“, kreischte Henry und sprang mit einem Satz zu ihr auf den Tisch. „Menschen retten keine Katzen! Menschen sind falsch und voller Heuchelei. Sie verfolgen uns! Sie fangen uns! Aber sie helfen uns nicht. So etwas würden sie niemals tun. Niemals! Ich wusste es! Du hilfst ihnen. Ich mach dich alle, du verdammte Spionin!“, schrillte der Kater und wollte sich auf sie stürzen.
Doch Bobos donnerndes: „Stopp!“, ließ ihn innehalten.
Henry erstarrte. Er senkte zwar seine zum Schlag erhobene Pfote, doch die scharfen Krallen zog er nicht ein.
„Beruhige dich, Alter, und geh zurück an deinen Platz“, befahl Bobo.
„A...aber sie lügt, Boss“, stotterte Henry verwirrt. „Du...du weißt doch auch wie die sind.“
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