»Wissen wir was die dort wollen?«, fragte Vernon Silverstone, da er es nicht mehr aushielt und warf einen kritischen Blick auf den Leiter des Auslandsgeheimdienstes Feldmarschall Andrew Rennie, der so aussah, als sähe er das alles zum ersten Mal. Der jedoch zuckte nur nervös mit den Schultern. Er sah die Aufnahmen tatsächlich zum ersten Mal und fragte sich im Stillen, was seine Leute eigentlich trieben, wenn sie nichts davon wussten. William Samford duckte sich ein wenig, da er nicht als erster den Unmut seines Vorgesetzten abbekommen wollte.
Roger Kell kam William Samford zu Hilfe, schließlich war er für die Abteilung mit den aktiven Spionen verantwortlich und sagte, nachdem er der Majorin einen kurzen Blick zugeworfen hatte, »nein, wir wissen es nicht. Ich kenne ein paar der Aufnahmen, die wir in Zusammenhang mit Ramirez Estar bekommen haben. Anfangs dachten wir noch, die suchen nach dem Kerl, aber nach unseren Nachforschungen passte das einfach nicht zusammen. Ramirez Estar war zwar in Syrien und in Jordanien, aber er war zu keiner Zeit in Zentralafrika oder in Marokko.«
Armeegeneral Vernon Silverstone als oberster Verantwortlicher des Britischen Nachrichtendienstes blickte beunruhigt auf seinen Mitarbeiter. Offenbar waren zumindest diese Informationen bekannt, was die Ehre des Britischen Geheimdienstes rettete.
Major Eleanor Hunt nickte lächelnd. »Genau, das haben wir uns auch gedacht. Offenbar gibt es noch andere Gründe warum die hier sind. Wir müssen unbedingt herausfinden, was die vorhaben. Außerdem scheinen sie das XNet infiltriert zu haben und von dort aus haben sie sich zu uns durchgearbeitet.« Die Majorin schwieg ein wenig betreten, da ihr das dann doch peinlich war.
»Soll das heißen, die haben ihre Organisation infiltriert«, fragte Roger Kell entsetzt.
Die Majorin nickte ergeben. Es machte keinen Sinn zu verheimlichen, was so offensichtlich war. »Ja, CIA, NSA, und so weiter und auch die des Vatikan. Wir wissen nicht, wo die noch überall reingekommen sind. Deshalb dieses altertümliche Ding hier.« Sie klopfte mit einer Hand auf den Projektor.
»Und offenbar auch bei uns, sonst hätten sie die Familie Longley nicht gefunden«, bemerkte William Samford mit zusammengebissenen Zähnen.
»Die Longleys? Ist das der Vorfall in Worthing?« Ter Valkenbrecht richtete seinen durchdringenden Blick auf William Samford.
Der jedoch schaute nur ungerührt zurück und sagte, »ja. Sie kennen die Aufnahmen ja bereits. Das XNet ist voll von ihnen. Wenn Sie Details sehen wollen …« William Samford stand auf, um die Medienwand einzuschalten. Nach ein paar Sekunden lief die Videosequenz über den Schirm.
»Offenbar ist ihr Netz noch sauber, sonst könnten sie das jetzt nicht zeigen«, sagte die Majorin anerkennend.
»Oder die löschen nur bestimmte Sequenzen. Mir ist aufgefallen, dass immer die Aufnahmen verschwinden, die die große Frau zeigen.« Joe Falter deutete auf die Videosequenz.
»Joe, du könntest Recht haben!« rief die Majorin verblüfft. »Vielleicht war die Frau da nicht dabei.«
»Oder das sind ganz andere. Die sehen eher aus wie Reptilien, gar nicht wie Menschen. Gruselig!«, mischte sich der Leiter der Sektion 14 Daniel Maundner in das Gespräch ein, nachdem er die ganze Zeit über geschwiegen hatte.
»Dann ist das tatsächlich nicht bearbeitet worden. Die Aufnahmen sind tatsächlich echt? Wir hatten gehofft, dass sich jemand einen Scherz erlaubt hat«, stöhnte der Mann von der Spionageabwehr, der sich immer noch nicht vorgestellt hatte.
»Leider nein! Die Aufnahmen sind tatsächlich echt.« William Samford musterte den Kollegen ohne Namen genervt. Warum waren Spione nur immer so geheimniskrämerisch den eigenen Leuten gegenüber.
General Roger Kell stand auf, ging zum Projektor und drehte den Film etwas zurück. »Ob das hier ihr richtiges Aussehen ist? Ich meine diese Menschenähnlichen sehen doch ziemlich künstlich aus, finden Sie nicht auch?«, sagte er grübelnd.
Eleanor Hunt schüttelte bedauernd den Kopf. »Auch das wissen wir nicht. Wir glauben aber nicht. Nur dieser Ramirez Estar sieht irgendwie … echt aus, was bemerkenswert wäre.«
»Und auch ein wenig beängstigend, würde das doch bedeuten, dass Außerirdische tatsächlich so aussehen können wie wir«, fügte Armeegeneral Vernon Silverstone hinzu.
»Wissen wir eigentlich woher die kommen?«, lenkte John Franks vom MI5 das Gespräch in eine andere Bahn. Seiner Meinung nach war es doch völlig egal wie die aussahen. Gefährlich waren die doch alle.
»Bis jetzt nicht.« Ter Valkenbrecht rieb sich die Stirn. »Wir wissen nicht einmal wo die ihre Basis haben!« Es klang fast schon verzweifelt.
»Wir müssen unbedingt herausfinden, was die hier wollen«, setzte Armeegeneral Vernon Silverstone eindringlich hinzu.
»Und was wir gegen die tun können«, ergänzte Ter Valkenbrecht.
Alle sahen sich stumm an. William Samford war erstaunt über so viel Einigkeit und wagte einen Vorstoß. »Sollten wir nicht die UWN einschalten. Ich meine möglicherweise brauchen wir die Schützenhilfe von Russland, China und den Europäern.«
»Einen Schritt nach dem anderen.« Ter Valkenbrecht stand auf und zog einen Stick aus der Tasche. »Wir haben uns schon ein paar Gedanken zu dem Thema gemacht.«
Esmeralda Parador dachte wieder einmal über die Ereignisse nach, die sie hierher nach Chile verschlagen hatten. Seit sie in diesem Land angekommen war fühlte sie sich erstaunlich frei. Drei Monate war sie nun schon in Puerto Montt. Sie erinnerte sich gerne an die Fahrt erst mit dem Zug und dann mit dem Überlandbus. Die Strecke von Temuco über Osorno durch die "chilenische Schweiz" genannte Gegend hinunter in den Süden von Chile war wunderschön gewesen, zumal damals der Sommer gerade erst angefangen hatte. Die Zeit war wie im Flug vergangen und der sechswöchige Intensivkurs in Chilenisch hatte sie anfangs ziemlich geschlaucht. Doch nach einiger Zeit sprang sozusagen der Knopf auf und von da an ging es immer besser. Mittlerweile verstand sie die meisten Menschen ohne Probleme und sprach selbst schon sehr flüssig und fast akzentfrei. Natürlich reichte es noch nicht, um über schöngeistige Literatur zu diskutieren oder sich in gehobenen Kreisen zu bewegen, aber das würde sicher auch nicht mehr lange dauern, zumal sie viel las. Seit ein paar Wochen arbeitete sie sogar für ein regionales Reisebüro das Motorradtrekkingtouren in der Carretera Austral veranstaltete. Die Gäste, die kamen, waren gut betucht, da die Anreise ziemlich viele ECOS kostete und auch sonst nicht billig war, jedenfalls für einen Normalverdiener nicht zu bezahlen. Manchmal brachte ihr das sogar ein ordentliches Trinkgeld ein. Sie fuhr den Bus, der die Touristen die ziemlich anspruchsvolle Strecke von Puerto Montt bis hinunter zu dem kleinen Ort Villa O´Higgins begleitete. Dafür brauchte sie keine hochgeistigen Gespräche zu führen, da das niemand von ihr erwartete. Sie musste nur in der Lage sein, ab und zu einen Defekt am Bus oder an den Motorrädern zu beseitigen und das war sie. Natürlich hätte sie nicht arbeiten müssen. Schließlich hatte sie einen regelmäßigen Zahlungseingang aus einem Pensionsfond, von dem sie wusste, dass er der Organisation des Erzbischofs gehörte. Zusätzlich bekam sie Geld von einer staatlichen Stelle aus den USA. Offenbar tarnte die CIA sich ebenfalls, wenn sie ihre aktiven Mitarbeiter bezahlte. Es wunderte sie zwar, dass sie bereits Gehalt erhielt, da sie sich noch gar nicht bei ihrem Kontaktmann gemeldet hatte, aber vermutlich hatte das der Erzbischof für sie geregelt. So viel finanzielle Mittel hatte sie noch nie in ihrem Leben zur Verfügung gehabt und das meiste davon schob sie auf ein Sparkonto, weil sie es nicht brauchte. Trotzdem war es unauffälliger wenn sie so tat, als müsste sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Dass sie den Job in dem Reisebüro gefunden hatte, freute sie. Es fühlte sich für sie an wie ein richtiges Leben. Es machte Spaß und sie konnte die Gegend kennenlernen. Die Architektur der kleinen Städte um Puerto Montt herum erinnerte sie an Europa. Wären da nicht die schneebedeckten Vulkane und die fremdartigen Bäume gewesen, hätte sie tatsächlich das Gefühl gehabt in der Schweiz oder in Österreich zu sein. Kein Wunder, dass der Volksmund die Gegend mit der Schweiz verglich. Auch die Namen der Einwohner zeugten vom europäischen Erbe. Mittlerweile fühlte sie sich pudelwohl in Chile. Selbst ihr Heimweh nach Armenien hielt sich in Grenzen und an Ramirez Estar und all die anderen Ereignisse dachte sie auch kaum noch. Sie hatte nicht einmal Zeitung gelesen, nur Romane auf chilenisch in denen es um nichts weiter ging, als um Liebe und Leidenschaft. Mord- und Spionagegeschichten mied sie. Davon hatte Esmeralda Parador in ihrem Leben weiß Gott schon genug gehabt. Die nächsten drei Monate, die ihr noch blieben, würde sie genießen, bevor sie sich dem eigentlichen Grund ihrer Anwesenheit in Chile widmen musste.
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