»Setz dich endlich wieder hin!«, sagte sein Tischnachbar zu ihm und zog ihn am Arm zurück auf die Bank.
»Was ist passiert?«, fragte Ullisten Getrillum und versuchte die Benommenheit abzuschütteln.
»Kohlenmonoxidalarm!«, presste der Mann neben ihm heraus.
Ungläubig betrachtete Ullisten Getrillum die Männer an seinem Tisch. Sie blickten nur stumm vor sich hin, atmeten nur noch flach, so als ob das helfen würde. Ein paar Tische weiter kippten ein paar von den Bänken. Die anderen zerrten sie hoch während wie in einer einzigen riesigen Welle, die von hinten nach vorne durch die Halle schwappte, alle Mann auf die Tische stiegen. Da Kohlenmonoxid schwerer war als Luft und infolgedessen auf den Boden absank, versuchten sie so dem tödlichen Gas zu entgehen. Ullisten Getrillum machte es ihnen nach. Die Metalltische ächzten unter dem Gewicht der Arbeiter. Ein saugendes Geräusch fegte über den Boden der Halle, das in ein grässliches Gurgeln und Schlürfen überging, während von der Decke, aus unsichtbaren Düsen, Sauerstoff in die Halle geblasen wurde.
» Bei den Feuern von Algol! Das ist ja noch primitiver, als ich angenommen habe! «, dachte Ullisten Getrillum schockiert.
Ein dunkler langanhaltender Ton ließ Erleichterung in die Gesichter der Männer treten. Misstrauisch stiegen sie von den Tischen herunter und setzten sich wieder. Die meisten aßen einfach weiter, so als wäre nichts gewesen, doch einige waren kreidebleich im Gesicht. Ullisten Getrillum vermutete, dass das die Neuankömmlinge waren.
»Kommt das öfter vor?«, fragte er den Arbeiter neben sich.
»Manchmal, nicht oft«, bekam er eine unwirsche Antwort.
Ullisten Getrillum fragte nicht weiter. Der Mann wollte ganz offensichtlich nicht darüber sprechen. Mit einem kurzen Gruß nahm er sein Tablett und ging. Wenn die alle so auskunftsfreudig waren, dann würde er seine Fragen niemals loswerden. Seine Benommenheit war wieder verschwunden. Wenigstens wusste er nun, dass das Essen in Ordnung war. Vielleicht sollte er doch noch einmal in die Bar gehen. Der Barkeeper wusste möglicherweise mehr darüber.
Die Bar war proppenvoll, Jo der Barmann hatte alle Hände voll zu tun und deshalb bestimmt keine Zeit seine Fragen zu beantworten. Missmutig sah Ullisten Getrillum sich um und überlegte ob er einfach wieder gehen sollte. Noch bevor er sich umdrehen konnte, um die Bar wieder zu verlassen, legte sich eine schmale Hand sachte auf seinen Arm. Ullisten Getrillum fuhr herum, rempelte dabei ein paar Arbeiter an, die ihn böse anknurrten. Er ignorierte sie, blickte stattdessen in das Gesicht der Frau, die er gestern bereits hier gesehen hatte. Sie lächelte zaghaft.
»Habe ich dich erschreckt?«, säuselte sie und legte den Kopf schräg.
»Möglicherweise«, antwortete Ullisten Getrillum in neutralem Tonfall.
Sie lächelte noch einmal, dieses Mal mutiger. »Du gefällst mir! Wie heißt du?«
Ullisten Getrillum zog die Augenbrauen hoch. Es schien so, als wäre ihm soeben die Gunst einer der hiesigen Prostituierten gewährt worden. Immerhin roch sie gut und schien keine Drogen zu nehmen. Alles in allem war sie ganz annehmbar, üppig ausgestattet, kein schönes Gesicht, aber gepflegt. Sie ließ es sich ungeniert gefallen, dass er sie von Kopf bis Fuß musterte. Langsam sollte er wohl etwas von sich geben, wollte er nicht als Volltrottel dastehen, deshalb sagte er, »Ramirez und du?«
»Janice«, antwortete sie und strich mit einem Finger seine breite Brust entlang, während sie ihm von unten einen verheißungsvollen Blick aus ihren blauen Augen zuwarf, die mit falschen Wimpern geschmückt waren.
Ullisten Getrillum schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Im Augenblick war ihm nicht nach Sex, auch wenn es schon eine Ewigkeit her war, dass er bei einem weiblichen Wesen gelegen hatte. Allerdings, wenn es wirklich so war, dass die Damen des Gewerbes ihre Gunst nicht jedem schenkten, dann sollte er sie wohl nicht verprellen. Natürlich war er sich nicht sicher, ob er anatomisch dazu in der Lage war, schließlich war er kein Mensch. Äußerlich waren die Unterschiede nicht besonders groß, aber er war sich nicht sicher, dass er wirklich genauso funktionierte wie ein Menschenmann. Er musste es wohl oder übel darauf ankommen lassen. Immerhin konnte er seine Deformation auf die Nachwirkungen der radioaktiven Strahlung auf der Erde schieben. »Möchtest du etwas trinken, Janice?«, fragte er sie deshalb freundlich.
Sie zog einen Schmollmund und klimperte mit den falschen Wimpern, bevor sie antwortete, »ein Wasser wäre nett.«
Das war ein gutes Zeichen. Er hasste betrunkene Prostituierte. Mit einem Wink gab er Jo ein Zeichen und bestellte zwei Wasser. Zum Glück waren die zwei Getränke günstiger, als der Kaffee. Janice nippte lasziv an dem Wasser, so als wäre es Champagner und betrachtete ihn neugierig.
»Willst du nicht mit mir woanders hingehen? Hier ist es so laut!«, fragte sie ihn, während sie näher an ihn heranrückte.
Die Dame war ganz schön aufdringlich. Ullisten Getrillum überlegte angespannt, wie er aus der Geschichte mit Anstand herauskam, aber es fiel ihm nichts ein. Es blieb ihm also nichts Anderes übrig, als ihr zu antworten. »Ich fürchte hier gibt es nichts, wo es etwas ruhiger wäre.«
»Wir könnten auf dein Zimmer gehen!«, sagte sie mit samtener Stimme und rieb eines ihrer Beine an ihm wie eine rollige Katze.
»Das würde ich gerne, aber morgen ist mein erster Arbeitstag«, antwortete Ullisten Getrillum ungerührt.
»Oh, so schwächlich? Du siehst gar nicht so aus, als würdest du nicht einmal eine halbe Stunde durchhalten«, provozierte sie ihn.
Die umstehenden Männer, die erwartungsvoll gelauscht hatten, lachten grölend. Ullisten Getrillum ließ sich seine Verärgerung nicht anmerken. Offenbar war es ein Vergehen, die Gunst von Janice zurückzuweisen, deshalb trank er sein Glas aus und nahm sie um die Hüften. »Na, dann suchen wir uns ein stilleres Örtchen, dann beweise ich dir das Gegenteil«, sagte er scherzend, obwohl er dazu tatsächlich überhaupt keine Lust hatte.
Eine Stunde später lag er dennoch zufrieden auf seinem Bett und Janice zog ihre spärliche Kleidung wieder an, nachdem sie geduscht hatte. Sie verstand ihr Handwerk, das musste er ihr lassen.
»Kann ich dich etwas fragen, Janice?«, sagte er, während er sie verstohlen beobachtete.
»Frag nur, mein Süßer.« Sie blickte erwartungsvoll auf ihn herunter, nachdem sie ihre hochhackigen Schuhe angezogen hatte und nun ihren Rock vom einzigen Stuhl im Zimmer pflückte. Sie hatte prächtige kraftvolle Schenkel und samtene Haut.
»Warst du schon einmal draußen auf der Mondoberfläche?« Gespannt wartete er auf ihre Antwort.
Erstaunt zog sie die Augenbrauen hoch. »Draußen? Im Vakuum?«
Ullisten Getrillum nickte stumm, aber sie schüttelte vehement den Kopf.
»Reizt es dich denn nicht, auf dem Mond spazieren zu gehen?«, Ullisten Getrillum setzte sich auf und lehnte sich an die Wand am Kopfende des Bettes.
»Nein, auf keinen Fall. Viel zu gefährlich. Außerdem gibt es keine Raumanzüge für Meinesgleichen. Nur die Wartungstrupps haben welche. Und du brauchst eine besondere Ausbildung dafür, sonst kommst du gar nicht durch die Schleuse hinaus.« Sie betrachtete ihn neugierig. »Was willst du denn dort draußen?«
»Ich weiß nicht. Ich finde es einfach spannend. Wer kann schon von sich behaupten, auf dem Mond spazieren gegangen zu sein.« Ullisten Getrillum grinste breit. Das war zwar eine ziemlich einfältige Erklärung, aber er konnte ihr schlecht die Wahrheit sagen.
Sie lächelte verständnisvoll. »Du bist nicht der einzige der sich das wünscht, aber es geht leider nicht. Vielleicht eines Tages.«
»Da hast du bestimmt recht. Ach, heute war ein Alarm, ich war gerade in der Kantine. Gibt es diese Alarme öfters?«, wechselte er das Thema, trat aber damit gleich in das nächste Fettnäpfchen.
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