Sie seufzte leise und dehnte sich entspannt. Esmeralda Parador saß auf dem winzigen Balkon ihres Appartements und beobachtete die Menschen, die unten auf der Straße vorbeiflanierten. Es war Sonntag und ganz Puerto Montt schien bei dem außergewöhnlich schönen Wetter auf den Beinen zu sein. Ihr Appartement im 3. Stock bestand nur aus einem Wohnraum, einem winzigen Badezimmer und einem kleinen Flur, in den in einer Nische sogar eine richtige Küchenzeile eingebaut worden war. Obwohl das Appartementhaus eine Zentralkantine besaß, in der sie dreimal täglich hätte essen können, kochte sie oft selbst. Die Wohnung war zwar klein, aber zentral gelegen, was die Größe wieder aufwog. Sie brauchte kein eigenes Auto, um irgendwo hinzukommen. Das Appartementhaus lag fast am Anfang der Straße Miraflores, ganz in der Nähe des alten Hafengebietes Angelmó und nur einen Steinwurf vom Meer entfernt. Am Caleta Angelmó befand sich auch das Reisebüro, für das sie arbeitete. Täglich fuhren hier die Fährschiffe ab, hinüber zur Isla Tenglo oder hinunter in die Carretera Austral, um die Dörfer mit Waren zu versorgen, da sie nicht auf dem Land transportiert werden konnten.
Der Geruch nach Curanto, einem Meeresfrüchte-Speck-Gericht, zog ihr in die Nase. Vielleicht sollte sie hinuntergehen ins Hafenviertel. In einem der zahlreichen Marisquerías, dem Äquivalent Puerto Monttscher Essbuden im Fischmarkt von Angelmó, wurde mit Leidenschaft Curanto gekocht. Sie aß das wahnsinnig gerne. Danach könnte sie noch in einem der Kioske in der Feria Artesanal einen neuen Pullover von der Isla de Chiloé erstehen. Ihrer war durch die zahlreichen Wanderungen, die sie in den letzten Wochen gemacht hatte, ziemlich strapaziert. Sie mochte die warmen wasserabweisenden handgestrickten Pullover aus der Wolle des Corriedale Schafes, das hier im Süden von Chile, in Patagonien, schon seit vielen Jahrzehnten gezüchtet wurde. Die besten Pullover wurden ihrer Meinung nach von den Frauen aus Ancud, einem kleinen Ort auf der Isla de Chiloé, gefertigt.
Kurzentschlossen stand sie auf, griff sich ihre Handtasche und verließ das Appartement. Es war ein schöner sonniger Tag. Das Thermometer kletterte sogar auf über 20º Celsius. Der Osorno, der im Hintergrund des Häusermeeres seine weißüberzuckerte Spitze in die Höhe reckte, funkelte und glitzerte in den wärmenden Strahlen. Der Osorno war nicht der einzige Vulkan in der Gegend. Puerto Montt wurde praktisch von ihnen umzingelt, denn etwa dreißig Kilometer östlich befand sich der Vulkan Calbuco. Er war sehr aktiv. In den letzten Tagen hatte es sogar Rauchwolken gegeben, die aus seiner über 2000 Meter hohen Spitze herauspafften wie aus einer Dampflokomotive.
Nach ein paar Minuten war sie in dem angesagten Viertel und schlenderte zu ihrer bevorzugten Essbude am Ende des Marktes. Das Minirestaurant hatte nur zwei Tische die schon ein wenig abgewetzt aussahen, mit jeweils vier Stühlen darum herum, deren Zustand nicht besser war. Der erste Tisch war besetzt, aber am anderen war noch ein Stuhl frei. Es war völlig normal, sich einfach zu anderen Gästen dazu zu setzen. Esmeralda Parador bestellte ein Curanto und ein Glas Wasser. Verstohlen musterte sie die Besucher des Lokales. Am anderen Tisch saß eine chilenische Familie und unterhielt sich lautstark gestikulierend, während an ihrem Tisch drei junge Männer saßen, die ziemlich schweigsam waren und müde in ihrem Gericht herumstocherten. Für Touristen sagten die zu wenig. Außerdem hätte sie ihren Kopf dafür verwettet, dass die drei irgendwo aus dem Orient kamen.
Der Eigentümer des Marisquería brachte ihr mit einem freundlichen Lächeln ihren Teller. »Guten Appetit«, wünschte er ihr, dann wandte er sich an die drei Männer und fragte, »schmeckt Ihnen ihr Essen etwa nicht?«
Die drei sahen hoch, müde Augen hefteten sich irritiert an die Lippen des Wirtes.
»Doch, doch! Es ist ausgezeichnet. Wir haben nur gerade schlechte Nachrichten bekommen«, sagte einer von ihnen, mit einem leicht türkischen Akzent.
»Oh, das tut mir sehr leid«, antwortete der Wirt mit bedauernder Miene und ging.
Esmeralda Parador sah, während sie schweigend aß, dass die drei sie immer wieder verstohlen musterten. Das war kein normales Verhalten. Nur Geheimdienstleute oder Menschen, die etwas zu verbergen hatten oder sich vor etwas fürchteten, taten so etwas.
Nach ein paar Minuten fingen sie an auf Türkisch miteinander zu sprechen. Wenn sie gewusst hätten, dass Esmeralda Parador die Sprache einigermaßen verstand, hätten sie das bestimmt nicht getan. Esmeralda Parador lauschte mit angehaltenem Atem und hätte fast vergessen zu essen. Die drei unterhielten sich über einen Mann namens Özgur Batman, den der türkische Geheimdienst in die Mangel genommen hatte. Einer von den dreien an ihrem Tisch war wohl ein entfernter Cousin von diesem Mann. Das hätte sie eigentlich nicht weiter interessiert, wäre in dem Gespräch nicht die Zementfabrik in Ararat vorgekommen und ein weiterer Batman, der zwei vom syrischen Geheimdienst Gesuchten in Alexandria zur Flucht auf ein Frachtschiff verholfen hatte, das nach England auslief. Ihr stockte der Atem, sie musste sich beherrschen nicht nachzufragen. Hastig aß sie fertig und stand auf, um an der Theke zu bezahlen. Das nächste Internetcafé war in der Innenstadt. Es hatte auch sonntags geöffnet. Vielleicht konnte sie da mehr in Erfahrung bringen.
Vorbei war es mit der Ruhe. Sie schimpfte sich einen Idioten ausgerechnet heute zum Essen gegangen zu sein, da sie die ganze Sache im Grunde genommen nichts mehr anging. Sehnsüchtig dachte sie an ihr kleines Appartement und die Sicherheit, die sie hier empfunden hatte, weit weg von all den Ränkespielen der Großmächte. Zehn Minuten später stand sie vor dem Internetcafé in der Benaventestraße. Sie kannte den Besitzer des Geschäftes, da sie hier regelmäßig ihre Romane herunterlud, weil sie selbst keinen Anschluss besaß. Zum Glück war nicht viel los und sie bekam sofort eine freie Kabine zugewiesen. Natürlich würde sie nicht nach Batman suchen und schon gar nicht nach Worten wie Geheimdienst und Syrien. Es gab ein kleines syrisches Käseblatt, das trotz Pressezensur relativ unvoreingenommene Berichte ins Netz stellte und das sogar in englischer Sprache. Esmeralda Parador durchsuchte die Ausgaben der letzten drei Monate und wurde fündig. Nur ein paar Tage nachdem sie herausgefunden hatte, dass Ramirez Estar nach Akaba unterwegs war, hatte es mehrere Anschläge in Syrien und in Jordanien gegeben. Fast sofort stieß sie auf sein Foto mit der Unterschrift " Topterrorist, dringend gesucht ". Das konnte nicht sein! Ramirez Estar war alles Mögliche, aber bestimmt kein Terrorist. Was war da los? Fieberhaft suchte sie weiter, fand aber nichts dazu. Ob man ihn wohl geschnappt hatte, fragte sie sich grübelnd, während sie das XNet durchforstete. Ihre Augen blieben an einem kleinen Artikel hängen, eher einer Randnotiz.
FREIZÜGIGE EUROPÄERIN VERURSACHT SKANDAL IN AKABA
Belustigt zog sie die Augenbrauen hoch. Hatten die nichts Besseres, worüber sie sich aufregen konnten? Doch als sie sich die Beschreibung näher durchlas zuckte sie zusammen. Die Fotos waren aus irgendeinem Grund nicht aufrufbar, aber das was da stand ließ ein Bild in ihrem Kopf entstehen, ein Bild von drei riesenhaften seltsam gekleideten Personen. Sie konnte eins und eins zusammenzählen. Sie war sich sicher, dass die auch nach Ramirez Estar suchten. Das würde so einiges erklären, vor allem den gehetzten Eindruck des Mannes und diese Lichtbombe in Jerewan. Über diese Technologie hatte sie bis heute nichts herausfinden können. Grübelnd betrachtete sie den Bildschirm. Aber was wollten die Syrer wirklich von Ramirez Estar? Das war alles mehr als seltsam? Einer Eingebung folgend suchte sie nach Aliensichtungen und wurde fast erschlagen, von der Fülle an Informationen die sie erhielt.
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