Der Zug transportierte sie in die Tiefen der Orbitalstation SILVERCONDOR. Nach einer halben Stunde hielt der ruckelnde Wagonwurm an einem Dock, das zu einem der Warenumschlagterminals gehörte. Das Terminal war im Grunde genommen nichts Anderes als eine in mehrere Segmente unterteilte riesige Halle, in der emsiges Treiben herrschte. Ullisten Getrillum schaute sich erstaunt um. Das hätte er den Menschen gar nicht zugetraut. Reihe um Reihe wurden Warencontainer von kleinen roboterähnlichen Maschinen umgeladen. Sie benötigten kaum Kraft dafür, denn im Warenterminal herrschte keine künstliche Schwerkraft. Alle Container schwebten mit einer Leichtigkeit durch den Raum, als bestünden sie aus Watte. Nur der Boden der eckigen Transportbehälter war magnetisch und hielt sie bei Bedarf auf dem Untergrund fest. Ullisten Getrillum sah zu, wie einige Container zu den langen, weit in den Weltraum hinausreichenden Tunneln geschoben wurden, wo die Verladeschleusen waren. Dort verschwanden sie schließlich im Bauch der Containershuttle. Ullisten Getrillum wusste, dass auf der Orbitalstation Produkte umgeschlagen wurden, die zum Mond gebracht wurden, aber dass es so viel war hatte er nicht geahnt. Die Firma, für die er nun arbeitete, verkaufte wiederum einen Großteil der auf dem Erdtrabanten geförderten Erzmengen an ein internationales Konsortium, das die Erze noch vor Ort aufbereiten ließ und mithilfe eines großen Scanners in Bauteile verwandelte. Mit denen wurden dann die diversen Forschungsstationen auf dem Mond gebaut. Anscheinend wurden aber auch die Erdorbitalstationen mit diesen Ersatzteilen versorgt, da es unzählige Bauteile im Warenterminal gab die die Aufschrift "Taurus Lunatec Inc. – Fertigteile, Ersatzteile, Maßanfertigungen" trugen. Je mehr er nach dem Schriftzug suchte, desto mehr Bauteile dieser Firma entdeckte er in der großen Halle. Eine Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Einige der größeren Roboter fingen an den Inhalt eines riesigen Containers auf mehrere kleinere zu verteilen. Ullisten Getrillum warf einen neugierigen Blick auf das Material, aus dem die Teile hergestellt worden waren. Offenbar bestanden die Meisten vor allem aus Aluminium-, Silizium- und Eisenverbindungen. Er wusste von seinen ersten Analysen, die er beim Anflug auf diese Welt gemacht hatte, dass es in der bis zu einhundertfünfzig Kilometer dicken Kruste des Mondes diese Minerale in größeren Mengen gab. Ebenso wie die chemischen Elemente Titan, Kalzium und Magnesium. Sauerstoff und Wasser waren dagegen rar und nur in tieferen Schichten und in an andere Elemente gebundener Form zu finden. Jedoch sie gewinnbringend abzubauen, hatte er den Menschen nicht zugetraut. Eine erstaunliche Leistung angesichts des niedrigen Standes der irdischen Technologie, zumal der Mond für menschliche Raumschiffe auch noch ziemlich weit entfernt war. Die unbemannten Containershuttles benötigten circa acht Stunden für die etwa 384.000 Kilometer zum Mond. Die Bauteile von der Erde aus an die Orbitalstation zu liefern wäre da mit Sicherheit schneller gewesen. Doch der Zeitverzug spielte für die Menschen wohl keine große Rolle, angesichts dessen was es sie kosten würde mit ihren primitiven Mitteln die Erdanziehung zu überwinden. Sein neuer Arbeitgeber profitierte ganz gewiss davon, dass die Teile nun direkt vom Erdtrabanten kamen. Dem Konzern Los Morrenos gehörte die derzeit einzige profitabel arbeitende Erzfördermine auf dem Mond, die Oficina Montes Taurus. Außerdem gehörten auch noch weitere Firmen wie die Taurus Lunatec Inc., die die Ersatzteile bauten, zum Konzern.
Ullisten Getrillum beobachtete die anderen Arbeiter, von denen einige ebenfalls zum ersten Mal hier zu sein schienen. In ihren Gesichtern spiegelte sich ein ungläubiger Ausdruck. Für einige kam die Erkenntnis zu spät, sich für einen Hungerlohn verkauft zu haben. Die Oficina musste enorme Gewinne damit machen, hatte sie doch quasi das Monopol hier oben. Dafür wurden die Männer, die die Drecksarbeit erledigten, viel zu schlecht bezahlt. Zum Glück brauchte er den Job nur so lange, bis seine Leute hier waren. Aber das waren immer noch zwei lange Jahre, die er sich vor den Adschirr´arr verstecken musste.
Ullisten Getrillum kam nicht dazu weiter darüber nachzudenken, denn vor einer schmalen Schleuse erschien eine Stewardess, die die Männer mit freundlichem Lächeln bat ihr zu folgen. Hinter der Schleuse, die sie nur nacheinander passieren konnten, befand sich ein langer schlauchähnlicher, in mehrere Segmente unterteilter Gang, der direkt mit dem Mondshuttle, das die Menschen LUNAJET nannten, gekoppelt war.
» Einfachstes Sicherheitssystem gegen Druckabfall «, dachte Ullisten Getrillum bestürzt, während er verstohlen die Kupplungen der einzelnen Segmente betrachtete. Der LUNAJET, der sie zum Mond bringen würde, war kleiner als die Fähre, die sie in die Erdorbitalstation befördert hatte. Die Kabinenwände waren abgenutzt, ebenso der Boden. Das machte Ullisten Getrillum Sorgen, denn wenn die Außenschilde und Antriebsteile in ebenso schlechtem Zustand waren wie das Innere, dann wunderte es ihn, dass noch keines der Shuttle im All verloren gegangen war. Aber vielleicht war das ja bereits geschehen. Vermutlich würde die Firma das nicht erzählen und wer sollte darüber berichten. Journalisten hatten bestimmt keinen Zugang zur Erzmine und zu einem Raumschiff auch nicht. Die konnten alles vertuschen, wenn sie wollten. Langsam dämmerte Ullisten Getrillum das ganze Ausmaß dessen, worauf er sich eingelassen hatte. An den Gesichtern der Männer konnte er ablesen, dass sie zum gleichen Schluss gekommen waren wie er. Da nützte auch das freundlich professionelle Lächeln der Stewardess nichts. Ullisten Getrillum beschloss sich über ungelegte Eier keine Sorgen mehr zu machen und versuchte einfach ein wenig zu schlafen. Er konnte sowieso nichts mehr dagegen tun.
Zwölf Stunden später war der LUNAJET tatsächlich heil in eine Umlaufbahn um den Mond eingeschwenkt. Wenig später dockte er an der Mondorbitalstation LUNACIRCUIT an, die auf einer niedrigen Bahn den Mond umkreiste. Das Personenshuttle hatte etwas länger gebraucht als das Containershuttle, da die Passagiere den Beschleunigungsdruck überleben mussten und die Andruckdämpfer derart primitiv waren, dass Ullisten Getrillum im Nachhinein bei dem Gedanken schlecht wurde, was alles hätte passieren können. Er hatte trotzdem erstaunlich gut geschlafen und fühlte sich zum ersten Mal seit Wochen ausgeruht.
Der Transit von LUNACIRCUIT auf die Mondoberfläche hinunter dauerte nicht lange, nach menschlichen Maßstäben, aber Ullisten Getrillum war kein Mensch und besseres gewöhnt. Sehnsüchtig dachte er an seinen Raumkreuzer der einsam und verlassen im Krater Gassendi lag, etliche hundert Kilometer weiter westlich vom Gebirgsstock Montes Taurus in dem sich die Erzmine befand. Wenn er doch nur einfach hinüberfliegen konnte. Dann würde er dieses Sternensystem verlassen, auch auf die Gefahr hin, dass die Adschirr´arr ihn bemerkten. Der Gedanke daran, dass er nun für zwei lange Jahre im Dreck der Mondkruste wühlen sollte, behagte ihm ganz und gar nicht. Wenn er eine andere Möglichkeit finden würde sich vor den Adschirr´arr zu verstecken, dann würde er auf dem Absatz kehrtmachen und von hier verschwinden. Ullisten Getrillum kam nicht weiter dazu sich zu bedauern, denn der Flug hinunter auf den Mond war angstschweißtreibend. Nach einer harten Landung auf einem mehr oder weniger ebenen Rollfeld vor dem Eingang zur Mine, hoppelte das Shuttle zu einem langgestreckten Gebäude, aus dem sich bereits ein langer Schlauch herausschob, der einige Minuten später an ihrem Raumschiff andockte. Alle waren ziemlich aufgeregt, als sich die Kabinentüren endlich öffneten und sie Mann für Mann durch die Schleuse geschoben wurden. Nicht viele Menschen hatten bisher ihren Fuß auf den Mond gesetzt. Sie gehörten nun dazu.
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