„Ich weiß es noch nicht. Wie geht es nun weiter?“
„Wir werden Ihren Mann bis zur Überführung nach Düsseldorf in den Aufbahrungsraum bringen. Wir fertigen die entsprechenden Papiere an, in ca. 3 Tagen kann er dann überführt werden. Sie sind hier herzlich willkommen und können solange bleiben wie sie möchten. Wenn sie vorher nach Düsseldorf zurück möchten, ist das auch kein Problem. Wir benötigen nur ein paar Unterschriften von Ihnen, das können wir aber später in Ruhe erledigen.“
Nelly nickte: „Er ist nicht mein Mann, nicht mein Ehemann…“
„Das wissen wir Frau Lange“, Schwester Susanne sprach ganz sanft.
„Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll…“
Schwester Susanne trat näher an Nelly heran:
„Frau Lange, rufen Sie Ihre Familie an und sagen Sie ihnen, dass Benno von ihnen gegangen ist. Vielleicht verspüren Sie dann den Wunsch, nach Hause zu fahren, oder laden jemanden hier ein um bei ihnen zu bleiben, oder um Sie abzuholen.“
Nelly nickte, konnte sich aber nicht bewegen und Schwester Susanne war wohl nicht wirklich davon überzeugt, dass ihre Wort Nelly eine Hilfe waren. „Was ist mit ihrem Freund, der gestern hier war? Möchte er nicht kommen?“
Nelly schüttelte den Kopf, nein, sie konnte Aaron jetzt nicht sehen. Sie war so leer, was sollte er den mit ihr anfangen, in diesem Zustand.
„Ich werde meine Eltern anrufen“, Nelly schaute auf die Uhr- kurz nach eins, sie schüttelte den Kopf.
„Ich rufe sie besser erst morgen an.“
„Frau Lange, dann bleiben sie doch erst einmal hier.“
Schwester Susanne lächelte Nelly an: „Sie gehen jetzt ein wenig frische Luft schnappen und in der zwischen Zeit lass ich ihnen einen leckeren Kakao machen. Ich lege Ihnen ein leichtes Schlafmittel hier auf den Tisch und wenn sie wiederkommen und Ihren Kakao getrunken haben legen Sie sich ins Bett und schlafen. Morgen früh rufen Sie Ihre Familie an und wir organisieren Ihren Rückflug.“
Ohne einen Widerspruch zu dulden, hielt Schwester Susanne Nelly bereits die Jacke hin, die Nelly auch automatisch anzog.
„So, in einer halben Stunde steht Ihr Kakao hier für Sie bereit“, und damit schob Schwester Susanne Nelly vor die Tür.
Nelly stand wie angewurzelt vor der Tür und wusste nicht was sie tun sollte, als die Türe noch einmal aufging und Schwester Susanne auf den Aufzug zeigte:
„Da geht es lang, Frau Lange“.
Nelly nickte und ging wie aufgezogen Richtung Aufzug und drückte den Knopf nach unten. Nelly verspürte nicht den Wunsch danach nun in den Park zu gehen und dort frische Luft zu schnappen, sie wusste aber auch nicht, was sie sonst tuen sollte, also stieg sie in den Aufzug und fuhr nach unten. Niemand war mehr hier anzutreffen, nur die Dame an der Rezeption schaute auf und nickte Nelly zu. Nelly wollte zurück nicken, war sich aber nicht sicher, ob sie dies bereits getan hatte.
,Ich stehe echt komplett neben mir,‘ schoss es Nelly durch den Kopf.
Als Nelly nach draußen trat, blies ihr der kalte Wind ins Gesicht, und wieder einmal wurde ihr bewusst, wie wundervoll der Wind war.
Nelly blieb im Licht der Eingangshalle stehen und schloss die Augen, die ihr, wie sie gerade merkte, immer noch brannten. Beim Schließen hatte sie das Gefühl, als hätte sie Sandkörner unter ihrem Augenlid, welche sie nun beim Schließen über ihren Augapfel rieb.
Nelly spürte den Wind und den Schmerz, aber sobald sie dies spürte, war das Gefühl auch schon wieder weg. Sie war so unglaublich leer. Nelly bohrte ihre Fingernägel in ihre Handfläche, aber auch dieser Schmerz war, nachdem er gespürt war, wieder weg. Nelly registrierte das alles, ohne dass sie in der Lage war weitere Gedanken oder Schlussfolgerungen hieraus zuziehen. Und so stand sie da, mit geschlossenen Augen und dachte an nichts, nicht an Benno nicht an Aaron nicht an sich, wahrscheinlich war es das erste Mal, das Nelly in ihrem Leben an nichts dachte, und wäre die Dame von der Reception nicht nach draußen gekommen, würde Nelly vielleicht immer noch im Wind stehen.
„Frau Lange, ihr Zimmer rief gerade an, ihr Heißgetränk steht für sie bereit.“
Nelly schaute die Dame mit roten Augen an: „Danke, dann gehe ich wohl wieder nach oben“.
Nellys Stimme klang eher fragend als feststellend, so dass die Dame von der Rezeption ihr aufmunternd zu nickte.
„Ja, das sollten Sie tun,“ und hielt dabei Nelly die Türe auf.
Nelly ging an ihr vorbei und fuhr mit dem Aufzug wieder nach oben und trat in ihr Zimmer ein. Bennos Bett hatte man herausgeschoben und ihr Bett mittig platziert, so dass ein Fremder gar nicht bemerken würde, dass hier mal ein weiteres Bett gestanden hatte- Bennos Bett.
Nelly setzte sich noch mit Jacke auf den Stuhl. Sie blicke auf den Platz, wo eben noch Bennos Bett gestanden hatte. Nelly wusste wieder nicht, wie lange sie dagesessen hatte, aber das vibrieren ihres Handys konnte sie und ihr Unterbewusstsein nicht mehr ignorieren. Nelly stand müde auf und schaute auf ihre Handys.
Hanna und Aaron, Nelly stöhnt auf. Sie konnte ihnen nicht schreiben, was sollte sie ihnen auch schreiben? Nelly zog ihre Jacke aus und hing sie über den Stuhl. Dann nahm sie ihr Handy und schrieb Hanna:
BENNO IST TOD! ICH GEHE JETZT SCHLAFEN.
Als Nelly die Nachricht abgeschickt hatte, wusste sie, wie bizarr diese war, aber es war ihr egal, es war die Wahrheit. Dann nahm sie Aarons Handy und starrte auf die Nachrichten von Aaron an sie. Er schieb ihr, dass er sie liebte und für sie da wäre und sich um sie sorgte und sie gerne sehen würde. Nelly bekam einen Kloß im Hals. Sie wusste plötzlich nicht, ob sie ihm, Aaron, dass hier alles antun konnte, sie konnte ihm nichts bieten, sie war so unendlich leer.
BENNO IST TOD! ICH FÜHLE MICH SO LEER UND BRAUCHE ZEIT FÜR MICH. ES TUT MIR LEID!
Als Nelly die Nachricht verschickt hatte, machte sie Aarons Handy aus, mit dem Wissen, das sie keinen PIN hatte und sie das Handy nicht mehr aktivieren konnte- Aaron würde sie nur noch über ihr eigenes Handy erreichen können, und das war zu gefährlich für beide, dessen war Nelly sich bewusst. Nelly war so müde, und als sie an ihren Kakao nippte, bemerkte sie, dass dieser bereits eiskalt war.
Nelly nahm 3 Schlaftabletten, ging noch kurz ins Bad und fiel dann in einen unruhigen Schlaf.
Bevor Aaron die Nachricht von Nelly erhalten hatte, war er gerade dabei gewesen sich anzuziehen, um zu ihr zu fahren. Seine Leute hatten ihm berichtet, das Nelly vor dem Spital gestanden hatte, ziemlich angeschlagen, fertig und vor allem allein!
Als er dann die Nachricht erhalten hatte, dass sie kurz darauf mit der Dame von der Rezeption wieder reingegangen war, war er etwas beruhigter, und hatte Nelly noch einmal angeschrieben. Er hätte schwören können, das Benno gestorben war- warum schrieb sie ihm nicht?
Jetzt saß er hier auf seinem Bett und las ihre Nachricht zum wiederholten Male. Was für eine Scheiße war das? Was tat ihr leid? Aaron schaute auf die Uhr- fast halb 3, trotzdem entschied er sich Hanna wach zu machen, bevor er jetzt zu Nelly fahren würde.
Als er an Hannas Tür klopfte, dauerte es einen Moment, bis sie ihm in einem Hauch von nichts die Türe einen Spalt öffnete.
„Hast du auch eine Nachricht von Nelly bekommen?“ fragte sie ihn direkt und rieb sich dabei ein Auge.
„Ja, und ich kann damit verfickt noch mal nichts anfangen. Diese Frau macht mich fertig- Hanna, was soll ich machen?“
Aaron schlug mit seinem Kopf gegen den Türrahmen. Hanna trat zur Seite und öffnete ihre Zimmertüre ganz: „Komm rein, ich zieh mir was an und dann zeigst du mir, was sie dir geschrieben hat.“
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