Im Automatenraum der Sparkasse arbeiteten Handwerker. Bramerthal stieg aus, verschwand in der Filiale und erschien mit einer Kassette.
Schroth bog auf die Reuschstraße, die eine günstige Verbindung zur B297 war. Er parkte gegenüber der Grünfläche. Sie gingen auf einem befestigten Weg ins Grün, das mit Hecken und Bäumen gesäumt war. Der Ort war ideal, um in der Dunkelheit mit dem Motorrad zu warten. Die SpuSi konnte auf dem befestigten Weg keine Spuren erkennen. Am Freitag hatte es bis Mittag geregnet. Eine schwach sichtbare Schuhspur führte vom Weg durchs saftige Gras, zum Ende einer Schleifspur und zurück. Diese Schleifspur, gut erkennbar auf einem Foto der SpuSi, hatte ein geworfener Gegenstand erzeugt. Der Rucksack war demnach aus dem fahrenden Wagen geschleudert wurde, folglich war das Mädchen an der Sprengung unbeteiligt gewesen.
Auf der Rückfahrt hielt Schroth vor einer Bäckerei. Die Chefin verschwand in dem Geschäft und kam mit einer prall gefüllten Tüte zurück, die sie eifersüchtig in ihrem Schoß hütete. Bramerthal schnappte Luft wie ein Verhungernder in einer Großküche. Schroth fuhr zügig zur Direktion. Die folgenden Handlungen, Kaffeekochen, Tischdecken, nannte Bramerthal einen Schatz des kollektiven Unterbewusstseins.
Während die Kaffeemaschine fauchte, stellten sie sich hinter Schnürles Bildschirm, um das Foto vom Automatenraum zu betrachten. Das Gesicht verbarg eine dunkle Skimaske, eine Person mittlerer Größe. Das blubbernde Geräusch parfümierte das Büro. Schroth rollte den Stadtplan dicht vor den Besuchertisch, zum leichteren Arbeiten und als Sichtschutz. Schnürle stellte Tassen und Teller auf den Tisch. Sie setzte sich zwischen ihre Mitarbeiter und die dampfenden Tassen. Bei diesem Anblick wäre Wahran wahrscheinlich eifersüchtig geworden.
Der Automat in der Nördlichen Ringstraße war mit Propan gesprengt worden. Kein Tatzeuge hatte sich gemeldet. Schnürle forderte die zeitlich passenden Fotos aller Radarfallen an. Weder ein dunkler Mercedes noch ein Motorrad wurden geblitzt.
„Beide Gruppen kommen aus dem Nichts und verschwinden wieder dorthin“, war Schnürles Ansicht.
Sie informierte den Leitenden Direktor. Er gab ihr die Anweisung, sich um die notwendigen Maßnahmen zu kümmern. Bramerthal erstellte fürs LKA eine knappe Zusammenfassung. Spezifisches Wissen wollten sie erst mit der Übergabe des Falls weitergeben.
Bramerthals Kaffee war abgekühlt, als er sich wieder setzte. Er tauchte sein Croissant in das laue Getränk, verschlang das Teil über die Tasse gebeugt und trocknete sich danach bis zu den Ohren. Schnürle telefonierte mit dem LKA, Schroth schob den Stadtplan zurück. Das Telefongespräch dauerte lang. Nachdem sie aufgelegt hatte, ging sie nachdenklich zum Stadtplan, kehrte um und sprach nach der dritten Wende.
„KHK Messinger vermutet eine Gruppe, die seit einigen Monaten vom LKA beobachtet wird. Er wird morgen kommen, um alle Tatorte anzusehen.“
Ihre stumme Wanderung ging weiter. Sie bebrütete einen unangenehmen Gedanken.
Beim Mittagessen schob sie dem Staatsanwalt die Aktenkopie über den Tisch.
„Damit können Sie sich für die Kontaktaufnahme zum LKA vorbereiten.“
Der Staatsanwalt stoppte seine Kaubewegung, sein Blick flackerte über das erste Blatt, bevor er sich zu einer Antwort entschloss.
„Ich müsste mit dieser Bennjakos zusammenarbeiten.“
Der Gedanke perlte Schweiß auf Wahrans Stirn.
„Ein erfolgreicher Fall mit dem LKA würde Ihrer Karriere nützen.“
Schnürles Argument gefiel ihm. Vorsichtig sprach er über die schweißtreibende Kollegin. „Kyriaki Bennjakos ist ein heißer Feger.“
Weil Schnürle entrüstet den Kopf schüttelte, sprach er hastig weiter: „Womit ich eine positive Beurteilung abgeben möchte. Nur habe ich den Eindruck, Zusammenarbeit wird schwierig. Sie hat auf ein Richteramt verzichtet, weil sie eine ehrgeizige Ermittlerin ist.“
Er blätterte flüchtig in der Akte und fragte: „Wo erkennen Sie den Hinweis, der auf das OV hindeutet?“
„KHK Messinger, der morgen kommen wird, sagt, er habe die Gruppe monatelang beobachtet.“
Wahran klappte den Ordner enttäuscht zu und sagte. „Im Grunde wissen Sie wenig, sind wir uns da einig?“
„Wir sind sicher, mit unserer Prämisse können wir gefährdete Automaten eingrenzen“, sagte die Chefin. „Die soziale Struktur der Täter ist uns noch verborgen.“
„Das LKA wird sich selbst weiterhelfen, und wir müssen eigene Interessen vertreten“, sagte Wahran schroff.
Früh, am Dienstagmorgen, meldete sich ein Zeuge.
„In den Nachrichten erfuhr ich von einer Automatensprengung in Göppingen.“
Bramerthal schaltete den Lautsprecher ein.
„Können Sie dazu etwas sagen?“
„Am Freitagabend fuhr ich zu der genannten Zeit durch die Nördliche Ringstraße. Vor der Sparkasse stand ein dunkelblauer Mercedes.“
„Ein blauer Mercedes?“, fragte Bramerthal mit unverhohlener Freude.
„Mit bulgarischem Kennzeichen“, ergänzte der Anrufer.
„Bulgarisches Kennzeichen?“, fragte Bramerthal ungläubig.
„Ich habe mit Osteuropa geschäftlich zu tun.“
„Haben Sie etwas besonders Auffälliges gesehen, oder haben Sie eine Explosion gehört?“, fragte Bramerthal.
„Außer dem Wagen ist mir nichts aufgefallen und der fiel mir nur wegen des Kennzeichens auf.“
Schnürle pinselte, wie ein träumender Picasso, mit dem rot umwickelten Zopfende über den Mund, das Kinn, den Hals. Bramerthal erkannte Nervosität, die wohl mit dem erwarteten LKA-Mann zu tun hatte. Zweifellos kannte sie den Kollegen so gut, dass sie ihre Erinnerung gerne gelöscht hätte. Bramerthal fürchtet, die Ermittlung könne unter einer schlecht geendeten Beziehung leiden.
Er fragte angestrengt entspannt: „Wie lange kennen Sie sich schon?“
Sie war zu verwirrt, um wütend zu reagieren. Mit einem entschlossenen Wisch schob sie die Akte zur Seite, ein einziges Blatt, das sie sechs Mal gewendet hatte. Das rote Zopfende fiel ihr aus der Hand und versteckte sich erschreckt zwischen ihren Brüsten.
„Wen meinen Sie?“
„Sie kämpfen mit einem Problem, aber ich bin sicher, es handelt sich um eine Winzigkeit.“
„Ich überlege, ob ich ihn duzen soll. Wir waren damals Kommissaranwärter und irgendwie...“
Hinter dem Damals erlauschte er einen Unterton, den das Irgendwie zu einer Bedrohung verstärkte.
„Holen Sie ihn vom Parkplatz ab. Auf dem Weg lassen sich Fragen der korrekten Anrede klären. Ein überlebter Streit hat keinen Einfluss auf die Arbeit.“
„Es geht nicht um mich, es geht um Traudl“, sagte sie hastig.
Nach dem kleinen Dialog lächelte sie entspannt, allerdings grübelte jetzt Bramerthal, was das Problem der Chefin mit Traudl zu tun hatte. Schnürles Telefon klingelte. Sie erhob sich, nahm ihre Jacke vom Bügel, eilte zur Tür.
Sie zog die Tür bereits zu, als sie sagte: „Messinger ist gekommen. Ich stelle ihn dem LD und dem Staatsanwalt vor.“
Eine Stunde später führte die Chefin den LKA-Mann Messinger ins Büro. Bramerthal erkannte mit einem Blick, wie gut alles geklärt war. Sie stellte ihre Mitarbeiter vor. Messinger hätte in ein Modemagazin gepasst. Die knöpfbaren Ärmelmanschetten waren die Arbeit eines Maßschneiders. Sein dunkelblaues Hemd zierte eine pinkfarbene Seidenkrawatte. Das Gesicht kuschelte in einem dunkelbraunen, getrimmten Bart, das Haupthaar war nach hinten gezogen. Die Augenfarbe passte zum Haar. Messingers Handschlag hatte eine Pferdestärke.
Sie setzten sich zu viert an den Besuchertisch. Schnürle schilderte die bisherige Ermittlung. Messinger blätterte nebenher in der Akte. Er wiegte schwergewichtig den Kopf. Nachdem Schnürle das Ende ihres Vortrags mit einem Schluck Kaffee anzeigte, begann er mit bedächtig gesuchten Worten. Selbst seine schweigende Stimme erlaubte keine Unterbrechung.
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