„Worum handelt es sich?“
Die Frauenstimme klang ebenfalls sympathisch.
„Es geht um Ihren Bruder“, sagte Messinger. „Wir wollen ihn möglichst nicht im Urlaub stören, aber unser Anliegen ist dringend. Wir können nicht auf Ferdinands Rückkehr warten.“
„Geht es am Telefon?“
„Wir haben auch daran gedacht, aber die Angelegenheit könnte fernmündlich zu kompliziert werden“, sagte er.
„Kennen Sie unsere Adresse?“
„Die Nachbarin Ihrer Mutter war so lieb, uns die Adresse zu geben.“
Sie beschrieb die Richtung, mit Wegmarken. Bramerthal notierte.
„Wir sind noch in Göppingen, fahren aber sofort los.“
„Beeilen Sie sich, ich koche Kaffee. Ich habe extra für Sie einen Kirschkuchen gebacken.“
„Kirschkuchen ist mein Favorit. Macht es Ihnen etwas aus, wenn mein Kollege mitkommt“, fragte Messinger.
Die Frau sagte lächelnd: „Ich kann Ihnen ein paar Stücke mitgeben.“
„Ich hoffe, im Kuchen sind keine Steine“, sagte Bramerthal.
„Die Wegbeschreibung klingt steinig, wie die Irrfahrt des Odysseus. Jetzt ärgere ich mich, dass ich kein Navi mitbestellt habe.“
„Wie zuverlässig ist so ein Ding, wenn das US-Militär die Ortungsqualität für private Nutzer reduziert und im Krisenfall sperren kann? Wenn ich so etwas lese, frage ich mich, wie weit sich Paranoia reduzieren lässt. Zweitens muss man, mit einem Navi, auf solche schönstimmigen Telefongespräche verzichten. Sie klangen übrigens wie ein guter Bekannter.“
Messinger sagte geschmeichelt: „Ich greife auf alte Regeln und Werte unserer Restkultur zurück. Wie du kommst gegangen, so wirst du empfangen.“
„Restkultur?“, frage Bramerthal. „Hört sich an, wie etwas zum Wiederverwerten. Zukünftig beziehen wir unsere Wärme aus Kulturverbrennungsanlagen?“
Ihr Mienenspiel verriet gegenseitige Sympathie. Ein hellblauer Mercedes bog in die Wangener Straße, sie warteten.
Messingers Augen verengten sich, er wurde ernst.
„Ich hoffe, es ist in Ihrem Sinn“, begann er.
Bramerthal nahm die Hand vom Zündschlüssel.
„Ich habe mit meinem LD und mit der Staatsanwältin gesprochen.“
Bramerthal hielt das Lenkrad mit beiden Händen fest.
„Sie sollten bis zum Abschluss des Automatenfalls fürs LKA arbeiten. Sie kennen sich aus, sind positiv. Was halten Sie von meiner Idee?“
Bramerthal drehte den Zündschlüssel, betrachtete die Anzeige und startete.
„Ich bin erst seit ein paar Wochen in der Direktion Göppingen. Mir fehlt Erfahrung.“
Messinger wartete, bis Bramerthal auf die Hauptstraße einbog.
„Wie gewinnen Sie Erfahrung?“, fragte Messinger.
Bramerthal schwieg.
„Man muss etwas erfahren und das geschieht nicht im Büro.“
Bramerthal beschleunigte, schwieg.
„Ich brauche Sie bei dem Fall. Mit Ihnen kann ich zusammenarbeiten, wir haben die gleiche Wellenlänge.“ Messinger bettelte: „Haben Sie Lust oder wollen Sie?“
Bramerthal schwieg.
„Entscheiden Sie sich, sonst frage ich Schroth.“ Messinger beobachtete seinen zögernden Wunschkollegen. „Das ist Ihre große Chance!“
„Schroth ist frisch verlobt, der wird sich auf so ein Abenteuer nicht einlassen.“ Bramerthal gab sich Mühe, entspannt zu wirken. „Wo sehen Sie die gleiche Wellenlänge? Sie erkennen ein gemeinsames Interesse genannt Traudl.“
„Misstrauen kann durchaus positiv sein“, sagte Messinger lachend.
„Nein, es war die Stimme, die Stimme dieser Frau Dahlheim. Ich sah die Frau deutlich vor mir. Sie schüttelte den Kopf, um mich zu warnen.“
„Die Stimme von Frau Dahlheim?“, fragte Messinger ungläubig. „Warnen wovor?“
„Aus Telefonstimmen konstruiere ich ein Bild der Person. Wenn ich das Original sehe, bin ich selten enttäuscht, meist von meinem Treffer positiv überrascht.“
Messinger nickte lobend.
„Wie stellen Sie sich diese Warnerin vor?“
Bramerthal ordnete seine Eindrücke und sagte: „Noch keine dreißig, schlank, mittelgroß, ein fröhlicher Typ, hilfsbereit. Sie hat Lachfalten um Mund und Augen. Der Mund ist groß, mit vollen Lippen. Die Augen sind hellblau, das Haar ist weizenblond, mittellang. Die Resonanz ihrer Stimme wird durch die beachtliche Oberweite erzeugt.“
Messinger lachte ungestüm.
„Traudls Beschreibung ist ihnen ziemlich gut gelungen.“
Bramerthal entrüstete sich zuerst, schwieg, bis er mit einem gewaltigen Seufzer sagte: „Sie haben mir die Kraft meines Widerspruchs geraubt, aber wir warten ab, bis wir das Original kennen.“
„Die Warnung kam offensichtlich nicht von Frau Dahlheim. Sie sollten Ihre Entscheidungen keinem Gespenst überlassen.“
Messinger nahm die Straßenkarte aus dem Handschuhfach. Bramerthal reichte ihm sein schwarzes Notizbuch.
„Ich lese vor, wenn wir so weit sind.“
„Weshalb erledigen wir die Befragung nicht telefonisch?“, wollte Bramerthal wissen.
Messinger suchte das Gesicht des Kollegen im Außenspiegel - vergeblich.
„Wir können keine Ja-Nein-Fragen stellen. Mir fällt auch keine Antwort ein, die direkt weiterhelfen könnte. Selbst wenn wir die Garage öffnen, erhalten wir keine Antwort. Herr Bramerthal, das ist eine Gelegenheit Ihr Gehör zu schärfen, dass Sie nicht in jeder Frauenstimme Traudl erkennen. Sie können das Gespür für Körpersprache verfeinern. Wir müssen wissen, ob wir befragten Personen vertrauen können.“
Er bemerkte Bramerthals nachdenkliche Miene und fragte das Seitenfenster: „Lieben Sie Traudl?“
„Herr Messinger, das ist eine Ja-Nein-Frage, die Sie mir am Telefon stellen können.“
„Gut pariert!“, lobte Messinger.
„Hat Herr Schiefer etwas mit den Automaten zu tun?“
„Das schließe ich vorläufig aus. Trotzdem bleibt interessant, weshalb das Signal aus seiner Garage kommt.“
Der frühe Feierabendverkehr hatte sie, wie zäher Honig, in seinen Fluss aufgenommen.
„Wenn ich vom Fitnessstudio komme, fühle ich mich wie erneuert“, kam Messinger auf das alte Thema zurück. „Bei Einsätzen im Niemandsland nehme ich zwei Hanteln ins Gepäck.“
Bramerthal wurde bewusst, wie unbequem einfaches Leben ist, sofern Hanteln zum Überleben gebraucht werden.
„Sonntags ist Gemeinschaftssauna, sagten Sie. Haben Sie Lust mit hinzugehen?“
„ Never on Sundays “, sagte Bramerthal.
Der Nachmittag war hell, die Sicht klar. Der Wagen schnurrte einen Anstieg hoch, der seinen betagten Diesel herausgefordert hätte. Messinger las die Wegpunkte vor. Trotz exakter Hinweise blieb es schwierig, die Mozartstraße zu finden. Geislingen passte sich den Verwinkelungen von Tälern an, die willkürlich in die Landschaft gegraben waren, Seitentäler, Hügel, Wasserläufe. Auf der Fahrt durch Geislingen sahen sie nur eine Handvoll Fußgänger. Ohne exakte Beschreibung hätte ihr Weg in Verzweiflung geendet.
„Wohnen Sie in Stuttgart?“, fragte Bramerthal.
„Seit der Scheidung wohne ich auf dem Hallschlag. Wenn Sie den Grund erfahren, weshalb sich meine Frau scheiden ließ, werden Sie sich totlachen“
Bramerthal warf einen prüfenden Blick, ob Messinger darüber sprechen wollte, und nickte aufmunternd.
„Angeblich sprach ich im Traum über Traudl. Sie hatte Traudl nie gesehen, ich hatte in wachem Zustand nie ihren Namen genannt. Sie durchstöberte alte Fotos, zeigte auf Traudls Gesicht und fragte, ist das diese Frau, von der du mir in deinen Träumen vorstöhnst. Dadurch entstand eine Kerbe, die täglich tiefer wurde.“
„Bedauern Sie Ihre Träume?“
„Das war der Süßstoff meiner Nächte“, sagte er.
„Woher wissen Sie, dass ich aus Esslingen komme?“, fragte Bramerthal scharf.
Messinger betrachtete ihn nervös. „Wie kommen sie drauf? Zugegeben, ich habe mich ein wenig vorbereitet. Aber wie kommen Sie drauf?“
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