„Fiel Ihnen noch etwas auf? Erkannten sie die Gesichter? Können sie die Kleidung beschreiben?“
„Die hatten gar keine Gesichter“, sagte er. Er schüttelte den Kopf, als zweifle er an seiner Beobachtung. „Es ging sehr schnell!“ Der Mann überlegte weiter. „Entweder war der eine Mann sehr klein, oder der andere sehr groß. Der Größere nahm den Rucksack.“
Sie schauten zum Fenster hoch. Der Rollladen wurde bis zur Hälfte hochgezogen. Die Lamellen verhakten sich krachend. Eine ältere Frau beugte sich aus dem Fenster, wirres Haar, blasses Gesicht.
„Was ist los?“, fragte sie.
„Meine Frau ist wach geworden.“ Der Mann winkte. „Ich komme gleich. Der Geldautomat wurde ausgeraubt. Keine Angst, es war nicht unser Geld.“
Der Zeuge im Bademantel rieb sein Kinn und sagte nachdenklich: „Vor der Explosion fuhr ein Wagen mit dunklem Motorbrummen weg.“
Ein jüngerer Mann mit blauer Arbeitskleidung, auf der anderen Seite des Absperrbands, sagte: „Ich kam vom Schichtwechsel nach Hause. Nach der Detonation eilte ich aus der Garage und sah zwei Personen um die Ecke verschwinden.“
„Bemerkten Sie ein Fluchtfahrzeug?“
Er zeigte eine Richtung, mitten durch Häuser.
„Ein Benziner, vermutlich ein Sechszylinder.“
Die Feuerwehr hatte die Hausecke mit einer stählernen Stütze stabilisiert. Frau Tschech kam zwischen zwei Rettungssanitätern und wurde mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren. Der ältere Kollege arbeitete im Automatenraum, der jüngere wickelte das Vorderteil des Automaten in eine Plastikfolie.
„Ich bin hier fertig“, rief der Ältere.
Bramerthal betrachtete die Stahlstütze, bevor er den Raum betrat.
„Können Sie etwas Hilfreiches sagen?“
Der Kollege zeigte ein Stück elektrische Leitung in der Beweismitteltüte. Isolierband hielt die blanken Enden auf Distanz, am anderen Leitungsende war geschmolzenes Lot.
„Der Automat wurde mit Gas gesprengt.“
Der Kombi der SpuSi fuhr rückwärts an den Perlenteppich. Zu zweit wuchteten sie das größere Teil in den Wagen. Bramerthal reichte Schnürle die Beweismitteltüte. Mit Orkanstärke sog sie verbrannte Restluft durch ihre Nase. Bramerthal studierte die Rückwand des Automaten, die krumm, nach hinten geneigt, in der Wand hing. Er rüttelte, bis das Gehäuse aus der Wand kippte. Der blecherne Aufschlag war ein Lockruf für die Kollegen. Durch das Loch hätte er mühelos in den Kassenraum steigen können. Zur Demonstration setzte Bramerthal ein Knie auf die Öffnung. Die SpuSi wickelte auch dieses Teil in Noppenfolie und verstaute es. Die Heckklappe schlug zu.
Der junge Kollege bot an, den Ermittlern den Fluchtweg zu zeigen. Schnürle und Bramerthal folgten am Gebäude vorbei über einen gewässerten Rasen. Ein kompletter Schuhabdruck neben dem Rasenansatz war Beweismittel Nummer 10.
„Schuhgröße 36 - könnte von einem Kinder- oder Frauenschuh stammen.“
Eine niedere Buchsbaumhecke markierte die Grundstücksgrenze, direkt davor die Nummer 11, eine Glasperle. Auf der anderen Seite der Hecke steckte die Nummer 12, ein profilierter Schuhabdruck von beeindruckter Größe.
„Wir gehen von der Schuhgröße 49 aus, was einem Mann von mindestens zwei Metern entspricht.“
Der Kollege beobachtete, wie Bramerthal seinen rechten Schuh über dem Abdruck schweben ließ.
„Sonderanfertigung“, sagte er respektvoll.
Drüben, am Straßenrand funkelte eine Glasperle mit der Nummer 13. Sie gingen hinüber. Schroth trat aus dem Zweifamilienhaus und sagte, was er erfahren hatte.
„Nach der Explosion schaute Herr …“, er las den Namen aus seinem Notizbuch. „Schaute Herr Grumbowski auf die Straße, seine Frau war im Bad beschäftigt. Von links glitt ein Mercedes vors Haus und blieb stehen. Zwei dunkel gekleidete Personen eilten zum Wagen, stiegen ein, der Wagen fuhr sofort davon.“
„Farbe des Wagens?“, fragte die Chefin.
Schroth sagte enttäuscht: „Dunkel, könnte blau gewesen sein.“
Bramerthal schaute hoch. Zwei Fenster standen offen.
„Ein sehr großer Mann und eine kleinere Person, vermutlich eine Frau.“
„Kennzeichen?“, fragte Schnürle.
„Ein ausländisches Kennzeichen. Beide Personen trugen schwarze Skimasken. Das Gesicht des Fahrers blieb im Dunkel.“
Auf dem Rückweg sammelte der Kollege die Nummernschilder ein.
Der Filialleiter, dunkler Anzug, dunkles gescheiteltes Haar, wartete vor dem Tatortband, das den Eingang zum Automatenraum absperrte. Er starrte entsetzt. Das Loch zum Kassenraum wurde von der Feuerwehr mit einer Blechtafel verschlossen. Die SpuSi verabschiedete sich. Der Glasteppich war zu einem glitzernden Haufen zusammengekehrt. Schnürle riss das Tatortband ab. Sie zeigte dem gescheitelten Mann ihren Ausweis. „Geben Sie uns die Überwachungsvideos.“
Er verschwand in der Filiale, kam nach kurzer Zeit mit zwei Datenträgern.
„Rufen Sie uns an, wenn Ihnen oder ihrem Personal etwas zu dieser Tat einfällt. Wir müssen auch wissen, wie viel Geld fehlt.“
Es war kurz vor vier Uhr.
„Gehen wir eine Runde schlafen?“, fragte die Chefin.
Sie erhielt keine Antwort.
Draußen war Nacht, das Büro unfreundlich kühl. Ihre Jacken hingen auf Bügeln. Bramerthals Pistole steckte im Schulterhalfter. Rot kariertes Kurzarmhemd, er strich sich über die Arme, um die gelben Härchen zu glätten.
Die Chefin erklärte: „Der Leitende Direktor rief mich nach dem Alarm an und gab mir die Anweisung, Sie bei diesem Fall möglichst selbstständig arbeiten zu lassen.“
Schroth und Bramerthal wuchsen unter der Last von Verantwortung.
„Ich fürchte, der LD täuscht sich, hinsichtlich der Einfachheit des Falls“, schränkte die Chefin ein und sprach weiter, mit süffisantem Lächeln. „Der LD vermutet anscheinend, wir können die Täter aus dem Ärmel schütteln.“
KHK Elisabeth Schnürle hatte die Absolventen Johannes Bramerthal und Axel Schroth nach Göppingen geholt. Bramerthal erinnerte sich in diesem Augenblick an das Lampenfieber, das er beim ersten Eintritt ins Büro gespürt hatte. Mit einem Scherz wollte er sich locker machen.
„Das ist keine Normtür“, hatte er sich empört.
Die Chefin hatte trocken erwiderte: „Herr Bramerthal, sie sollten keine Pumps tragen.“
Seine flache Hand passte noch zwischen Türrahmen und Haar.
„Der LD ging vom einmaligen Fall eines Einzeltäters aus, aber wir haben die Handschrift einer Tätergruppe erkannt, die mindestens aus drei Personen besteht, sodass wir eine Spontantat ausschließen können.“
„Heißt Tätergruppe gleich Organisiertes Verbrechen?“, fragte Schroth gereizt. Er wartete auf keine Antwort, sondern fuhr fort: „Weshalb sollen wir den Fall behalten, wenn uns das LKA in einer Woche die Lorbeeren stielt?“
Schnürle zupfte an ihrem Blusenkragen. Sie wollte Schroths Abneigung gegen das LKA abschwächen und fragte: „Weshalb fürchten sie sich vor dieser Truppe?“
„Der Gedanke, wir nähern uns dem Ziel bis ein paar Klugscheißer kommen die nur Schaden anrichten, widert mich an“, sagte Schroth.
„Herr Schroth, wie sich so ein Fall entwickelt, können wir selten voraussehen. Sollte die Tätergruppe über den Bereich unseres zuständigen Präsidiums hinaus aktiv werden, käme das LKA automatisch ins Spiel und sollte die Gruppe im Bundesgebiet aktiv werden, müsste das BKA koordinieren. Letztlich verwendet die Polizei weltweit die gleiche Methodik, die sich nur durch Gründlichkeit unterscheidet. Wer persönlichen Erfolg sucht, arbeitet mit dem falschen Ansatz.“
Schroth knurrte mürrische Laute.
„Wir gehen an jede Tat mit der Überzeugung, dass wir sie aufklären werden. Der Blick nach hinten verbraucht kostbare Energie. Bisher spekulieren wir nur.“
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