„Nur zu gerne. Sie können übrigens diesen Auftrag als ein Privileg betrachten, weil es gar nicht so unwahrscheinlich ist, dass Sie durch ihn eine Chance auf die große Belohnung erhalten. Bei der routinemäßigen Prüfung Ihrer Akte wurde festgestellt, dass Sie seit geraumer Zeit mit Tim Diamond, dem bekannten Privatdetektiv aus New York, befreundet sind.“
„Freundschaft ist zuviel gesagt!“, stellte Mo sofort klar. Der Name „Tim Diamond“ rasselte wie ein Paukenschlag in seinen Ohren und rief ihm sofort das Bild des Mannes vor Augen, mit dem ihn seit vielen Jahren eine ungewöhnliche Bekanntschaft verband. Sie pendelte ständig zwischen ironischer Sympathie und offener Ablehnung hin und her, was vor allem damit zu erklären war, dass sein eigenes Wesen und das des lauten, groben, von seinem prallen Ego strotzenden Diamond kaum gegensätzlicher sein konnte.
„Zumindest kennen Sie ihn sehr gut und haben des Öfteren mit ihm zusammengearbeitet. Da auch er zu den zivilen Ermittlungskräften zählt, die derzeit zur Kooperation mit den staatlichen Diensten aufgerufen werden, wurde seine Detektei Diamond Investigations mit der Untersuchung der Internetmanipulationen beauftragt. Weil er über ein besonderes Renommee verfügt, wurde ihm dabei weitestgehend freie Hand gelassen. Interessanterweise mehren sich für uns die Hinweise darauf, dass er sich bereits vor diesem Kooperationsaufruf stark für die Internetmanipulationen interessierte. Vielleicht war einfach die hohe Belohnung der Grund, aber vielleicht verfügte er auch schon früh über besondere Spuren und Informationen, über die wir bis jetzt keine Kenntnis haben.
Wie dem auch sei, die Sache ist die: Diamond ist seit einiger Zeit verschwunden und seine Sekretärin Betty Cadena kann oder will uns nicht sagen, wo er ist. Hinter seinem Verschwinden könnte sich vielleicht eine wichtige Spur verbergen. Wir überlassen es Ihnen, Miss Cadena näher zu befragen, da sie Sie kennt und Vertrauen zu Ihnen hat. Allerdings wird Jayden Sie begleiten und Ihnen ständig über die Schulter sehen!“
Das Bild von Tim Diamond, das Mo eben noch vor Augen gehabt hatte, verwandelte sich in das von Betty Cadena; sie war nicht nur Diamonds Sekretärin, sondern auch seine Freundin, und weil sie außerordentlich hübsch war, hatten manche dem ungleichen Paar den Spitznamen „Die Schöne und das Biest“ verpasst. Seine Gedanken drifteten für einen Moment in Erinnerungen ab und wurden erst wieder in die Gegenwart gerufen, als Baker fortfuhr:
„Falls die Sache mit Diamond im Sande verlaufen sollte, werde ich Sie mit einem neuen Auftrag versorgen. In zwei Wochen wird es eine Versammlung aller zivilen Ermittler in einem großen Hotel in Washington geben, bei dem die allgemeine Erkenntnislage in verschiedenen Arbeitsgruppen besprochen wird. Wenn Sie uns bis dahin irgendwelche Neuigkeiten mitzuteilen haben, wäre das nicht schlecht!“
„Ich werde mich bemühen, Sir! Wann soll die Arbeit beginnen?“, zeigte Mo sich ohne großes Gerede einsatzbereit und demonstrierte durch seine entschiedene Stimme Tatkraft und Entschlossenheit.
„Am besten sofort. Nehmen Sie umgehend Kontakt mit Miss Cadena auf. Die Details können Sie mit Jayden besprechen.“
Der abschließende Klang in Bakers Worten ließ erkennen, dass er bald aufbrechen wollte, weshalb Mo sich beeilte vorzuschlagen:
„Ihr Kollege kann von mir aus gleich hier bleiben, damit wir alles Weitere besprechen können. So wie ich es verstanden habe, haben wir keine Zeit zu verlieren, also machen wir uns sofort an die neue Aufgabe!“
Als wollte er diesen spontanen Vorschlag mit einer passenden Geste besiegeln, nahm er die Pistole zur Hand, die immer noch vor ihm auf dem Couchtisch lag, und ließ sie am Abzug einmal um seinen rechten Zeigefinger kreisen. Allerdings hatte er dabei völlig vergessen, dass Jayden sie geladen hatte. Als sich plötzlich ein Schuss löste und mit einem ohrenbetäubenden Knall in die Decke einschlug, rissen alle die Augen weit auf und waren vor Schreck stumm. Der Putz, der von der Decke rieselte, landete genau auf Dr. Watson, weshalb er mit einem großen Satz vom Sofa sprang und sein Herrchen vorwurfsvoll ankläffte. Währenddessen öffnete sich die Tür und Ruth schaute entsetzt herein. Sie erfasste die Situation mit einem Blick und ließ bloß ihr typisches, scheinbar immerwährendes Kopfschütteln sehen, das Dr. Morris – alias „Inspector Mo“ - während der letzten Jahre schon durch viele kleinere und größere Missgeschicke begleitet hatte…
Als er seinen Wagen vor dem Tiefgaragentor eines großen Apartmenthauses in Lower Manhattan zum Stehen brachte, wies noch nichts darauf hin, welches Abenteuer ihm bald bevorstehen würde. Er gab den Code für die Tiefgarage ein, den ihm Jayden Miller per Email mitgeteilt hatte, und war nach dem Hochfahren des elektrischen Tores bloß froh, dass er endlich in das kühle Dunkel der unterirdischen Garage einfahren konnte. Die Hitze in dem alten VW war die Hölle für seinen geliebten Hund Dr. Watson, den er nur deshalb mitgenommen hatte, weil sich Mrs. Higgins am Wochenende nicht um ihn kümmern konnte. Als schließlich sein neuer Partner aus einem sich öffnenden Aufzug in die Garage trat, wurde er durch Dr. Watson so lebhaft begrüßt, dass fast seine elegante Hose zerrissen worden wäre. Im Unterschied zu Mos simpler Kleidung, die bloß aus einem T-Shirt und einer Jeans bestand, steckte der FBI-Agent in Hemd und Jackett und wirkte zusammen mit seinem modisch frisierten, lockigen Haar und seinen teuren Lederschuhen, als stünde kein wichtiger Bürotermin, sondern der Besuch in einem feinen Restaurant auf dem Programm. Die melodische Folge lauter Pieptöne, die bei der Betätigung der Fernbedienung für die Zentralverriegelung seines Wagens erklang, verriet, dass er der Besitzer eines bordeauxroten, neu aussehenden Chevrolet Camaros war, der in der hintersten Ecke der Garage parkte und mit vier angeberischen, verchromten Auspuffrohren ausgestattet war. Der teure Wagen und die Lage des Apartments mitten in Manhattan legten die Vermutung nah, dass er der Spross reicher Eltern war.
Nachdem Mo es endlich geschafft hatte, Dr. Watson dazu zu bewegen, auf die Rückbank zu springen, startete der großvolumige V8-Motor mit ohrenbetäubendem Blubbern und Dröhnen und trieb den Camaro mit quietschenden Reifen aus der Garage hinaus.
„Park Slope?“, fragte Jayden erstaunt, als Mo ihre Zieladresse in das Navigationsgerät eingab. „Ich dachte, Tim Diamond wäre groß im Geschäft und hätte irgendwo ein schickes Büro in der City.“
„Er war groß im Geschäft, das schicke Büro musste einer etwas bescheideneren Adresse in Brooklyn weichen. Als ich vor drei Jahren das letzte Mal in seinem Büro war, befand es sich noch in der Upper East Side und er hatte eine ganze Reihe Angestellte für die Kleinarbeit.“
„Erzähl mir ein bisschen mehr über ihn, was ist er für ein Kerl?“
„Wie ich schon sagte: Diamond ist ein Typ für sich…“
Mo entwich ein seltsames, fast etwas irres Lachen, wonach er gleich wieder seine Fassung zurück gewann. „Ich würde fast nicht zögern, ihn als ein Arschloch zu bezeichnen, aber das würde vielleicht etwas zu weit führen. Zumindest wäre es nicht übertrieben, ihn einen Egomanen zu nennen, dem man allerdings zugestehen muss, dass er trotz seiner penetranten Ichbezogenheit und Selbstverliebtheit große Fähigkeiten hat. Bei einem so außergewöhnlichen und extremen Charakter wie ihm ist es wichtig, zwischen der Persönlichkeit und den Fähigkeiten klar zu unterscheiden. Was paradoxerweise für ihn spricht, sind seine Verrücktheiten, in denen sich immerhin noch eine gewisse Originalität und Selbstironie erkennen lässt.
Zeitweilig hat er mal gesoffen, aber er hat auch immer wieder aufgehört. Wie es sich für einen echten Privatdetektiv gehört, war er natürlich auch ein Weiberheld, aber seit er mit der schönen Betty Cadena zusammen ist, ist das anscheinend Vergangenheit. Sie ist locker 25 Jahre jünger als er und wie man hört, hat sie ihn völlig umgekrempelt.
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