Benedict Dana
Mo Morris und der Supervirus
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Inhaltsverzeichnis
Titel Benedict Dana Mo Morris und der Supervirus Dieses ebook wurde erstellt bei
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Epilog
Impressum neobooks
Als die alte Mrs. Higgins ihr gutmütiges Gesicht durch die Tür des Arbeitszimmers steckte und sich verabschiedete, sah Dr. Morton Morris mit einem dankbaren Lächeln von seinem Schreibtisch auf und gab ihr die üblichen freundlichen Worte mit auf den Weg. Er war froh, dass sie endlich ging, obwohl er die treue Seele, die ihm schon vor vielen Jahren von der Universität vermittelt worden war, mittlerweile in sein Herz geschlossen hatte. Eine Frau, die die Marotten eines nicht gerade einfachen, leicht neurotischen Junggesellen so geduldig ertrug und dabei meistens liebenswürdig geblieben war, hatte sich allen Respekt der Welt verdient und musste grundsätzlich gut behandelt werden.
Er stand auf, schob die vergilbte Gardine vor einer der beiden länglichen Sprossenfenster zur Seite und beobachtete, wie sie auf die Veranda des alten, im viktorianischen Stil erbauten Hauses trat und die Treppe zur Straße hinunterging. Das, was ihm an Mrs. Higgins am meisten missfiel, waren ihre ständigen Ermahnungen, das Haus besser in Schuss zu halten. Er interpretierte ihren Ordnungssinn als den übertriebenen Sauberkeitsfimmel einer typischen Haushälterin und legte grundsätzlich andere Maßstäbe an. Der verwilderte Vorgarten und die von den Fenstern abblätternde Farbe zeugten von einem in praktischen Dingen eher nachlässigen Geist, der sich von Berufs wegen eben mit ganz anderen Fragen zu beschäftigen hatte. Und doch steckte hinter dieser scheinbaren Nachlässigkeit auch ein bewusst gewählter Stil, der dem schmalen, zweistöckigen Häuschen mit seinem roten Backstein und den weiß eingefassten, vorspringenden Fenstern einen außergewöhnlichen Charme und eine besondere Patina verlieh.
Nachdem die gute Higgins endgültig verschwunden war, öffnete er die Schublade seines antiken Schreibtisches und zog eine Zigarilloschachtel und ein Fläschchen Whisky hervor. Die resolute Haushälterin hatte ihm das Rauchen im Haus verboten, aber da die Semesterferien anbrachen, wollte er sich die Freiheit nehmen, den Arbeitsalltag einem sehr viel angenehmeren Lebensrhythmus zu unterziehen. Er steckte sich eines der Zigarillos an, paffte ein paar Mal genüsslich und ließ sich mit wohligem Seufzen in einen der beiden Sessel fallen. Sein junger Cockerspaniel „Dr. Watson“, der schläfrig auf dem anderen Sessel lag, schaute wegen des penetranten Tabakgeruchs mit entsetzten Augen auf und ließ ein klägliches Jaulen unter seinen langen Schlappohren hören.
Der Inhalt der vielen Bücherregale, die sich über ihm wölbten und auf denen sich die verschiedensten Bücher und Schriften chaotisch häuften, spiegelte die unterschiedlichsten Interessen wider und entsprach der interdisziplinären Arbeitsweise, die für einen Kriminologen typisch war. Die Bücher reizten ihn jedoch im Moment nicht allzu sehr und er gab sich lieber entspannt seinen Gedanken hin.
Ihm war entgangen, dass Mrs. Higgins noch einmal zurückgekehrt war, und als sie plötzlich an die Tür klopfte und das Zimmer betrat, verschluckte er sich vor lauter Schreck an dem Rauch und brach in ein fürchterliches Husten aus. Sie rümpfte die Nase, blickte ihn vorwurfsvoll an und rief:
„Ich bin noch einmal zurückgekommen, um Sie daran zu erinnern, dass Sie heute Vorlesung haben. Haben Sie das etwa wieder einmal vergessen? Fangen am helllichten Tag an zu rauchen und zu trinken und sitzen immer noch hier im Morgenmantel herum!“
„Wie? Heute? Ich dachte, die letzte Vorlesung wäre morgen!“
Er sprang mit einem Satz auf und rannte mit einer manischen Eile die schmale Holztreppe hinauf, um oben im Schlafzimmer seinen Kleiderschrank aufzureißen und sich anzuziehen. Bald darauf stürmte er mit offenem Jackett und Aktentasche die Treppe hinunter und rannte kopflos auf die Straße hinaus. Er durfte die letzte Vorlesung des Frühlingssemesters unter keinen Umständen verpassen, da er seinen Studenten ihre schriftlichen Hausarbeiten auszuhändigen hatte und sie sehnsüchtig auf die für sie so wichtigen „Credits“ warteten.
Vor dem Haus hielt er für einen Moment inne und schaute die von Bäumen und parkenden Autos gesäumte Straße hinauf. Nach den vielen Jahren, die er in New York gelebt hatte, genoss er es jeden Tag erneut, wie ruhig das kleine Städtchen Rutherford war, obwohl es nur rund 10 Meilen von Manhattan entfernt auf der Seite von New Jersey lag. Er entschied sich den Wagen zu nehmen, der die meiste Zeit in einer baufälligen Garage am Ende der bekiesten Einfahrt stehen blieb, da der Campus der kleinen Universität nicht weit entfernt war. Der uralte, verrostete VW Käfer war schon oft genug zum Gespött seiner Kollegen und Studenten geworden, aber als überzeugter Individualist nahm er diesen Spott gerne in Kauf.
Während der kurzen Fahrt wurde er nur noch von dem Gedanken beherrscht, auf dem Weg zu seinem Seminarraum bloß nicht Professor Brubaker, dem Leiter des Fachbereiches Kriminologie, in die Arme zu laufen, der sein unkonventionelles, etwas flatterhaftes Verhalten schon immer mit kritischen Augen gesehen hatte. Er begegnete dem gefürchteten Professor beim Erreichen seines Zieles glücklicherweise nicht und schaffte es, ungestört in das altehrwürdige, historische Hauptgebäude der Universität zu eilen. An dem Durchgang zu einem der modernen Nebengebäude kam ihm Dr. Mary Kelly entgegen, die hübsche Psychologie-Dozentin, die er gleichzeitig fürchtete und begehrte wie keine Andere. Er war ihr mit den Jahren ziemlich nahe gekommen, doch die Angst, sie könnte vielleicht eines Tages eine ernsthafte Bedrohung für sein eigenwilliges Junggesellendasein werden, hatte ihn vorsichtig gemacht. Ihre Gegenwart führte bei ihm meist zu irgendeiner Form von Kontrollverlust, weswegen es nicht verwunderlich war, dass er beim Öffnen der Durchgangstür unter der Last seiner prall gefüllten Aktentasche für einen Moment das Gleichgewicht verlor. Sie hielt ihn instinktiv am Unterarm fest und rief:
„Mo! Was ist nur los mit dir, schau dich nur an! Hast du mal wieder völlig den Kopf verloren?“
Sie musterte ihn von oben bis unten und brach in ein herzliches Lachen aus. Sie verwendete stets seinen Spitznamen, der sich aus der ersten Silbe seines Vor- wie Nachnamens ergab und auch mit seiner äußeren Erscheinung zusammenhing: Seine sehnige, nicht gerade große Gestalt, sein dichtes schwarzes Haar und sein – wenn man von einigen Marotten einmal absah – grundsätzlich sehr beherrschtes und zum Philosophieren neigendes Wesen schien etwas Weises und Chinesisches auszudrücken, das sich gut in dem kurzen, aber eigentlich bedeutungslosen Laut „Mo“ fassen ließ.
Mary schlug ihre langen, braunen, lockigen Haare hinter ihre Schultern zurück und machte mit einem nachsichtigen Grinsen ein Zeichen zu seinen Füßen hin. Mo sah an sich herab und bemerkte zum ersten Mal, dass er in der Eile einen schwarzen und einen weißen Socken angezogen hatte. Während er sich noch darüber schämte und wunderte, spürte er plötzlich ihre grazilen Finger an seinem Hals, als sie mit großer Einfühlsamkeit versuchten seinen verknickten Hemdskragen glatt zu ziehen und einen aufgesprungenen Knopf zu verschließen. Die kurze Berührung löste einen warmen Schauer in ihm aus, und am liebsten hätte er ihr jetzt einfach einen dicken Kuss in ihr hübsches, intelligentes Gesicht gedrückt.
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