„Reicht das?“, knurrte er säuerlich.
„Vielleicht, warte hier!“
Sie stieg aus und sah zu ihren Hunden.
„Ihr wartet auch.“
Dann drehte sie sich um und ging auf einen kleinen Supermarkt zu.
Zwanzig Minuten später kletterte sie mit einer Tüte in der Hand wieder auf den Beifahrersitz und klatschte das Restgeld auf die Armatur.
„Okay. Wann gehts los?“
„Reece holt dich um achtzehn Uhr ab“, brummte Liam und fuhr los. Sein Blick ruhte kurz auf der Tüte, aber er konnte weder sehen noch riechen, was Raven eingekauft hatte. Er nahm es hin. In wenigen Stunden würde er es sowieso erfahren.
*
Am Abend stand Raven in ihrem neuen grünen Kleid zwischen den Männern und versuchte, die anzüglichen Bemerkungen zu ignorieren. Alle hatten sie fassungslos angesehen, als sie sie zu Gesicht bekamen.
Zum ersten Mal sahen sie Raven geschminkt. Und zwar intensiv. Außerdem waren ihre schwarzen Haare streng nach oben zu einem Dutt gesteckt.
Noch ungewohnter waren die hochhackigen Schuhe.
Doch die Männer fingen sich schnell und bekundeten sofort auf die ihnen übliche direkte Art Interesse. Nachdem Raven zum hundertsten Mal Hände weggestoßen hatte, die sich unter ihren Rock schieben wollten, fauchte sie Liam wütend an.
„Sag ihnen, dass sie das lassen sollen, oder ihr seht mich nie wieder!“
Er grinste nur und nickte den Männern zu.
„Ihr habt’s gehört. Reißt euch zusammen. Also gut. Wir gehen folgendermaßen vor.“
In kurzen Zügen erläuterte er seinen Plan. Raven, die immer noch nicht so richtig wusste, um was es überhaupt ging, trat ungeduldig von einem Fuß auf den andern.
Sie befanden sich in der Innenstadt von Jackson Mississippi hinter einem großen Gebäude. Die Männer waren ganz in Schwarz gekleidet.
Immerhin sah sie keine Waffen, was aber nicht viel heißen musste. Inzwischen wusste sie, dass diese Kerle Meister darin waren, selbst große Gerätschaften am Körper unterzubringen, ohne dass man sie wahrnehmen konnte.
Liam sah sie an.
„Du gehst in die Lobby und lenkst die Aufmerksamkeit auf dich.“
„Jaja, das weiß ich ja schon. Und wann soll ich loslegen?“
„Punkt einundzwanzig Uhr dreiundzwanzig.“
Raven blinzelte ihn irritiert an.
„Soll das jetzt ein Witz sein?“
„Nein, ist es nicht. Uhrenvergleich!“
Er scherzte tatsächlich nicht, das las sie in seinem Gesicht.
Raven verdrehte die Augen, stellte ihre Armbanduhr aber nach Liams Vorgaben und kam sich dabei vor, wie in einem schlechten Spionagefilm.
Dann griff sie nach der Tüte und pfiff Jazz an ihre Seite. Mit nur einem Hund fühlte sie sich zwar irgendwie unvollständig, doch sie hatte den ganzen Tag über ihre Strategie nachgedacht. Drei große Hunde in ein Bordell zu schleppen war sicherlich nicht klug. Einer war schon auffällig genug. Und Jazz war von ihren drei Freunden der am wenigsten Furcht einflößende.
Also hatte sie schweren Herzens Hades und Azok zu Hause gelassen.
Kaum war sie um die Ecke gebogen, da zog sie aus der Tüte eine Flasche und öffnete sie. Nach einer kurzen Geruchsprobe verzog sie das Gesicht. Dann kippte sie sich einen kleinen Schwapp in den Ausschnitt und verrieb ihn. Anschließend nahm sie einen Schluck in den Mund, spülte ihn hin und her und spuckte ihn auf den Bürgersteig.
Während sie in Richtung des Puffs ging, veränderte sich ihr Gang. Aus dem unsicheren Gestöckel wurde ein schwankendes. Als sie an einem Obdachlosen vorbeikam, drückte sie ihm die Flasche in die Hand und schwankte weiter. Zwischendurch blickte sie auf die Uhr und wurde etwas flotter. Dann erreichte sie ihr Ziel und holte tief Luft. Ein verstohlener Blick auf die Uhr, und los!
Sie öffnete die Tür und betrat eine große Eingangshalle. Alles wirkte nobel, weiträumig und teuer. Ihr Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an und sie steuerte auf den breiten Tresen zu, der mitten in der Vorhalle stand.
Der Raum war in ein diffuses rotes Licht getaucht, mit schweren Teppichen ausgelegt und irritierend vielen erotischen Bildern ausgestattet.
Hinter dem Tresen stand eine schlanke, überaus hübsche Frau, die ihr mit großen Augen entgegensah.
Es dauerte eine geschlagene Minute, bis Raven sich zu ihr hin geschwankt hatte. Die Stöckelschuhe auf den Teppichen trugen ihren Teil dazu bei. Dann beugte sie sich vor, so dass die junge Frau ihren Atem zu spüren bekam und lallte:
„Ich will zu meinem Mann. Und zwar jetzt. Sofort! Unverzüglich!“
Die Frau schluckte.
„Äh, es tut mir leid, aber ich fürchte, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.“
„Red‘ keinen Blödsinn! Charles ist hier. Das weiß ich genau.“
Raven richtete sich auf und hob den Kopf:
„Charles! Komm sofort zu mir. Ich weiß genau, dass du hier bist“, brüllte sie in ihrer größtmöglichen Lautstärke. Die junge Frau schob nervös ihre Hand unter den Tresen.
Raven sah sie mit einem leicht dämlichen Grinsen an.
„Ich weiß, wie ich ihn finde. Jazz, such! Such Charles.“
Ein kaum sichtbarer Fingerwink reichte, um Jazz in den Korridor zu schicken, der sich rechts von ihnen auftat.
„Er hat eine Spur“, schrie sie beglückt und torkelte hinterher. „Charles! Es hat keinen Zweck sich zu verstecken. Ich werde dich finden!“
Sie kam gerade mal bis zur Treppe, als ein hochgewachsener Mann sie einholte und sich ihr in den Weg stellte.
„Madam“, lächelte er sie an, was allerdings ziemlich gezwungen wirkte. „Sie können hier nicht einfach durch das Haus laufen. Das ist Privatbesitz.“
„Scheiß drauf“, lallte sie. „Ich will meinen Charles zurück. Ich weiß genau, dass er sich hier mit einer Nutte vergnügen will. Dabei ist heute unser fünfter Hochzeitstag! Wissen Sie, was das heißt? Fünf Jahre opfere ich mich für ihn auf und dann rennt er ausgerechnet heute in einen Puff! Aus dem Weg. Jazz wird ihn finden.“
Sie torkelte auf ihn zu und als er nach ihr griff, stolperte sie unter ihm hindurch.
„Diese verdammten Schuhe“, schimpfte sie und richtete sich wieder auf, um zielstrebig und flott die Stufen hinauf zu torkeln. Der Mann folgte ihr fluchend, doch jedes Mal, wenn er nach ihr griff, stolperte oder schwankte sie zur Seite.
„Jazz, such diesen verdammten Kerl. Such Charles. Du Guter. Ja, such ihn!“
Ein weiterer Mann tauchte vor ihr auf. Groß und eindeutig Rausschmeißer Qualität.
Raven kicherte.
„Holla, lauter hübsche Männer. Und ich dachte, ich bin in einem Puff.“
Sie drehte sich mit Schwung herum und ihr Ellbogen wischte wie zufällig in den Magen des anderen Mannes, der gerade hinter ihr stehengeblieben war.
„Ups!“, lallte sie und torkelte so ungeschickt zurück, dass ihr Stöckelabsatz sich in das Schienbein des Zweiten bohrte. Sein Aufstöhnen ließ sie wieder herumfahren, weshalb sie seinem beherzten Zugriff entging.
„Oh, Jazz, du Guter, hast du ihn gefunden?“
Sie glitt mit einem Stolpern an ihm vorbei und eilte die Treppe weiter hinauf, wo Jazz hechelnd auf sie wartete. Die beiden Männer folgten ihr fluchend. Sie erwischten sie am obersten Treppenabsatz.
„Huch“, schrie Raven, als sich zwei Männerhände um ihre Taille legten.
Wieder knickte sie zur Seite, doch dieses Mal ließ er nicht los. Mit einem strahlenden Lächeln drehte sie den Kopf zu ihm hin.
„Danke“, flötete sie. „Sie haben mich vor einem Sturz bewahrt. Das ist wirklich sehr aufmerksam. – Sie - oh Mann, Sie sehen wirklich gut aus! Sind das echte Muskeln? Ha, davon könnte sich Charles ’ne Menge abschneiden. Dieses Weichei weiß ja noch nicht einmal wie eine Hantel aussieht!“
Sie drängte sich ihm so unwillkürlich entgegen, dass er mit einem Fluch nach hinten stolperte, ohne sie loszulassen. Gemeinsam fielen sie gegen den zweiten Mann und polterten mit lautem Getöse die Treppe hinunter.
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