„Unter einer Bedingung“, schob Connor nach.
Tucker hob fragend die Augenbrauen.
„Wenn sich rausstellt, dass ihr Vater ein Scheißkerl ist, darf Ro es nicht erfahren, außer sie äußert selbst den Wunsch.“
„Hm.“ Der Leitwolf überlegte kurz. „Von meiner Seite aus geht das in Ordnung. Den Chief musst du selbst fragen.“
Damit war es wohl beschlossene Sache.
*
Aurora liebte es sichtlich, an Connors Arm durch Barnshire zu schlendern. Und er genoss ihre Nähe. Er warf ihr nicht vor, dass sie ihm nichts von der Adoption erzählt hatte. Schließlich hatte Tucker es von ihr verlangt. Auf seine Frage, ob sie sich damit denn wohlfühlte, hob sie die Schultern.
„Es ist okay. Edith ist tatsächlich wie eine Mutter für mich. Und Tucker ... na ja. Ich habe ihm klar gesagt, dass ich in ihm nicht einen Vater, sondern einen Gefangenenwärter sehe. Das war anscheinend okay für ihn. Er hat mir vorgeschlagen, mein Zimmerfenster mit Gittern zu versehen, damit es authentischer ist.“
Connor musste lachen. Das war mal wieder typisch. Für beide.
Damit war das unangenehmste Thema wohl erledigt und sie genossen ihren ersten gemeinsamen Nachmittag zu zweit.
Sie besuchten nur wenige Geschäfte, wo Ro sich eine neue Jeans und Turnschuhe kaufte. Danach gingen sie ins Kino und Essen. Für mehr war keine Zeit. Aber es war mehr, als sie bisher gehabt hatten.
*
Eine seltsame Stimmung lag über Dark Moon Creek, als Connor und Aurora um kurz vor sechs am Abend ankamen.
Trauer lag in der Luft. Ros gute Laune verflog mit einem Schlag.
„Edith“, flüsterte sie. „Bestimmt ist irgendetwas mit ihr.“
Sie rannte auf Tuckers Haus zu und stürmte hinein. Connor folgte ihr mit langen Schritten. Niemand war auf den Wegen zu sehen. Das Dorf wirkte wie ausgestorben.
Als er das Haus betrat, roch er sofort den typischen Geruch eines Sterbenden.
Und Tuckers Pein.
Edith O’Brian saß auf ihrer Lieblingscouch neben ihrem Mann und hatte den Kopf in seine Achselhöhle gebettet. Der Leitwolf hielt sie so sanft und liebevoll in den Armen, dass es Connor die Kehle zuschnürte.
Aurora hatte sich von der anderen Seite an Edith gekuschelt und ihr Gesicht in dem Schoß der alten Frau vergraben. Ihr zuckender Körper verriet, dass sie weinte.
Edith sah ihm mit einem sanften Lächeln entgegen. Ihre sonst so strahlend blauen Augen waren trüb und ihr runzliges Gesicht wirkte grau und eingefallen.
„Hallo Connor“, flüsterte sie. „Gut, dass ich dich noch zu sehen bekomme. Ich wollte dir noch etwas mit auf den Weg geben.“
Sie winkte ihn mit einer schwachen Bewegung näher.
Wie selbstverständlich kniete er vor ihr nieder.
„Mein Sohn.“ Sie hob den Arm und berührte seine Stirn. „Ich hätte es gerne erlebt, dass du und Ro heiratet und danach glücklich werdet. Denn das werdet ihr, davon bin ich überzeugt. Zweifle nie daran. Ich weiß, du machst dir große Sorgen um unsere kleine Ro, aber das musst du nicht. Sie hat einen starken Willen, aber ein gutes Herz. Und solange ihr zwei zusammenhaltet, werdet ihr jede Schwierigkeit meistern. Und sei ein wenig geduldig mit Tucker. In seinen Bemühungen, alles richtig zu machen, schießt er manchmal übers Ziel hinaus.“
Tucker entglitt ein leises Schnaufen und er küsste sanft Ediths Stirn. Diese lachte leise und zwinkerte Connor zu.
„Er ist ein guter Ehemann. Er hört ab und zu auch auf seine Frau. Ich hoffe, das wirst du auch tun.“
„Das werde ich, Edith. Ganz bestimmt.“ Seine Stimme war ungewohnt kratzig.
„Gut, mein Sohn.“
Sie strich sanft über Auroras braunen Haarschopf.
„Mein Kind. Geh mit Connor. Du kennst doch meine Lieblingsstelle im Garten, nicht wahr?“
Ro hob den Kopf und nickte mit tränenverquollenem Gesicht.
„Geht dorthin und betet für meine Seele. Ich möchte mit meinem Lieblingswolf noch ein wenig alleine sein.“
„Ich ... ich werde dich so sehr vermissen“, flüsterte Ro.
„Ich weiß. Aber so ist nun mal der Lauf der Welt. Jedes Leben endet einmal und meines war ein schönes, für das ich sehr dankbar bin. Ich hatte einen wunderbaren Ehemann, durfte unzählige wunderbare Kinder großziehen und genoss eine aufregende und spannende Zeit. Mehr kann man doch nicht erwarten, oder?“
Aurora schluchzte auf, erhob sich aber.
Connor zog sie an sich und führte sie nach draußen. Ein letzter Blick zurück zeigte ihm, wie die Sterbende ihre Arme um Tuckers Hals schlang und seinen Kopf zu sich herunterzog.
Sie gingen zum Garten und setzten sich unter eine alte Eiche.
Aurora rollte sich auf seinem Schoß zusammen und ließ ihrer Trauer freien Lauf.
Als nach einer halben Stunde ein lautes Klageheulen die Luft durchschnitt, drängte Connor nur mühsam die Tränen zurück. Sekunden später fielen die Dorfbewohner in das Klagegeheul mit ein.
Alle trauerten um Edith O’Brian. Ausnahmslos.
Ranger Zentrale, Minnesota
Chief Bryan wirkte skeptisch.
Das war schon mal ein schlechtes Zeichen. Connor starrte bemüht lässig auf den breiten Brustkasten, der sich vor ihm aufgebaut hatte. Dem Rudelführer der Minnesota-Ranger in die Augen zu blicken, war nie eine gute Idee.
„Ist das auf deinem Mist gewachsen?“
„Ähm, nein. Auf Tucker O’Brians.“
Bryan stöhnte. „War ja wieder klar. Gibt es dafür nicht so Büro-Heinis, die endlose Tabellen und Stammbäume verwalten?“
„Äh, mag sein, aber soweit ich weiß, gibt es keinen Hinweis auf Auroras Vater. Nur auf ihren Geburtsort, und der ist nicht Oregon.“
„Sondern?“
„Irgendwo in Utah. Aber dort haben sie nie gewohnt. Ihre Mutter stammt allerdings aus Colorado und hat dort zumindest bis einige Monate vor der Geburt auch gelebt, und ich schätze mal, dass sie da auch geschwängert wurde.“
„Fuck.“ Der Chief stieß ein entnervtes Schnauben aus. „Ausgerechnet.“
Connor überlegte, ob er nachfragen sollte. Aber wenn er nach Colorado reiste, sollte er besser wissen, ob es da gerade Schwierigkeiten gab. Er räusperte sich.
„Ähm, muss ich da was wissen?“
„Nicht wirklich. Aber Dean Stout nervt gerade total. Ständig muss man bei ihm die Feuerwehr spielen, weil er seine Kids nicht im Griff hat. Das Team vor Ort hat schon mit Streik gedroht.“
Connor grinste. Dass Kriegerwölfe alles andere als begeistert waren, hinter meuternden Jugendlichen her zu rennen, konnte er sich sehr gut vorstellen. Die Kids taten ihm dagegen leid. Von Kriegern verfolgt zu werden, war keine angenehme Erfahrung. Da konnte man nur hoffen, dass sie daraus lernten. Auch wenn er sie sehr gut verstand.
Er selbst war als Jugendlicher mehrfach abgehauen. Im Endeffekt war er deshalb tatsächlich bei den Rangern gelandet. Die Kerle hatten ihn zutiefst beeindruckt und in ihm den Ehrgeiz geweckt, genauso gut zu werden.
Im Nachhinein eine echt blöde Idee.
„Haben die Kids wenigstens einen Grund?“, fragte er nach.
„Stout ist ein Arsch!“
Okay, das war einer. Half aber nichts. Stout war Rudelführer und damit im Recht.
Der Chief starrte grübelnd in die Luft. Schließlich nickte er.
„Na gut. Prinzipiell habe ich nichts dagegen. Du kannst ja schon mal damit anfangen. Allerdings hast du auch noch ein anderes Programm zu absolvieren.“
Das versetzte Connor sofort in Alarm, was dem Chief natürlich nicht entging.
Er grinste ihn spöttisch an.
„Nicht nur ich habe den Eindruck, dass du nicht mehr so richtig in Form bist. Ein bisschen Aufbautraining schadet da sicher nicht.“
Connor entglitt ein frustriertes Stöhnen.
Aufbautraining war ein harmloser Begriff für das, was ihm da bevorstand. Sein Letztes lag zwei Jahre zurück, und er hatte es noch ungut in Erinnerung.
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