„Das arme Mädchen, das nun um die Erfahrung gebracht wurde von einer Neandertalerkeule zum Orgasmus ihres Lebens gebracht zu werden“ prustete Markus. Das war zu viel für Martin. Er verlor seine Beherrschung und ließ seine halbvolle Bierdose auf den Boden des Busses fallen. Zum Glück war sein Lachen so laut, dass niemand den Aufprall der Dose bemerkt hatte.
„Ist alles okay bei euch?“ fragte Herr Mannheimer nach hinten.
„Alles bestens“ konterten die vier Freunde nach vorne.
Mithilfe der Taschentücher, die Markus und Martin von mindestens 10 Mitschülerinnen zusammenschnorrten, konnte die Bierlache trocken gelegt werden und der Schaden begrenzt werden. Richies Deo mit „Moschus“ Duft tötete dann auch noch den Biergeruch komplett.
Beim heimlichen Aufwischen spielte nun das Mixtape „Guten Morgen liebe Sorgen“ vom damals, neben Otto, deutschem Vorzeigekomiker, Jürgen von der Lippe, ab. Wie passend.
Ohne weitere nennenswerte Zwischenfälle und mit ein wenig Schlaf, nahm der Bus die letzte Etappe in Richtung Berliner Stadtgrenze auf.
Die Grenzabfertigung ging sehr schnell und die Reisegruppe kam im Stadtteil Lichtenrade an, wo unsere Jugendpension beheimatet war. Lichtenrade ist der südlichste Ortsteil von Berlin und war vom damaligen Zentrum Berlins, dem Kudamm, 20 km entfernt. Außerdem war rund um Lichtenrade Sperrgebiet, d.h. Ostzone. Aber das war den Freunden egal. Sie waren in einer Großstadt. Und in einer der aufregendsten der Welt.
Die Jugendpension war neu renoviert. Sie bestand aus drei Stockwerken. Im Erdgeschoss war neben dem Frühstücksraum auch ein Gemeinschaftsraum mit Tischtennisplatte. Die beiden weiteren Stockwerke dienten zur Beherbergung der Austauschschülerinnen und – schüler. Für immer jeweils 5 Schülerinnen bzw. Schüler gab es eine 5er Wohneinheit, d.h. ein Dreierzimmer und ein Zweierzimmer, die durch einen kleinen Flur voneinander getrennt waren und der auch zu einer Toilette mit Waschbecken führte. Zu den Sammelduschen gelangte man am Ende des jeweiligen Flures.
Markus, Martin und Jochen bezogen ein Dreierzimmer, das dazugehörige Doppelzimmer Richie und Frank. Sie schmissen schnell ihre Taschen und Koffer auf ihre Betten.
Eine Tasche leerten sie komplett aus und gingen mit ihr nach draußen. Sie hatten bemerkt, dass in der Straße, in der sich die Herberge befindet, auch eine Trinkhalle ist. Die Trinkhalle ist praktisch der Vorgänger der heutigen Spätis, die es damals noch nicht gab. Auch nicht in Berlin.
Markus, Martin und Richie betraten nun die etwas heruntergekommene Trinkhalle. Frank haben sie in der Jugendherberge gelassen, da er mit allen Mitteln versuchen muss Herrn Mannheimer abzulenken. Er durfte auf keinen Fall Kenntnis vom neuen Inhalt von Markus Sporttasche haben bzw. die drei Freunde auf frischer Tat erwischen.
Sie wandten sich dem dicken, glatzköpfigen und ungepflegten Besitzer des Ladens zu.
„Wat wollense?“ fragte er desinteressiert in seinem Berliner Dialekt. Er schaute dabei nicht von seiner Lektüre auf, der Berliner Tageszeitung „BZ“, ein regionaler Abklatsch der Bild Zeitung.
„Haben Sie Dosenbier?“ stellte Martin vorsichtig die Gegenfrage.
„Wollen se mir verarsche?“
Nun kam der dicke Ladeninhaber auf Betriebstemperatur. Er warf die Zeitung zur Seite, richtete sich auf, bekam einen puterroten Kopf, ging in Richtung Markus und Martin. Etwa 10 cm vor ihnen blieb er stehen, so dass sie sogar seinen Zahnbelag und Mundgeruch wahrnahmen. Er schrie sie an:
„Ick hab den janzen Scheissladen hier voll mit Bier.“
„Och in Dosen.“
„Prima.“ jauchzte Richie.
Nach dem kurzen Gefühlsausbruch sank der Bierbaron von Lichtenrade wieder in sich zusammen und schaltete wieder in den Langweilermodus um.
„Kindl oder Schultheiß?“ wollte der Ladeninhaber nun der Vollständigkeit halber wissen.
„Wie bitte?“ entgegnete ihm Markus achselzuckend.
„Na, welchet Bier? Kindl oder Schulteiß?“
„Dit sind die beeden bekannten Berliner Biermarken, ihr doofen Wessis.“
Nun stieg der Adrenalinhaushalt des Büdcheninhabers wieder. Aber nur kurz. Er merkte, dass sich die Aufregung nicht lohnte. Diese Jungs sind halt dumme Teenies vom Lande.
„Scheißegal.“ konterte nun Markus mit gleicher Lautstäke und Aggressivität.
Martin stellte sich vor seinen Freund und ergänzte mit beschwichtigender Stimme:
„Wir nehmen jeweils 10 Dosen Kindl und Schultheiß bitte. Können Sie diese bitte in diese Tasche packen. Und bitte noch 4 Dosen Cola. Dankeschön“
Sie bezahlten artig und liefen im Stechschritt wieder zurück.
Zufrieden und voll beladen kamen die drei wieder zurück in die Pension.
Frank hatte Herrn Mannheimer in die Mangel genommen und ihm Löcher in den Bauch zur Geschichte von Berlin gefragt, bis dieser entnervt in sein Zimmer gegangen ist, wo er fürs erste nicht mehr gestört werden will.
Die vier Colas für Frank waren wirklich gut investiert. Markus bedankte sich herzlich bei Frank fürs Schmiere stehen und überreichte ihm seine Prämie.
Doch wie aus dem Nichts nahm Richie ihm eine Dose weg und öffnete sie gleich. Er nahm einen kräftigen Schluck und griff anschließend in die Innentasche seiner Jeansjacke. Es kam ein kleiner Flachmann der Marke Chantré Brandwein zum Vorschein. Er öffnete sie und goss einen Großteil des Fläschchens in die Cola Dose. Dann nahm er einen erneuten Schluck aus der Dose. Der Schluck Cola mit Schuss verursachte ein Glücksgefühl in ihm. Er lächelte die anderen an. Er wandte sich Markus zu, gab ihm die Dose und fügte hinzu:
„Ich wusste ja nicht, dass ihr die Cola pur trinken wolltet“.
Dann ließ er die anderen staunend zurück und ging auf die Toilette.
Richie hat wohl den Zwist zwischen Markus, Martin und dem Trinkhallenbesitzer dazu genutzt, um sich die Taschen im wahrsten Sinne des Wortes mit allen möglichen Dingen, den sogenannten kleinen Freuden des Lebens, voll zu machen.
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Mit einem Lächeln wachte Markus 5 Minuten vor dem Wecker auf.
„Kindl ging ja gar nicht. Da war Schultheiß noch das geringere Übel.“
Mit diesem Satz verschwand er in Richtung Badezimmer und ließ eine verdutzte Ehefrau zurück.
Als Leonie sich dem Frühstückstisch näherte, traute sie ihren Augen nicht. Der Tisch war voll von Leckereien, sogar ihre geliebten Croissants von Bäcker Schmitt entdeckte sie. Sie kam aus dem Staunen nicht raus. Auch ein großer Blumenstrauß stand auf dem Tisch. Dazu frisch gepresster Orangensaft, verschiedene Brötchensorten, frischer Wurstaufschnitt, Marmelade und sogar für jeden ein gekochtes Ei.
„Einen schönen guten Morgen Süße“ wurde sie von ihrem Vater überschwänglich begrüßt.
„Habe ich etwas verpasst?“ Leonie kam aus dem Staunen nicht heraus.
„Wieso?“ fragte Markus scheinheilig.
„Na, schau dich doch mal um“ konterte Leonie.
„Die ganzen Leckereien“
„Sogar die leckeren Croissants vom Bäcker Schmitt“
„Die holst du doch nur unter der Woche, wenn ich Geburtstag habe“
„Was ist der Grund für dieses besondere Frühstück?“
„Rück schon raus mit der Sprache!“
Leonie hatte Markus festgenagelt. Er überlegte einige Sekunden, um die richtige Formulierung zu finden. Er schaute ein wenig verlegen nach unten und sprach leise zu seiner Tochter:
„Na, heute werde ich doch die Gewissheit haben, ob wir Martin gefunden haben.“
Beim Aussprechen dieses Satzes vergoss er einige Tränen.
So, nun war es raus.
Auch Leonie und Carola fingen nun an zu weinen. So kannten sie Markus gar nicht.
„Mensch Papa“ seufzte Leonie in tränenerstickter Stimme, ging zu ihrem Vater und umarmte ihn zärtlich.
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