1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 „Ziemlich kühl bei euch.“ Mein erster Kommentar. Ich war nur leicht bekleidet und fröstelte entsprechend.
„Noch viel zu warm“, erwiderte Gowindi trocken. „Wenn der erste Schnee fällt, so in drei bis vier Wochen, beginnt endlich die angenehme Jahreszeit.“ Er blickte mich von der Seite an. „Ich sagte dir bereits, du wirst dich hier nicht sonderlich wohlfühlen.“
Ich bekam eine genauere Ahnung von dem, was er meinte. „Lebt ihr in den Glaskuppeln?“ Die einzelnen Dome verfügten über Durchmesser von gut und gern zehn Metern und bestanden aus unzähligen achteckigen Waben, ähnlich wie Kammern eines Bienenstocks. Tausendfach reflektierten sie das Licht der Xyn in allen denkbaren Farben. Und es waren nicht mehr als dreißig, wie ich mich überzeugen konnte. Achtundzwanzig. Jede eine Kopie der anderen. Sie glichen einander aufs Haar.
„Ganz genau“, bestätigte Gowindi. „Diesen Teil der Küste haben wir zu unserem Lebensbereich erklärt. Hier fließt der kalte Golfstrom entlang und sorgt für erträgliche Temperaturen, auch im Sommer. Deswegen leben wir in den Glaskuppeln, wie du es nennst. Sie sind unterhalb der Wasseroberfläche miteinander verbunden. Das kalte Meerwasser sorgt im Innern für annehmbare Temperaturen. Du würdest das wahrscheinlich anders empfinden.“
„Weswegen seid ihr immer noch hier? Ich meine, wenn euch das Klima auf Gondwana nicht zusagt, aus welchem Grund bleibt ihr? Wirklich nur, um uns zu beschützen?“ Diese heikle Thematik hatte ich lange bewusst vermieden, schon allein aus Angst, Gowindi würde sich zurückziehen, wenn ich ihn damit konfrontierte.
„Du kennst die Zusammenhänge“, kam die knappe Antwort.
„Nur ansatzweise.“ Gab es einen Grund, damit hinter dem Berg zu halten? „Ihr seid hier, um uns zu beschützen. Nur... vor wem genau?“
Die Antwort kam ohne zu zögern und warf sogleich neue Fragen auf, schon weil Gowindi sie wie eine formulierte.
„Vielleicht vor euch selbst?“
Plötzlich fühlte ich mich längst mehr so selbstsicher wie noch vor dem Aufbruch hierher. Jetzt, auf fremdem Territorium, spürte ich die Barriere zwischen Gowindi und mir deutlich. Hatte ich unsere fragile Freundschaft, so ungewöhnlich sie ohnehin war, am Ende überanstrengt? Ich beschloss, so weit wie nur irgend möglich zu gehen, ihn herauszufordern.
„Darf ich mit hineinkommen?“
„Nein, du würdest erfrieren. Unsere Biosphäre entspricht nicht der deinen. Wir leben in grundverschiedenen Klimazonen. Wir Toorags sind in der Lage, die Hitze, in der ihr Menschen lebt, für einen gewissen Zeitraum zu tolerieren. Ganz gut sogar. Unsere Körper leiden dennoch. Schon nach kurzer Zeit beginnen sie zu sterben. Langsam. Sehr langsam. Doch sie sterben. Wir müssen jeden Tag in unser artifizielles Milieu zurückkehren, um uns wieder zu regenerieren.“
Ich verstand. Uns trennten Welten. Wie sehr, fiel mir erst heute richtig auf. Natürlich konnte ich nicht bei den Toorags leben, so sehr ich es vielleicht vor kurzem noch gewollt hatte. Von Mutlosigkeit gepackt, rief ich: „Aber wir bleiben Freunde, oder?“
Er sah mich mit seinem stets unergründlich ausdruckslosen Froschgesicht an. „Oh ja, das bleiben wir, Freund Jack. Ich werde dich besuchen kommen, so oft es geht. So wie immer. Nichts hat sich verändert.“
Erleichtert nickte ich ihm zu. „Danke fürs Herbringen. Eure Siedlung mit eigenen Augen zu sehen, bedeutet mir sehr viel. Jetzt weiß ich auch, nicht bei euch leben zu können.“
„Siehst du? Darum solltest du für dich selbst entscheiden.“
„Mach so weiter und du bist bald nicht mehr gowindi, dann lassen sie dich endlich als Vollmitglied in deine Truppe.“
„Ich kann es abwarten“, kam die Antwort. Und ich glaubte ihm. Keine Ahnung, welche Pflichten auf ihn warteten, würde er das Erwachsenenalter erreicht haben.
Ich ließ es mir nicht nehmen, wenigstens für ein paar Minuten die Felsenküste auf und ab zu spazieren, um den Glaskuppeln so nahe wie möglich zu kommen. Vom Ufer aus jedoch erwiesen sie sich als unerreichbar. Auch sah ich keinen anderen Toorag. Das hatte ich mir wohl am meisten erhofft, irgendwie einen Blick von ihnen zu erhaschen, irgendwo in ihren Glaskäfigen. Doch taten sie mir
den Gefallen nicht.
Schon allein die kriechende Kälte zwang zur Rückkehr. Frierend kletterte ich zurück in den Gleiter und quetschte mich wieder hinter den Steuersitz. Bevor Gowindi abhob, richtete er noch einmal das Wort an mich.
„Schön, dass du mitgekommen bist. Ich bin erfreut, wie sehr dir meine Heimat gefällt.“
„Nein, ich habe zu danken. Du bist toll, Gowindi. Ich bin stolz darauf, dein Freund zu sein.“ Und das meinte ich völlig ehrlich. „Freund Gowindi“, fügte ich noch leise hinzu.
„Freund Jack“, kam umgehend die Antwort. Es klang sogar gerührt. Und dann ging es im gleichen Tempo nach Hause. Langsam und gemächlich gehörte wohl nicht ins Repertoire eines Toorags.
Viel Zeit ging ins Land. Natürlich war ich zurückgekehrt, hatte mich bei Ylvie entschuldigt und war probeweise wieder aufgenommen worden. Der Besuch bei den Toorags, so kurz er auch gewesen sein mochte, hatte mich verändert. Meine Rebellion ging zu Ende. Zumindest diese. Eine andere wartete bereits – und jene stellte erneut alles in Frage, was mit meinem bisherigen Leben zu tun hatte.
Der Kontakt zu „Freund Gowindi“ blieb weiterhin bestehen, wenn auch nicht mehr so intensiv wie früher. Er hatte inzwischen seine volle Reife erreicht und Pflichten zu übernehmen, über die er nicht sprach, was mich anfangs irritierte. Welcher Freund war das, der so wenig über sein Privatleben verlauten ließ? Doch gewöhnte ich mich daran, auf so manche Frage keine Antwort zu bekommen und tröstete mich mit Otomaks darüber hinweg. Ab und an beschlich mich der Verdacht, ihn enttäuscht zu haben. Womöglich stellte dies den Grund dar, weswegen er zuweilen so wenig Zeit fand. Es gab Zeiträume von mehreren Wochen, in welchen wir uns überhaupt nicht sahen. Kontakt hielten wir zwar über den Kommunikator, über den er mir von Zeit zu Zeit Nachrichten übermittelte, doch wenn er nicht antwortete, saß ich auf dem Trockenen. Die lang anhaltende Funkstille zerrte an meinen Nerven, dann stellte sich allmählich Gleichgültigkeit ein. Wenn er nicht mehr wollte, gut! Ich redete mir ein, es musste wohl so sein. Wir entsprangen völlig unterschiedlichen Welten, als Halbwüchsige hatten wir vielleicht darüber
hinweg gesehen, jetzt waren wir dem Kindesalter allerdings entwachsen, er genau so wie ich. Die Interessen verschoben sich, das lag in der Natur der Dinge.
Dennoch, ich vermisste ihn.
Und die Otomaks gingen auch allmählich zur Neige...
Umso mehr freute ich mich, wenn er dann doch irgendwann reagierte. Und wenn wir uns endlich wiedersahen, war es stets so, als hätte es die Zeiten der Funkstille nie gegeben. Wir knüpften exakt an dem Tag an, an welchem wir auseinandergegangen waren. Ein ungeschriebenes Gesetz jedoch existierte nach wie vor: es gefiel ihm nicht, wenn ich ihn fragte, warum er sich so lange nicht gerührt hatte. Tat ich es trotzdem, wurde meine Krötenfresse erstaunlich schweigsam. Wenig Interesse hatte ich daran, Gowindi zu verärgern, also fügte ich mich, stellte keine Fragen, auch wenn die Antworten noch so interessierten. Diese Prämisse war nicht verhandelbar. So blieb mir mein außerirdischer Freund in großen Teilen fremd. Ich hatte keine Ahnung was er trieb, wenn er unter Seinesgleichen weilte.
Kurz vor meinem zwanzigsten Geburtstag, der Kontakt zu Gowindi befand sich zu dieser Zeit auf einem außergewöhnlichen Intensivtrip, teilte ich ihm melodramatisch mit, von Evu die Schnauze voll zu haben. Ich hatte die wenigen Menschen satt, konnte sie nicht mehr sehen. Vor allem sehnte ich mich nach so etwas wie einer Gefährtin. Mir verlangte es nach etwas völlig Normalem, etwas Selbstverständlichem. Doch gab es keine Menschen in meinem Alter auf dieser gottverlassenen Insel. Ich war allein auf weiter Flur. Der Entschluss, Evu zu verlassen, reifte heran. Vielleicht würde ich das, wonach ich suchte, auf dem Kontinent finden? Immerhin lag vor Evus Haustür ein unermesslich weites Land. Dort musste es doch Menschen geben! Wieso vergeudete ich mein junges Leben auf diesem mittlerweile zu einem Gefängnis mutierten Eiland?
Читать дальше