„Bye, bye, Abbygirl“, sagte Kent mit höhnischer Freude in seiner Stimme. Dann hörte ich nichts mehr. Nichts, außer meinem Schluchzen und meiner eigenen panischen Atmung. Er war fort. Er hatte mich tatsächlich hier allein in der Dunkelheit gelassen. Doch war ich wirklich allein? Die Vorstellung, was sich außer mir noch in der Dunkelheit befinden könnte, machte mich schwindelig vor Angst. Ratten. Spinnen. Krabbeltiere. Fledermäuse. Die Möglichkeiten waren viele und mir brach der Angstschweiß aus. Ich schrie erneut. Ich schrie noch immer, als kein Laut mehr über meine Lippen kam. Meine Kehle rau und wund. Die dunklen Wolken in meinem Inneren brachen über mich herein. Meine Narben juckten. Mein Herz raste viel zu schnell und ich konnte nicht atmen. Die Panikattacke hatte mich fest im Griff. In diesem Moment war ich mir sicher, dass ich hier in der Dunkelheit sterben würde.
Kent
Die Idee, Abbyin den Keller zu sperren, war genial gewesen. Die meisten Weiber hatten Angst vor der Dunkelheit und vor allem, wenn sie sich vorstellten, was alles in der Dunkelheit auf sie lauern könnte. Spinnen. Krabbeltiere. Ratten und Mäuse. Ja, ich hatte einen guten Start für den Rachefeldzug an Abby gewählt. Ihre panischen Schreie fütterten das sadistische Monster in meinem Inneren. Sie bettelte und flehte, dass ich sie befreite, doch ich hatte nicht vor, ihr den Gefallen zu tun. Sie würde die Nacht hier verbringen. Das würde ihr eine Lehre sein. Ich hatte dafür gesorgt, dass das Licht in dem Raum nicht funktionierte. Selbst wenn sie also den Lichtschalter finden sollte, würde es ihr nichts nutzen. Und es war kalt hier unten. Nachts würde es noch kälter sein. Ja, ich war mir sicher, dass Abby eine höchst ungemütliche, traumatische Nacht bevorstand. Ich grinste zufrieden.
„Bye, bye, Abbygirl“, sagte ich und wandte mich ab, um sie allein zu lassen. Ihre Schreie folgten mir, als ich mich durch den Keller zur Treppe begab. Als ich langsam die Treppe hinaus stieg, verstummten ihre Schreie. Oder sie war zu weit weg, als dass ich sie noch hören konnte. Egal. Sie hatte ihre erste Strafe erhalten. Und Weitere würden folgen. Wenn ich mit Abigail Baker fertig war, dann würde sie reif für die Klapse sein.
Die anderen saßenschon am Tisch, als ich in der Lunchpause in die Kantine kam. Alle sahen mich erwartungsvoll an. Besonders Beth, deren Augen vor sadistischer Aufregung funkelten.
„Nun, was hast du getan?“, wollte sie wissen, noch ehe ich mich gesetzt hatte. „Erzähl. Sie ist nach ihrem Gespräch mit Mr. Godwin nicht im Unterricht aufgetaucht. Ich wette, sie ist heulend aus der Schule gerannt. Ich wünschte nur, ich hätte es sehen können.“
„Sie ist noch in der Schule“, sagte ich, nachdem ich mich gesetzt hatte. Ein Grinsen spielte um meine Mundwinkel, als ich mir vorstellte, wie es ihr jetzt, nach mehreren Stunden allein in der Dunkelheit, gehen mochte.
„Was?“, schrie Beth. „Wo ist sie? Und was hast du mit ihr gemacht? Ich hoffe, du nimmst deinen Job ernst und lässt dich nicht von ihren Unschuldsaugen erweichen. Wenn du...“
„Ruhe!“, fiel Nate ihr ins Wort. „Kent wird sich nicht von ihr erweichen lassen. Er wird seinen Job tun. Doch wenn du nonstop redest, kann der arme Mann ja nicht zu Wort kommen.“
Beth funkelte Nate wütend an, doch sie verbiss sich jeden Kommentar. Gut. Ich hatte nicht das Gefühl, dass Nate sich noch lange ihre Eskapaden gefallen lassen würde. Er mochte sie rächen für das, was Abby getan hatte, doch ich kannte meinen Freund. Er hatte schon lange das Interesse an Beth verloren. Es war wahrscheinlich nur noch Gewohnheit, dass er mit ihr zusammen war.
„Danke, Nate“, sagte ich, mich an ihn wendend. „Bevor ich sage, was ich mit Abby getan habe und wo sie ist, will ich klarstellen, dass niemand ihre derzeitige Lage ausnutzt, um sich zu rächen. Besonders nicht Bethany. Abby ist mein, wie du gesagt hast.“
„Was? Die Schlange hat MEIN Gesicht ruiniert. Warum sollte ich nicht ein wenig Rache an ihr...“
„Schluss!“, knurrte Nate, sie hart beim Arm packend. „Kent hat recht. Niemand wird sie anfassen. Es ist sein Job, Rache an Abby zu üben. Wenn du dem Mädchen auch nur ein Haar krümmst, wirst du dich vor mir verantworten. – IST! DAS! KLAR?“
Beth schäumte vor Wut, doch sie nickte. Sie wusste wie jeder andere an dieser Schule, dass man Nate besser nicht gegen sich aufbringen wollte. Sie würde es bitter bereuen. Und damit meinte ich nicht nur, dass er mit ihr Schluss machen würde, oder dass sie aus dem Zirkel ausgeschlossen werden würde. Nate würde ihr das Leben zur Hölle machen. Sie würde von Queen B zu einem Niemand degradiert werden und niemand würde mehr etwas mit ihr zu tun haben wollen. Nicht einmal ihre engsten Freundinnen. Jeder würde sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Und sie würde es sich abschminken können, für die Homecoming Queen zu kandidieren.
„Also“, sagte Nate, sich an mich wendend. „Erzähl.“
Ich berichtete, was ich getan hatte und dass Abby bis morgen früh im Keller bleiben würde. Nates Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen und selbst Beth schien zufrieden zu sein. Ihre Augen funkelten und ihr Mund war zu einem gemeinen Grinsen verzogen, als sie mir lauschte.
„Exzellent, Kent“, lobte Nate. „Ich wusste, du bist der Beste für den Job. Deine sadistische Fantasie kennt keine Grenzen. Bleib dran und halte uns auf dem Laufenden.“
„Das werde ich“, erwiderte ich.
Abby
Die Zeit inder Dunkelheit schien sich endlos hinzuziehen. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie lange ich schon hier war. Ich war müde und erschöpft, doch meine Angst war zu groß, um in den Schlaf zu fallen. Meine Kehle schmerzte von meinen Schreien. Meine Nase und Augen brannten von stundenlangem Schluchzen. Jeder Knochen in meinem Leib schmerzte. Es war bitterkalt und mein Körper war vor Angst und Kälte angespannt. Ich hatte mich in der ganzen Zeit nicht vom Fleck gerührt. Ich hatte zu viel Angst davor, mit meinen Händen herum zu fühlen. Wer wusste, auf was meine Hände treffen würden. Ich hoffte, dass Kent irgendwann zurückkommen würde, um mich heraus zu lassen. Er würde mich doch sicher nicht hier unten sterben lassen. Oder? Ich wollte daran glauben, dass er nicht so böse sein konnte, meinen Tod zu wollen. Doch ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, zu was er fähig war.
Nein, nein, nein! Denk nicht an so etwas. Dazu ist selbst er nicht fähig.
Bist du dir da so sicher?
Er wird kommen. Er wird kommen. Er MUSS kommen.
Du kannst drei bis vier Tage ohne Wasser überleben. Er könnte dich so lange hier unten halten.
Das würde er nicht tun.
Wirklich?
Hör auf! Verdammt noch mal! Hör auf. Er wird kommen! Er muss kommen. Er WIRD. ER WIRD! ER WIRD!
Ich hatte die Arme um meine Knie geschlungen und wiegte mich hin und her. Meine Narben juckten wie verrückt. Der Drang, Flucht in Schmerz zu finden, war überwältigend. Meine Zähne klapperten, als ich stetig vor und zurück schaukelte. Alles, was ich spürte, war blanker Terror. Und Schuld. Schon wieder diese Schuld, wenn ich nicht einmal wusste, warum. Ich hatte nichts getan. Ich war das Opfer, nicht der Täter. All die negativen Gefühle und Gedanken, die mich quälten, drohten mir den Verstand zu rauben. Vielleicht hatten sie das bereits. Ich fühlte mich außer Kontrolle. Stetig hin und her schaukelnd, murmelte ich vor mich hin, ohne mir bewusst zu sein, was ich sagte. Alles, was ich hörte, waren die Stimmen in meinem Kopf.
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